1. SRG-Trendumfrage zur Abstimmung vom 9. Juni 2024

Zu Beginn der Hauptkampagnenphase:

Prämien-Entlastungs-Initiative - Mehrheit dafür

Kostenbremse-Initiative - Mehrheit dafür

Stopp Impfpflicht-Initiative - Mehrheit dagegen

Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung - Mehrheit dafür

Studie im Auftrag der SRG SSR

Wäre bereits am 19. April 2024 abgestimmt worden, wäre das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung und die beiden Initiativen zur Prämienentlastung und zur Kostenbremse angenommen worden, während die Stopp Impfpflicht-Initiative abgelehnt worden wäre. Die Stimmbeteiligung hätte aktuell mit 46 Prozent leicht unter dem langjährigen Durchschnitt (47.1% zwischen 2011 und 2022 gemäss BFS) gelegen.

Hier liegt eine Momentaufnahme rund sieben Wochen vor dem Abstimmungstag vor und nicht eine Prognose. Die Studie beschreibt die Ausgangslage zu Beginn der Hauptkampagnenphase.

Alle Angaben gelten bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Unsicherheitsbereich von ±2.8 Prozentpunkten. Der Abstimmungskampf und die Meinungsbildung setzen erst ein und können bei Volksabstimmungen nachweislich das Ja/Nein-Verhältnis beeinflussen. Hinzu kommen Effekte aus der noch unbekannten Mobilisierung durch die Kampagnen.

Die Befunde der Umfrage werden anhand des Dispositionsansatzes von gfs.bern theoretisch verortet.

Hier finden sich Hintergrundinformationen zu den Vorlagen der Juni-Abstimmung und hier zur Methode der SRG-Trendumfragen.

Ausserdem können Sie hier eine vollständige Grafiksammlung herunterladen.

Prämien-Entlastungs-Initiative

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Gegen Mitte April 2024 wäre die Initiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» vom Volk mehrheitlich angenommen worden. 56 Prozent der Teilnahmewilligen bekundeten eine mindestens tendenzielle Ja-Stimmabsicht. 40 Prozent wollten eher oder bestimmt dagegen stimmen. Aussagen zum Ständemehr sind auf Basis der vorliegenden Daten nicht möglich.

Die teilnahmewilligen Stimmberechtigten gehen bislang von einer Annahme der Prämien-Entlastungs-Initiative aus. 59 Prozent erwarten ein Ja zur Initiative am 9. Juni 2024, 41 Prozent ein Nein. Im Mittel wird der Ja-Anteil auf 51.4 Prozent geschätzt. Die Werte bei der Schätzung des Resultats sind sehr vergleichbar zur Ausgangslage bei der 13. AHV-Initiative. Die Stimmabsichten sind etwas weniger deutlich im Ja als bei der ersten Befragungswelle zur 13. AHV-Rente.

Mittlerer bis fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

33 Prozent sprechen sich bestimmt für die Initiative zur Prämienentlastung aus, 26 Prozent bestimmt dagegen. 59 Prozent sind fest entschieden, was in einer frühen Phase ein erhöhter Wert ist. Zudem lassen sich knapp mehr als die Hälfte der Stimmabsichten auch mit den Argumenten gut nachvollziehen, so dass der Stand der Meinungsbildung insgesamt als mittel fortgeschritten bezeichnet werden kann. Spielraum für Kampagnen existiert aber bei den 37 Prozent lediglich tendenziell Entschiedenen (23% eher dafür/14% eher dagegen) und den 4 Prozent noch gänzlich Unentschiedenen.

Polarisierung zwischen Links und Rechts und Schichtabhängigkeit

Die Prämien-Entlastungs-Initiative wird in der Ausgangslage unterschiedlich beurteilt, je nachdem welcher Partei sich die Befragten zugehörig fühlen. Klar dafür sind die Anhängerschaften von Grünen und der SP. Etwas mehr als zwei Drittel der Parteiungebunden sind ebenfalls für die Prämien-Entlastung wie sie die Initiative vorschlägt. Mehrheitlich dagegen sind SVP-, GLP- und FDP-Anhänger:innen. Gespalten mit leichten Vorteilen für die Nein-Seite äussern sich die Anhängerschaften der Mitte.

