2. SRG-Trendumfrage zur Abstimmung vom 22. September 2024

Vor der Schlussmobilisierung:

Biodiversitätsinitiative – Mehrheit dagegen bei Nein-Trend

BVG-Revision – Mehrheit dagegen bei Nein-Trend

Studie im Auftrag der SRG SSR

Wäre bereits am 31. August 2024 abgestimmt worden, wären die Biodiversitätsinitiative und die BVG-Reform knapp abgelehnt worden. Bei beiden Vorlagen sind die Nein-Anteile über den Kampagnenverlauf angestiegen, während sich die Ja-Anteile verringert haben. Bei einer Initiative entspricht ein solcher Nein-Trend dem erwarteten Normalfall der Meinungsbildung. Bei einer Behördenvorlage wie der BVG-Reform ist es der Ausnahmefall.

Der Stand der Meinungsbildung präsentiert sich bei beiden Vorlagen gefestigter als noch vor einem Monat. Für die Biodiversitätsinitiative ist er als fortgeschritten zu beschreiben. Jener zur BVG-Reform bleibt dahinter zurück und ist mittel bis fortgeschritten.

Angestiegen ist über den Kampagnenverlauf wie erwartet die Stimmbeteiligung: Sie liegt nun mit 47 Prozent exakt beim langjährigen Durchschnitt (47% zwischen 2011 und 2023 gemäss BFS).

Wie üblich handelt es sich auch bei der zweiten Befragung nur um eine Momentaufnahme rund zwei Wochen vor dem Abstimmungstag und nicht um eine Prognose zum Abstimmungsausgang. Die Ergebnisse können im Wellenvergleich allerdings auch als Trends interpretiert werden. Die Studie beschreibt somit den Stand und die Trends in der Meinungsbildung vor der Schlussmobilisierung.

Alle Angaben gelten bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Unsicherheitsbereich von ±2.8 Prozentpunkten.

Die Befunde der Umfrage werden anhand des Dispositionsansatzes von gfs.bern theoretisch verortet.

Hier finden sich Hintergrundinformationen zu den Vorlagen der September-Abstimmung und hier zur Methode der SRG-Trendumfragen.

Ausserdem können Sie hier eine vollständige Grafiksammlung herunterladen und hier den aktuellen Abstimmungsmonitor des Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) zur Mediensituation im laufenden Abstimmungskampf.

Biodiversitätsinitiative

Gegenwärtige Stimmabsichten knapp im Nein

Die Biodiversitätsinitiative wäre am 31. August 2024 knapp verworfen worden. 46 Prozent mit fester Teilnahmeabsicht hätten sich bestimmt oder eher dafür entschieden (-5 Prozentpunkte, in der Folge ppt.), 51 Prozent dagegen (+8 ppt.). Die Entwicklung der Stimmabsichten von der ersten zur zweiten Umfrage offenbart einen für Initiativen typischen Nein-Trend.

Die Einschätzung über den Ausgang zeichnet ebenfalls ein kritisches Bild. Mit Blick auf den eigentlichen Abstimmungstag rechnen stabile 28 Prozent der Mobilisierten mit einer Annahme, während eine ebenso stabile Mehrheit von 72 Prozent eine Ablehnung erwartet. Im Mittel wird der Ja-Anteil auf nur gerade auf 46 Prozent geschätzt. Obwohl die Stimmabsichten und der erwartete Ausgang weiterhin eine grössere Diskrepanz aufweisen, haben sich die Einschätzungen angenähert. Beide Werte deuten auf eine Ablehnung der Vorlage hin.

Fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

75 Prozent äussern feste Stimmabsichten zur Biodiversitätsinitiative, nur 3 Prozent zeigen sich noch unentschlossen. Zudem sind die Stimmentscheide inhaltlich gut abgestützt. Der Stand der Meinungsbildung ist bereits fortgeschritten.