Sehr positiv beurteilen die tiefsten und tieferen Einkommensschichten die Vorlage. Weniger deutliche Vorteile geniesst die Vorlage im mittleren Einkommensbereich. Die höchsten Einkommen sind mehrheitlich dagegen. Frauen beurteilen die Vorlage zu 61 Prozent sehr oder eher positiv und damit besser als Männer, die nur knapp mehrheitlich dafür sind.

 

 

Alle Altersgruppen beurteilen die Vorlage ähnlich positiv. Der Altersgraben dürfte sich hier nicht öffnen. Allerdings zeichnet sich ein starker Sprachgraben ab. Während in der deutschsprachigen Schweiz nur 50 Prozent für die Initiative stimmen würden, sind es in der französischsprachigen Schweiz 71 Prozent und in der italienischsprachigen Schweiz 73 Prozent. Auslandschweizer:innen äussern sich deutlich positiver als Stimmwillige, die in der Schweiz wohnhaft sind. Ein Stadt-Land-Graben ist in der Ausgangslage dagegen kaum erkennbar.

Das Konfliktmuster ist insgesamt akzentuierter als zu Beginn der Debatte über die 13. AHV-Rente, als der Altersgraben jeweils besonders im Fokus stand.

Argumente: Finanzielle Entlastung von Familien oder Belastung des Mittelstands?

Inhaltlich präsentiert sich die Ausgangslage zur Prämien-Entlastungs-Initiative ähnlich wie bei den Stimmabsichten. 57 Prozent stehen argumentativ dem Ja-Lager näher, 37 Prozent dem Nein-Lager. Tendenziell würden vor allem die Anhängerschaften der GLP, der Mitte und der FDP deutlicher dem Ja zuneigen als dies bei den Stimmabsichten zum Ausdruck kommt. Es ist ein Hinweis dafür, dass die Parolen bereits eine gewisse Wirkung zeigten und ergänzend zur inhaltlichen Beurteilung hinzugezogen wurden.

Alle drei der hier getesteten Pro-Argumente ernten mehrheitliche Zustimmung und wirken wie intendiert auf einen Stimmentscheid. Die grösste Wirksamkeit auf einen befürwortenden Stimmentscheid entfaltet das Argument, dass die Familien ebenso wie Personen mit mittleren Einkommen und Pensionierte profitieren. 70 Prozent stimmen diesem Argument zu.

69 Prozent unterstützen die Aussage, dass mit der Initiative der Druck auf die Politik steigt, weil sich der Kostendruck weg von den Prämienzahlenden entwickelt. Dies ist das zweitwirksamste Argument. Am meisten unterstützt wird das Argument des dringenden Handlungsbedarfes wegen der Kosten. 88 Prozent stimmen hier zu. Es ist aber nur das drittwirksamste Argument zur Erklärung der Stimmabsichten.

Die Finanzierungsfrage erklärt die Nein-Stimmabsicht aber auch mit. 58 Prozent sehen durch höhere Steuern zusätzliche Belastungen auf Familien und den Mittelstand zukommen. Dies ist das bisher wirksamste Argument auf die Meinungsbildung. Die beiden weiteren Nein-Argumente sind zwar auch wirksam, aber nicht mehrheitsfähig. 48 Prozent befürchten, dass die Sparanreize wegfallen – genau der gleich hohe Anteil hegt aber diese Befürchtungen nicht. 45 Prozent unterstützen das Argument, dass sparsame Kantone weniger sparsame mitfinanzieren. 46 Prozent sehen das nicht so.

Trend in der Meinungsbildung

Typologisch handelt es sich bei der Initiative um eine positiv prädisponierte Vorlage. Die meisten Menschen, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, unterstützen sie. Das ist normal zu Beginn der Hauptkampagne einer Initiative, aber es bedeutet nicht unbedingt, dass sie erfolgreich sein wird. Im Moment ist das Ergebnis der Abstimmung noch ungewiss.

Normalerweise passen die Stimmberechtigten ihre Meinungen während der Kampagne einer Initiative den Empfehlungen von Bundesrat und Parlament an, da die Argumente der Gegnerschaft in der Debatte mehr Raum einnehmen. Es wird weniger über die Initiativ-Idee debattiert, sondern mehr über die Probleme der vorgeschlagenen Lösung.

 

Steht der Problemdruck in der Debatte jedoch stark im Zentrum, kann dies aber die Effekte der Nein-Seite bremsen. Das war deutlich bei der 13. AHV-Rente der Fall, muss sich aber nicht wiederholen.

Das Ständemehr ist eine weitere Hürde aller Volksinitiativen. Da die Kantonsthematik eine gewisse Rolle in der Meinungsbildung spielt und sprachregionale Unterschiede markant sind, könnte sich dies für die Prämien-Entlastungs-Initiative als besonders schwierige Hürde in Richtung Annahme entpuppen.

Initiative für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Mitte April 2024 hätte die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» die Hürde des Volksmehrs knapp überwunden. 52 Prozent der Teilnahmewilligen zeigten eine mindestens tendenzielle Zustimmung. 41 Prozent waren eher oder sicher dagegen. Aussagen zum Ständemehr sind mit den vorliegenden Daten nicht möglich.

Die teilnahmewilligen Stimmberechtigten erwarten aber eine Ablehnung der Kostenbremse-Initiative. 45 Prozent rechnen mit einer Zustimmung am 9. Juni 2024, 55 Prozent mit einer Ablehnung. Im Durchschnitt wird der Ja-Anteil auf 47,8 Prozent geschätzt. Die Stimmungslage bei der zweiten gesundheitspolitischen Vorlage ist damit kritischer als bei der Prämien-Entlastungs-Initiative.

Schwach-mittel fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

22 Prozent unterstützen die Kostenbremse-Initiative sicher, 21 Prozent sind sicher dagegen. Diese insgesamt 43 Prozent der fest Entschlossenen deuten auf eine wenig vorhersehbare Abstimmung hin. Etwas mehr als die Hälfte der Stimmabsichten sind allerdings bereits durch die Argumente gut nachvollziehbar, sodass der Meinungsbildungsprozess insgesamt als schwach-mittel fortgeschritten einschätzbar ist. Spielraum für Kampagnen existiert bei den 50 Prozent lediglich tendenziell Entschiedenen und den 7 Prozent noch gänzlich Unentschiedenen.

Die Mitte-Anhängerschaft und Unzufriedene hegen Sympathien für die Kostenbremse

Politisch ist das Muster der Zustimmung und Ablehnung der Initiative aussergewöhnlich, was auch mit der Initiantin zu tun hat. Die Anhängerschaften der Mitte sind mit 63 Prozent dafür. Von den übrigen Parteisympathisant:innen sind lediglich die Grünen noch knapp mehrheitlich für die Kostenbremse. Die übrigen Parteianhängerschaften unterstützen das Anliegen entweder knapp nicht mehrheitlich oder dann wie im Fall der FDP sogar recht deutlich. Am stärksten für die Kostenbremse-Initiative votieren allerdings Personen ohne Parteibindung.

Recht deutlich zeigt sich auch, dass Regierungsmisstrauische der Vorlage viel Sympathien abgewinnen können. Damit dürfte diese Gruppe auch eine Unzufriedenheit mit dem Funktionieren des heutigen Gesundheitssystems zum Ausdruck bringen.

Schichtabhängigkeiten zeigen sich einigermassen deutlich: Wer keine nachobligatorische Ausbildung abschloss oder eine Berufslehre absolvierte, ist eher für die Vorlage. Wer sich dagegen akademisch aus- oder weiterbildete, unterstützt die Vorlage weniger.