Konfliktmuster: Primär politisch aufgeladen - Unterstützung von links, aus den Städten, aus der französischsprachigen Schweiz und von Frauen

In erster Linie spaltet die Vorlage entlang der politischen Gesinnung. Ungebrochen und klar mehrheitlich unterstützen die Anhängerschaften von SP und Grünen die Vorlage. Auch der Rückhalt bei den GLP-Wählenden bleibt bestehen. 70 Prozent sind bestimmt oder eher für die Initiative. Bei der Anhängerschaft von der Mitte bleibt die Ablehnung stabil mehrheitlich. Ein deutlicher Nein-Trend setzte im Umfeld der FDP und der SVP ein. Die bereits in der Ausgangslage geringe Unterstützung nahm mit näherkommendem Abstimmungstermin weiter ab. Pateiungebundene unterstützen die Initiative jedoch weiterhin mit einer Zustimmung von 51 Prozent.

Die unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse nach Geschlecht und Siedlungsart bleiben bestehen: Männer und ländlich lebende Personen sind mehrheitlich gegen die Initiative. Frauen und Personen, die in grossen Agglomerationen leben, wollen mehrheitlich für die Biodiversitäts-Initiative stimmen. Aber auch letztere erfasst ein leichter Trend in Richtung Nein. In den kleinen und mittleren Agglomerationen führt der Nein-Trend dazu, dass die Zustimmung der bestimmt Teilnehmenden lediglich noch relativ mehrheitlich ist.

 

 

 

Nach Sprache differenziert erhält die Initiative rund drei Wochen vor der Abstimmung in der französischsprachigen Schweiz am meisten Unterstützung: Mit 53 Prozent liegt einzig die französischsprachige Schweiz noch knapp im Ja. Wobei der Anteil bestimmt Entschiedener deutlich angestiegen ist. Der auch hier sichtbare Nein-Trend führt dazu, dass die italienischsprachige Schweiz ins Nein kippte und verstärkte die Ablehnung in der Deutschschweiz.

Ein gegenteiliger Trend Richtung Ja ist lediglich bei GLP-nahen Teilnahmewilligen festzustellen. Bei den restlichen ausgewiesenen Untergruppen bleiben die Anteile stabil oder gehen Schritt in Schritt mit der Gesamttendenz in Richtung Nein. Bei Personen mit relativ tiefen und mittleren Einkommen, mit tiefer Schuldbildung, bei Regierungsmisstrauischen und älteren Personen kippen dadurch die Mehrheiten ins Nein. Personen mit den tiefsten Einkommen bzw. mit hoher Schulbildung und jüngere Personen unterstützen die Vorlage noch relativ mehrheitlich.

Argumente: Beurteilung der Biodiversitäts-Lage entscheidend

 

Die Haltungen zu den Kampagnenargumenten haben sich nur wenig verändert. In der Tendenz gewannen Contra-Argumente leicht an Zuspruch, während Pro-Argumente eingebüsst haben. Die Leseweise der Gegnerschaft konnte sich somit über den Verlauf der Hauptkampagne durchsetzen, was den Nein-Trend inhaltlich untermauert.

Die Ja-Seite erhält weiterhin breite Unterstützung, wenn sie allgemein für den Umweltschutz argumentiert. Rund 70 Prozent der Befragten mit Teilnahmeabsicht beurteilen die Folgen der Umweltzerstörung als gravierend (-2 ppt.). Noch rund zwei Drittel sehen wegen der intensiven Landnutzung und Zersiedelung die Natur gefährdet (-3 ppt.). Mit 52 Prozent unterstützt jedoch nur eine knappe Mehrheit das konkret auf die Biodiversität hin formulierte Argument, dass das Artensterben Milliardenkosten verursache, wenn nichts unternommen werde (-2ppt.).

Obwohl die Nein- Argumente umstrittener sind, gewannen alle abgefragten Argumente an Zustimmung. Am deutlichsten jenes, welches nur minderheitlich unterstützt wird. Nun ist rund die Hälfte der Meinung , die Kantone und der Bund würden die Biodiversität bereits genügend schützen. Die andere Hälfte sieht dies gegenteilig. Die Meinungen diesbezüglich sind also stark polarisiert.

 

 

Die weiteren abgefragten Contra-Argumente werden von einer Mehrheit bejaht: 56 Prozent sehen die Landwirtschaft unter Druck, wenn die Schutzflächen ausgebaut werden (+2 ppt.). 52 Prozent sehen ein Problem beim Wohnraum, wenn die Vorschriften von Neubauten verschärft werden (+2 ppt.).