Das gleiche Muster erkennen wir beim abgefragten Haushaltseinkommen. In den unteren Einkommensgruppen ist die Initiative deutlich mehrheitsfähig, in den mittleren knapp mehrheitlich und in den obersten Einkommensgruppen halten sich Zustimmung und Ablehnung ungefähr die Waage.

Regional betrachtet unterstützt die deutschsprachige Schweiz die Vorlage nur minderheitlich, die französischsprachige Schweiz jedoch deutlich mehrheitlich. Kaum Kritik an der Initiative kommt aus der italienischsprachigen Schweiz. Auf dem Land geniesst die Kostenbremse-Initiative am meisten Sympathien. In den kleinen und mittleren Agglomerationen ist sie knapp mehrheitsfähig, und in den Städten sind ähnliche Anteile dafür wie dagegen.

Wie bei der Prämien-Entlastungs-Initiative zeigt sich bei der Kostenbremse kein Altersgraben. Alle Altersgruppen unterstützen die Initiative knapp mehrheitlich. Die Kostenbremse wird ausserdem von Männern und Frauen auch praktisch gleich beurteilt.

Argumente: Lösungsbeitrag oder ungewollte Konsequenzen der Lösung?

Nur zwei der drei Pro-Argumente sind meinungswirksam. Bedeutsam für die Meinungsbildung bisher ist die Unterstützung des Arguments, dass es für Einsparungen relevant ist, wenn sich alle Akteure an einen Tisch setzen. Das unterstützen 63 Prozent der Befragten. Ebenfalls wirksam ist das Argument, dass nur eine Kostenbremse die Belastungen von Familien reduzieren kann. Dieses Argument unterstützen 52 Prozent. Etwas mehr Unterstützung erhält das Argument, dass bei einer effizienteren Leistungserbringung kein Abbau von Leistungen erfolgen müsste. Dieses Pro-Argument hat die Meinungsbildung aber nicht beeinflusst.

Alle drei Gegenargumente sind wirksam, stehen aber bisher zur Erklärung der Meinungsbildung nicht so deutlich im Vordergrund.

 

 

Wer die Kostenbremse als zu starr beurteilt oder befürchtet, dass Bürokraten über notwendige Eingriffe entscheiden bzw. es falsch findet, dass die Gesundheitsversorgung an die Wirtschaftsentwicklung gekoppelt wird, der will eher Nein stimmen. Alle drei Nein-Argumente, die Aspekte der vorgeschlagenen Lösung problematisieren, sind mehrheitsfähig.

Insgesamt wird die Vorlage auf Basis der getesteten Argumente kritischer beurteilt als dies bei den Stimmabsichten zum Ausdruck kommt. 44 Prozent stehen inhaltlich betrachtet eher der Ja-Seite näher, 46 Prozent der Nein-Seite.

Trend in der Meinungsbildung

Typologisch handelt es sich bei der Initiative um eine nur knapp positiv prädisponierte Vorlage. Bereits die Erwartungshaltungen zum Abstimmungsausgang verweisen auf eine andere Ausgangslage als bei der Prämien-Entlastungs-Initiative. Im Normalfall der Meinungsbildung zu einer Initiative gleichen sich die Stimmabsichten der Stimmberechtigten über den Kampagnenverlauf an die Empfehlungen von Bundesrat und Parlament an, weil gegnerische Argumente in der Debatte mehr Raum einnehmen. Das würde im vorliegenden Fall Richtung Ablehnung weisen, weil Probleme der vorgeschlagenen Lösung bereits die Debatte prägen.

 

 

Tritt dieser Normalfall im gewohnten Ausmass ein, wird die Initiative für eine Kostenbremse abgelehnt.

Wird der Problemdruck im Schatten der in der Ausgangslage aussichtsreicheren Prämien-Entlastungs-Initiative weiterhin als hoch wahrgenommen, kann die Debatte aber auch unerwartet verlaufen und beispielsweise Regierungskritische oder Parteiungebundene mobilisieren, die der Idee einer Kostenbremse viel Sympathien abgewinnen. Unabhängig vom Debattenverlauf ist die Hürde beim Ständemehr zu bedenken.

Stopp Impfpflicht-Initiative

Gegenwärtige Stimmabsichten im Nein

Hätte die Abstimmung bereits am 19. April stattgefunden, wäre die Stopp Impfpflicht-Initiative deutlich abgelehnt worden. Lediglich 27 Prozent der Teilnahmewilligen bekundeten eine Ja-Stimmabsicht. 70 Prozent wollten dagegen stimmen.

Zusätzlich wird von einer klaren Mehrheit der Teilnahmewilligen erwartet, dass die Stopp Impfpflicht-Initiative abgelehnt wird (77%). Der antizipierte Mittelwert der Befragten liegt bei 42.5 Prozent.

 

Fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

17 Prozent plädieren bestimmt für die Initiative und 55 Prozent bestimmt dagegen. Dies deutet auf eine vorbestimmte Abstimmung und einen fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung hin. Darüber hinaus ist die argumentative Begründung für die Stimmabgaben solide und die Hälfte der Stimmabsichten lassen sich durch die Argumente nachvollziehen.

Klares Konfliktmuster: Regierungsvertrauen, Parteibindung, Sprachregion und Bildung sind entscheidend

Einzig die SVP unterstützt die Stopp Impfpflicht-Initiative mehrheitlich. Ebenfalls im Vergleich zu den anderen Parteien relativ hohe Zustimmungswerte erfährt die Initiative von den Parteiungebundenen (47% eher/bestimmt dafür). Ansonsten unterstützen lediglich Minderheiten das Anliegen. Zudem hegen regierungsmisstrauische Teilnahmewillige öfters Sympathien für die Stopp Impfpflicht-Initiative (45% eher/bestimmt dafür).

Nach Sprachregionen differenziert ist die Zustimmung in der italienischsprachigen Schweiz höher als in anderen Sprachregionen und auch der Gesamtschweiz.

 

 

In der Deutschschweiz sind die Werte mit der Gesamtschweiz vergleichbar und in der Romandie fallen sie tiefer aus.

Daneben spielt auch die Bildung eine Rolle: Im Bildungskontext können die Teilnahmewilligen mit hohem Bildungsgrad der Stopp Impfpflicht-Initiative am wenigsten abgewinnen. Je tiefer der Bildungsgrad ausfällt, desto eher wird für das Anliegen gestimmt.

Argumente: Pro-Argumente in der breiten Bevölkerung wenig abgestützt, bei den Unterstützern jedoch überzeugend

Bei allen Teilnahmewilligen überzeugt die Contra-Seite mehrheitlich mit ihren Argumenten. Die Ansicht, dass die körperliche und geistige Unversehrtheit bereits in der Verfassung verankert ist, erweist sich als besonders schlüssig bei den Teilnahmewilligen. Auch wird von rund zwei Dritteln der Teilnehmenden die Bedeutung einer Impfpflicht in Fall einer Epidemie anerkannt. Am wenigsten Zustimmung erfährt die Argumentation, wonach die Forderungen der Initiative weit über die Frage des Impfens hinaus gehen, was Rechtsunsicherheiten in Bezug auf den Strafvollzug zur Folge hat. Während die Meinungsbildung bei den beiden erstgenannten Argumenten bereits fortgeschritten ist, ist die Unentschiedenheit bei letzterem vergleichsweise (noch) leicht höher.

Weniger überzeugen die Pro-Argumente: Einzig ist eine Mehrheit damit einverstanden, dass jeder Mensch frei ist, wenn er selbstbestimmt über den eigenen Körper verfügen kann (55%). Weder die Argumentationen für eine Zweiklassengesellschaft noch in Bezug auf eine unzuverlässige Politik vermögen eine Mehrheit zu überzeugen. Die Meinungen sind hierbei fest verankert.