Die Wirkungsanalyse aller Argumente auf die bisherigen Stimmabsichten zeigt, dass die Problemsicht entscheidet. Wer überzeugt ist, dass genügend für die sinkende Biodiversität gemacht wird, der neigt eher dem Nein zu als der Durchschnitt. Wer dagegen ohne mehr Engagement für die Biodiversität Milliardenkosten auf die Schweiz zukommen sieht, will eher für die Initiative stimmen.

Tatsächlich ist damit die konkrete Problembeurteilung zur Erklärung der aktuellen Stimmabsichten entscheidend. Die Ja-Seite kann im Hintergrund unterstützend mit dem Landschaftsbild und den Folgen der Umweltzerstörung argumentieren. Letzteres Argument büsste über die Zeit jedoch an Wirkungskraft ein. Die Nein-Seite kann primär mit den Folgen für die Landwirtschaft unterstützend argumentieren, während die Wohnraum-Argumentation weniger stark greift.

Trend in der Meinungsbildung

 

Die Debatte über die Biodiversitäts-Initiative ist im Sommer erst angelaufen, und sie wird letztlich über den Abstimmungsausgang am 22. September 2024 entscheiden. Die Beurteilung des Problemdrucks steht im Zentrum beim Entscheid gegen oder für die Biodiversitätsinitiative. Die bestehenden Vorteile der Initiativ-Seite konnten sich im Verlauf des Abstimmungskampfes nicht weiter durchsetzen. Die anfängliche knappe Mehrheit im Ja ist mit näherkommender Abstimmung weggebrochen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sich der feststellbare Nein-Trend weiter fortsetzt.

Trotz starker Sensibilisierung der Bevölkerung für die grossen Umweltprobleme, welche auf die Schweiz zukommen, gelang es der Befürworterschaft nicht ausreichend, die Notwendigkeit der Initiative bei einer Mehrheit zu positionieren und entsprechend zu mobilisieren.

 

 

Vielmehr besteht der Eindruck, dass Bund und Kantone bereits ausreichend handeln würden, und keine weiteren Massnahmen notwendig seien.

Das Problem ist also anerkannt, der Handlungsdruck fehlt jedoch. Diese Perspektive begünstigt somit die Nein-Seite. Einen Teil des Vorsprungs hat die Initiative auf dem Land und in der deutschsprachigen Schweiz bereits im Sommer auf diesem Weg verloren. Nun hat diese Entwicklung über die Hauptkampagnenphase auch auf anderen Regionen und auf Frauen ausgestrahlt. Zusätzlich gelang es nicht zusätzlich befürwortende Bevölkerungsgruppen zu mobilisieren.

Ein Nein zur Biodiversitätsinitiative ist das wahrscheinliche Szenario für den 22. September 2024 und entspricht auch der Erwartung der Mehrheit der Teilnahmewilligen selbst.

Reform der beruflichen Vorsorge BVG

Gegenwärtige Stimmabsichten knapp im Nein

Die anfängliche relativmehrheitliche Zustimmung zur BVG-Reform ist über die Hauptkampagnenphase weggebrochen. Ende August spricht sich eine knappe Mehrheit von 51 Prozent gegen die BVG-Reform aus, 42 Prozent dafür. Dieses Bild mit einem Rückgang beim Ja (-7 ppt.) und einer Zunahme beim Nein (+12 ppt.) entspricht einem deutlichen Nein-Trend.

Auch die Erwartungshaltung der Teilnahmewilligen präsentiert sich weniger optimistisch als noch vor einem Monat: Gesunkene 50 Prozent (-7 ppt.) gehen von einer Annahme am 22. September 2024 aus, gleichviele erwarten eine Ablehnung (+7 ppt.). Im Mittel wird der Ja-Anteil für die BVG-Reform auf 49.7 Prozent geschätzt (-0.8 ppt.).