 

 

 

Gerade jene Argumente, welche die niedrigsten Zustimmungswerte erhalten, zeigen sich als besonders wirksam. Sprich die Pro-Argumente entfalten eine grösser Wirkung auf den Stimmentscheid, als die Contra-Argumente. Insbesondere wer Zweifel an der Politik im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie hegt, würde am 9. Juni ein Ja in die Urne legen.

Ähnlich wirksam sind die beiden Argumente mit den höchsten Zustimmungswerten. Es stimmen also potenziell jene Teilnahmewilligen gegen die Stopp-Impfpflicht-Initiative, die der Meinung sind, dass die Verfassung bereits heute die körperliche Unversehrtheit schützt und dass die Impfpflicht im Falle einer erneuten Pandemie strengere Schutzmassnahmen unterbinden würde.

Trend in der Meinungsbildung

Die Situation spricht für eine Ablehnung der Stopp Impfpflicht-Initiative. Nicht nur liegen die Zustimmungswerte auf tiefem Niveau, sondern die Teilnahmewilligen selbst erwarten, dass die Vorlage an der Urne scheitert. Eine breite Abstützung in der Bevölkerung fehlt gänzlich. Einzig von der SVP-Anhängerschaft wird die Stopp Impfpflicht- Initiative mehrheitlich unterstützt.

 

Das Meinungsbild ist zudem bereits fortgeschritten, sei es bei den Argumenten oder der Stimmabsicht selbst, und die Teilnahmewilligen sind sich ihrem Standpunkt sicher.

Tritt bei der negativ disponierten Initiative, wie sie hier vorliegt, der Normalfall ein, ist damit zu rechnen, dass die Stopp Impfpflicht-Initiative vom Stimmvolk abgelehnt wird.

Stromversorgungs-Gesetz

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Eine klare Mehrheit von 75 Prozent der Teilnahmewilligen hätte am 19. April 2024 bestimmt oder eher für das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Änderung des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes – kurz: Mantelerlass) gestimmt. 19 Prozent äusserten sich eher oder klar dagegen. 6 Prozent waren noch unentschieden.

Die Erwartung der Teilnahmewilligen hinsichtlich des Abstimmungsausgangs am 9. Juni 2024 ist ebenfalls deutlich im Ja: Der Ja-Anteil für den Abstimmungssonntag wird im Mittel auf 55 Prozent geschätzt. 77 Prozent der Teilnahmewilligen gehen von einer Annahme aus, nur 23 Prozent von einer Ablehnung.

In der Ausgangslage sind die Stimmabsichten leicht stärker im Ja als beim Klima- und Innovationsgesetz vom Juni 2023 und deutlich höher als beim CO2-Gesetz vom Juni 2021.

 

Mittlerer Stand der Meinungsbildung

57 Prozent äussern in dieser frühen Phase des Abstimmungskampfes feste Stimmabsichten. Zudem lassen sich mehr als zwei Drittel der Stimmabsichten anhand der Positionen bei den Argumenten erklären, was vergleichsweise ein hoher Wert ist.

Insgesamt entspricht dies einem mittleren Stand der Meinungsbildung. Es besteht Raum für Veränderungen der Stimmabsichten.

 

Vorläufiges Konfliktmuster primär politisch aufgeladen

Es zeichnet sich nur ein parteipolitisches Muster der frühen Stimmabsichten ab: Die SVP-Anhängerschaft neigt mit 48 Prozent Nein eher zur Ablehnung als zur Zustimmung (46% bestimmt oder eher für das Stromversorgungs-Gesetz). Alle übrigen Gruppen sind mehrheitlich im Ja. Mehr Ablehnung als im Mittel ergeben sich bei Regierungsmisstrauischen (36% Ablehnung) und Parteiungebunden (27% Ablehnung).

 

 

 

Deutlich im Ja sind insbesondere die Anhängerschaften aller Parteien ausser derjenigen der SVP. Die Zustimmungsneigung ist ausgeprägter bei akademisch Gebildeten und Haushalten mit höheren Einkommen. Mit 23 Prozent Nein-Anteil ist die Kritik regional betrachtet in der italienischsprachigen Schweiz am ehesten formiert. In der französischsprachigen Schweiz wollen 77 Prozent bestimmt oder eher Ja stimmen und in der deutschsprachigen Schweiz 74 Prozent.

Argumente: Notwendiger Schritt für die Energiewende

Alle drei Ja-Argumente sind sehr breit abgestützt: Dies betrifft die Reduktion der Auslands-Abhängigkeit, die Risikoreduktion wegen internationaler Konflikte und der nötige Schritt zur Energiewende. Nur ein Nein-Argument überzeugt eine Mehrheit: nämlich, dass die Schweiz nicht ausschliesslich mit erneuerbaren Energien den Strombedarf komplett abdecken kann. Der Schaden an Umwelt und im Landschaftsbild und die Aushebelung der bewährten Beschwerderechte sind keine mehrheitsfähigen Argumente.

 

 

 

Die hohe Kongruenz zwischen Stimmabsichten und Haltungen zu den Argumenten verweist auf inhaltlich fundierte Stimmentscheide (Erklärungsgrad Regressionsmodell: 69%). Alle drei Ja-Argumente erklären die Ja-Mehrheit besser als die Nein-Argumente. Im Zentrum steht bisher die Darstellung als notwendiger Schritt zur Energiewende. Das einzig starke Nein-Argument, dass die Schweiz nicht allein mit erneuerbaren Energien die Stromversorgung sichern kann, ist bisher nicht relevant für die Meinungsbildung.

Trend in der Meinungsbildung

Insgesamt handelt es sich beim Stromversorgungs-Gesetz um eine positiv prädisponierte Behördenvorlage, womit die Befürworter:innen über einen wichtigen Startvorteil verfügen. Der Vorsprung der Ja-Seite ist hoch, und die geäusserten Stimmabsichten sind bereits in diesem frühen Stadium des Abstimmungskampfes gefestigt. Die Stimmberechtigten selber gehen eindeutig von einer Annahme der Vorlage aus und stehen auch inhaltlich hinter dem vorgeschlagenen Stromgesetz. Weiter herrscht nur bei der SVP-Wählerschaft formierte Kritik vor, wobei trotz Nein-Parole auch bei der SVP-Elite die Konstellation nicht eindeutig gegen das Gesetz formiert ist.

 

Die Stimmabsichten stimmen mit den Haltungen zu den Pro- und Contra-Argumenten ebenfalls überein, weil eine klare Mehrheit dies als einen notwendigen Schritt für die Energiewende erachtet. Ein Ja zum Stromversorgungs-Gesetz ist bei der vorgefundenen Ausgangslage das wahrscheinliche Szenario für den 9. Juni 2024. Erst wenn die Gegnerschaft im weiteren Verlauf der Kampagne argumentativ die Oberhand gewinnt, könnte eine einseitige Polarisierung Richtung Nein einsetzen. Allerdings ist die bisherige Problematisierung des Gesetzes kaum ausserhalb der SVP-Anhängerschaft wirksam.

Teilnahmeabsichten

Durchschnittliche Teilnahmeabsicht für die Abstimmung vom 9. Juni 2024

Die bisher gemessene Beteiligungsbereitschaft für den 9. Juni 2024 ist mit 46 Prozent knapp unter dem langjährigen Durchschnitt (47.1% zwischen 2011 und 2022 gemäss BFS).

 

 

Der Wert dürfte über den Kampagnenverlauf weiter ansteigen, so dass eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Teilnahme am Urnengang vom 9. Juni 2024 zu erwarten ist.

Profil der Beteiligungswilligen

Wie üblicherweise bekunden ältere, höher gebildete und besser verdienende Stimmberechtigte erhöhte Teilnahmeabsichten. Sofern die Debatte nicht noch verstärkt weitere Kreise erfasst, dürfte das Muster der Teilnahme am 9. Juni 2024 dem jetzigen naheliegen. Nennenswert ist, dass Stimmberechtigte, die der Regierung eher skeptisch gegenüberstehen, eine hohe Teilnahmebereitschaft aufweisen (63%). Über sämtliche Untergruppen betrachtet, entspricht dies dem zweithöchsten Wert. Einzig die besser verdienenden Stimmberechtigten weisen eine stärkere Mobilisierung auf: 68 Prozent von ihnen geben an, bestimmt an der Abstimmung teilnehmen zu wollen.