Mittel fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

Deutlich gestiegene 60 Prozent äussern feste Stimmabsichten (+16 ppt.), und gesunkene 7 Prozent sind unentschieden (-5 ppt.). 56 Prozent der Stimmabsichten lassen sich anhand der Positionen bei den Argumenten erklären.

Das Meinungsbild hat sich innert Monatsfrist zwar verfestigt, bleibt aber hinter jenem zur Biodiversitätsinitiative zurück. Es ist als mittel bis fortgeschritten einzustufen, so dass weiterhin gradueller Spielraum für Veränderungen in den Stimmabsichten existiert.

Vorläufiges Konfliktmuster: Gegenwind von Regierungsmisstrauischen, von links und aus der französischsprachigen Schweiz

 

Die parteipolitische Orientierung der Teilnahmewilligen ist zusammen mit dem Regierungsvertrauen eine der stärksten Erklärungsgrössen für die Stimmabsichten zur BVG-Reform. Weiter erweisen sich die Sprachregion, das Alter und die Siedlungsart als wegweisend beim BVG-Entscheid. Der allgemeine Nein-Trend zeigt sich in sämtlichen Untergruppen. Insgesamt äussern sich 24 der insgesamt 32 untersuchten Untergruppen gegen die BVG-Reform und nur noch sieben dafür.

Eindeutig gegen die Vorlage sind Grüne und SP-nahe Wählende sowie Parteiungebundene. Dafür sind GLP-, Mitte- und FDP-Wählende. Gespalten zeigen sich SVP-Wählende. Der Nein-Trend zeigt sich bei allen Parteiwählerschaften, besonders deutlich ausgeprägt ist er im Umfeld der Grünen, der SP und bei Parteiungebundenen. Damit hat im linken parteipolitischen Umfeld ein klarer Angleich an die Parteiparolen stattgefunden. Bei allen anderen Wählergruppen haben sich die Stimmabsichten aber eher weg von der Parteiposition bewegt.

 

 

 

Starken Gegenwind erfährt die BVG-Reform von regierungsmisstrauischen Teilnahmewilligen. Ihre Ablehnung hat sich über den Kampagnenverlauf deutlich verfestigt.

Sprachregional betrachtet sticht die deutliche Ablehnung aus der französischsprachigen Schweiz ins Auge (60% eher/bestimmt dagegen, +17 ppt.), die der Gespaltenheit der anderen beiden Sprachräume gegenübersteht.

Bemerkenswert sind zwei soziodemographische Effekte: Frauen äussern sich nun etwas deutlicher gegen die Reform als Männer, und Stimmberechtigte unter 40 Jahren hegen von allen Altersgruppen noch am ehesten Sympathien für das Anliegen, allerdings bei wenig gefestigtem Meinungsbild.

Argumente: Reform ist ein Beschiss vs. Umwandlungssatz darf nicht zu hoch sein

Obwohl die Befürworterschaft mit der Betonung der Verbesserung der Situation von Teilzeitarbeitenden, insbesondere Frauen, über ein breitgeteiltes Argument für die BVG-Reform verfügt, kann sie nur beschränkt damit überzeugen. Es ist gemäss Regressionsanalyse nur am Rande relevant. Vielmehr dominiert das gegnerische Argument, dass bei der Reform handle es sich um einen Beschiss handle, weil Arbeitnehmende höhere Beiträge zahlen würden und später dann weniger Rente erhielten die Meinungsbildung zur Vorlage. (55% eher/voll einverstanden, +4 ppt.). Gemäss Regressionsanalyse hat dieses Argument nicht nur an Unterstützung gewonnen, sondern auch die stärkste Wirkung auf einen Stimmentscheid. Dahinter folgen zwei Pro-Argumente, wovon jedoch nur eines eine Mehrheit überzeugt: Relativmehrheitliche 48 Prozent pflichten stabil bei, dass der Umwandlungssatz für die BVG-Renten nicht zu hoch sein dürfe, weil sonst die Erwerbstätigen die Löcher stopfen müssen.