Während sich über die Sprachregionen hinweg ein vergleichbarer Mobilisierungsgrad zeigt, ergeben sich betreffend der Siedlungsart Unterschiede: Während eine knappe Mehrheit der urban lebenden Stimmberechtigten bestimmt teilnehmen wollen, sind es in der Agglomeration und auf dem Land jeweils eine Minderheit.

 

 

Politisch gesprochen sind Stimmberechtige, die links-grünen Parteien (Grüne, SP) nahestehen, in der Ausgangslage stärker mobilisiert als andere parteipolitische Lager. Am tiefsten fällt die Mobilisierung der Stimmberechtigten mit rechter Parteiaffinität (SVP) aus. Nur leicht höher liegt der Wert bei den Parteiungebundenen (36%).

Insgesamt ist eine Polarisierung der Debatte mit zusätzlichen Mobilisierungseffekten in verschiedenen Gruppen zu erwarten, da mit den vier Vorlagen eine breite Palette an Themen angesprochen wird, die auch unterschiedliche Kreise wie die Covid-Skepsis-Bewegung noch stärker mobilisieren könnte. Bleibt der Fokus eher auf dem Stromversorgungs-Gesetz und den Gesundheitsinitiativen, könnte es aber beim jetzigen Muster bleiben.

Zitierweise

Erste Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 9. Juni 2024 vom Forschungsinstitut gfs.bern. Realisiert zwischen dem 12. und dem 25. April 2024 bei 11’040 Stimmberechtigten. Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.8 Prozentpunkte.

Methode und Datengrundlage

Der telefonische Teil der vorliegenden Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Auswertung und Analyse der Daten nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor.

Befragt wurde via eines RDD-Dualframe-Verfahrens per Festnetz und Handy. Seit dem Herbst 2018 wird im Rahmen des SRG-Trend-Mandats die telefonische Umfrage durch eine Online-Befragung ergänzt, mit dem Ziel die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen. Der Online-Teil wurde als Opt-in-Befragung (Mitmachbefragung) über die Webportale der SRG SSR Medien realisiert.

Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten in der CATI-Befragung überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht.

Keine Aussagen können wir über das Ständemehr machen, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu.

Weiterführende Informationen zur Theorie und der Methode der SRG-Trendumfragen finden sich hier.

Technischer Kurzbericht

Auftraggeber: CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit: Stimmberechtigte Schweizer:innen
Herkunft der Adressen CATI: Stichprobenplan Gabler/Häder für RDD/Dual-Frame; Verwendung Swiss-Interview-Liste,
Herkunft der Adressen Online: Opt-in-Befragung über die Webportale der SRG SSR
Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI) und Online
Art der Stichprobenziehung CATI: at random/Geburtstagsmethode im Haushalt geschichtet nach Sprachregionen
Art der Stichprobenziehung Online: offene Mitmachumfrage
Befragungszeitraum: 12. – 25. April 2024
mittlerer Befragungstag: 19. April 2024
Stichprobengrösse: minimal 1’200, effektiv 11040 (Cati: 1214, Online: 9826), n DCH: 7942, n FCH: 2629, n ICH: 469
Stichprobenfehler: ± 2.8 Prozentpunkte bei einem Wert von 50% (und 95%iger Wahrscheinlichkeit)
Quotenmerkmale CATI: Geschlecht/Alter interlocked
Quotenmerkmale Online: keine
Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Sprache, Siedlungsart, Parteiaffinität, Recall, Teilnahme
mittlere Befragungsdauer CATI: 16.7 Minuten (Standardabweichung: 4.4 Minuten)
Publikation: 3. Mai 2024, 6h00