 

Mehrheitliche Zustimmung findet zudem das Argument, wonach angesichts der Teuerung eine Senkung der BVG-Renten für viele nicht verkraftbar sei (64% eher/voll einverstanden). Hingegen überzeugt das gegnerische KMU-Argument nach wie vor keine Mehrheit: Nur 35 Prozent sind einverstanden mit der Aussage, dass KMUs die Kosten der steigenden Lohnbeiträge in die Pensionskasse nicht verantworten können. 53 Prozent sind nicht einverstanden.

Indexiert man die Haltungen zu den Argumenten, so stehen 48 Prozent der Befürworterschaft näher und nur 41 Prozent den Gegnerschaft. 11 Prozent sind indifferent. Dennoch will eine Mehrheit gegen die BVG-Reform stimmen. Die breite Zustimmung zum Argument der Besserstellung von Teilzeitarbeitenden erklärt den argumentativen Überhang der Pro-Seite. Aber dieses Argument ist nicht weiter relevant für den Stimmentscheid zur BVG-Reform.

Trend in der Meinungsbildung

Über den Verlauf der Hauptkampagnenphase hat ein Nein-Trend zur BVG-Reform eingesetzt. Für eine Behördenvorlage entspricht dies dem Ausnahmefall, und der übliche Angleich der Stimmabsichten an die Position von Parlament und Bundesrat blieb aus. Auf individueller Ebene finden sich sogar eher Anzeichen, dass vielmehr das Gegenteil der Fall war: Unter den aktuellen Teilnahmewilligen, die gegen die BVG-Reform sind befinden sich nicht wenige ursprüngliche Befürworter:innnen. Inhaltlich liegt diese Entwicklung im Eindruck begründet, dass es sich bei der Reform um einen Beschiss handle.

Die Vorlage ist komplex, die Auswirkungen im Einzelfall schwer nachvollziehbar und dazu entstand, medial befeuert, ein Klima der Verunsicherung in Bezug auf kommunizierte Zahlen und Auswirkungen der Reform. Gespaltenes Auftreten politischer Akteure, zum Beispiel der Frauenverbände oder der SVP mit abweichenden kantonalen Sektionen und Exponent:innen, dürften diese Unsicherheit verschärft haben.

 

Die Meinungsbildung fällt den Teilnahmewilligen eher schwer. Der Stand der Meinungsbildung bleibt zurück, und im Zweifelsfalle behält man lieber den Spatz in der Hand.

Weiter erwiesen sich tiefere Renten als mehrheitsfähige Warnung aus dem gegnerischen Lager und  der Renten-Beschiss als massgebende Angst beim Stimmentscheid. In der Summe führte dies zu einem Sinken des Ja-Anteils über den Kampagnenverlauf, welchem selbst die zusätzliche Mobilisierung liberal gesinnter Wählergruppen keinen Einhalt gebieten konnte. Ein solcher Nein-Trend ist praktisch unumkehrbar, womit eine Ablehnung der Reform das wahrscheinlichste Szenario für den 22. September 2024 ist. Das legen neben den Stimmabsichten, den argumentativen Haltungen und den Trends nicht zuletzt auch die Erwartungshaltungen der Teilnahmewilligen selbst nahe.

Teilnahmeabsichten

Durchschnittliche Teilnahmeabsicht für die Abstimmung vom 22. September 2024

Die gemessene Beteiligungsbereitschaft für den 22. September 2024 liegt mit 47 Prozent aktuell exakt beim langjährigen Durchschnitt (47% zwischen 2011 und 2023 gemäss BFS) und ist über die Hauptkampagnenphase hinweg erwartungsgemäss leicht angestiegen (+4 ppt.).

 

 

Mit der Schlussmobilisierung dürfte der Wert nochmals etwas ansteigen, so dass eine durchschnittliche bis leicht überdurchschnittliche Teilnahme am Urnengang vom 22. September 2024 zu erwarten ist.

Profil der Beteiligungswilligen

Mobilisiert wurden bisher primär Junge, Stimmberechtigte mit Vertrauen in die Regierung, solche mit hohen bis sehr hohen Haushaltseinkommen und Männer. Demobilisierungstendenzen finden sich dagegen bei Stimmberechtigten mittleren Alters und solchen aus geringverdienenden Haushalten. Weiterhin bekunden jedoch ältere, höher gebildete und besser verdienende Stimmberechtigte sowie Männer erhöhte Teilnahmeabsichten. Sofern die Debatte nicht noch verstärkt weitere Kreise erfasst, dürfte das Muster der Teilnahme am 22. September 2024 dem jetzigen naheliegen.

Politisch gesprochen bleiben Stimmberechtige, die links-grünen Parteien (vor allem SP und GLP) nahestehen, stärker mobilisiert als andere parteipolitische Lager. Am tiefsten fällt die Mobilisierung von Parteiungebundenen aus. Unter dem Mittel liegen die Teilnahmeabsichten von Stimmberechtigten mit Parteiaffinität für die Mitte oder die SVP. Am stärksten mobilisiert wurden im Verlauf der Hauptkampagnenphase liberal gesinnte Wählergruppen (GLP und FDP) während die Teilnahmeabsichten der übrigen Wählerschaften stagnieren.

 

 

Regional betrachtet sind die Teilnahmeabsichten in kleinen bis mittleren Agglomerationen am stärksten angestiegen. Sie bleiben in ländlichen Gebieten hinter jenen der stärker besiedelten Agglomerationen zurück. Besonders Städter:innen waren von Beginn weg überdurchschnittlich mobilisiert. Über die Sprachräume hinweg betrachtet sind die Teilnahmeabsichten überall in ähnlichem Masse angestiegen. So bleibt die Mobilisierung in der Deutschschweiz am höchsten, gefolgt von der französisch- und italienischsprachigen Schweiz.

Da weder insgesamt noch in der Gruppe der Parteiungebundenen oder der Regierungsmisstrauischen Mobilisierungsschübe zu erkennen sind, ist für den 22. September 2024 von einer Regelbeteiligung nahe am Mittelwert der letzten Jahre ohne übermässiges Protestpotenzial auszugehen.

Zitierweise

Zweite Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 22. September 2024 vom Forschungsinstitut gfs.bern. Realisiert zwischen dem 26. August und dem 4. September 2024 bei 13’979 Stimmberechtigten. Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.8 Prozentpunkte.

Methode und Datengrundlage

Der telefonische Teil der vorliegenden Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Auswertung und Analyse der Daten nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor.

Befragt wurde via eines RDD-Dualframe-Verfahrens per Festnetz und Handy. Seit dem Herbst 2018 wird im Rahmen des SRG-Trend-Mandats die telefonische Umfrage durch eine Online-Befragung ergänzt, mit dem Ziel die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen. Der Online-Teil wurde als Opt-in-Befragung (Mitmachbefragung) über die Webportale der SRG SSR Medien realisiert.

Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten in der CATI-Befragung überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht.

Keine Aussagen können wir über das Ständemehr machen, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu.

Weiterführende Informationen zur Theorie und der Methode der SRG-Trendumfragen finden sich hier.

Technischer Kurzbericht

Auftraggeber: CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit: Stimmberechtigte Schweizer:innen
Herkunft der Adressen CATI: Stichprobenplan Gabler/Häder für RDD/Dual-Frame; Verwendung Swiss-Interview-Liste,
Herkunft der Adressen Online: Opt-in-Befragung über die Webportale der SRG SSR
Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI) und Online
Art der Stichprobenziehung CATI: at random/Geburtstagsmethode im Haushalt geschichtet nach Sprachregionen
Art der Stichprobenziehung Online: offene Mitmachumfrage
Befragungszeitraum: 26. August– 4. September 2024
mittlerer Befragungstag: 31. August 2024
Stichprobengrösse: minimal 1’200, effektiv 13’979 (Cati: 1’210, Online: 12’769), n DCH:11’022, n FCH: 2’534, n ICH: 423
Stichprobenfehler: ± 2.8 Prozentpunkte bei einem Wert von 50% (und 95%iger Wahrscheinlichkeit)
Quotenmerkmale CATI: Geschlecht/Alter interlocked
Quotenmerkmale Online: keine
Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Sprache, Siedlungsart, Parteiaffinität, Recall, Teilnahme
mittlere Befragungsdauer CATI: 10.5 Minuten (Standardabweichung: 2.8 Minuten)
Publikation: 11. September 2024, 6h00