1. SRG-Trendumfrage zur Abstimmung vom 15. Mai 2022

Zu Beginn der Hauptkampagnenphase:

Filmgesetz - Mehrheit dafür
Transplantationsgesetz - Mehrheit dafür
Finanzierung Frontex - Mehrheit dafür

Studie im Auftrag der SRG SSR

Wäre bereits am 18. März 2022 abgestimmt worden, wären das Filmgesetz, das Transplantationsgesetz und die Finanzierung der Frontex angenommen worden. Die Stimmbeteiligung hätte bei leicht unterdurchschnittlichen 44 Prozent gelegen.

Hier liegt eine Momentaufnahme rund sieben Wochen vor dem Abstimmungstag vor und nicht eine Prognose. Die Studie beschreibt die Ausgangslage zu Beginn der Hauptkampagnenphase.

Alle Angaben gelten bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Unsicherheitsbereich von ±2.8 Prozentpunkten. Der Abstimmungskampf und die Meinungsbildung setzen erst ein und können bei Volksabstimmungen nachweislich das Ja/Nein-Verhältnis beeinflussen. Hinzu kommen Effekte aus der noch unbekannten Mobilisierung durch die Kampagnen.

Die Befunde der Umfrage werden anhand des Dispositionsansatzes von gfs.bern theoretisch verortet.

Hier finden sich Hintergrundinformationen zu den Vorlagen der Mai-Abstimmung und hier zur Methode der SRG-Trendumfragen.

Ausserdem können Sie hier die Präsentation der Resultate herunterladen.

Änderung des Filmgesetzes

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Die Befürworterschaft des Filmgesetzes startet mit einem Vorsprung von 27 Prozentpunkten in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Am 18. März 2022 hätten 59 Prozent der Teilnahmewilligen für das Filmgesetz gestimmt. 32 Prozent dagegen.

Die Erwartungshaltungen der teilnahmewilligen Stimmberechtigten verweisen auf einen knapperen Entscheid für den 15. Mai 2022. Im Mittel wird der Ja-Anteil auf 50 Prozent geschätzt. Die Mehrheit der Teilnahmewilligen (55%) schätzt dabei einen Ja-Anteil von über 50 Prozent für das Filmgesetz.

Tiefer Stand der Meinungsbildung

Minderheitliche 44 Prozent äussern feste Stimmabsichten, vergleichsweise hohe 9 Prozent zeigen sich noch unentschlossen. Das spricht für sich genommen für einen tiefen Stand der Meinungsbildung.

Auch die argumentative Abstützung der Stimmentscheide ist erst mässig gegeben. Kampagnen treffen bei dieser Vorlage entsprechend auf Spielraum insbesondere bei Personen mit wenig gefestigter Meinung und Unentschlossenen.

Vorläufiges Konfliktmuster: Politische Aufladung

 

Die von Parlament und Bundesrat vorgesehenen Änderungen am Filmgesetz ernten in der Ausgangslage breite Zustimmung. SVP-nahe und regierungsmisstrauische Kreise lehnen die Vorlage als einzige gesellschaftliche Untergruppen mehrheitlich ab. Alle weiteren hier untersuchten Untergruppen stehen mehrheitlich auf Seiten der Befürworterschaft.

 

 

Überraschend ist – angesichts der ablehnenden Parole der Mutterpartei – die hier gemessene relativmehrheitliche Zustimmung aus den Reihen der FDP. Alle weiteren Parteiwählerschaften stehen jedoch mehrheitlich auf Seiten ihrer jeweiligen Mutterpartei. Parteiungebundene zeigen sich vorerst knapp für das Filmgesetz allerdings bei einem hohen Anteil Unentschiedener. Besonders deutlich ist die Unterstützung im Umfeld der Grünen und der SP. Aber auch weibliche, über 40-jährige, urbane und lateinischsprachige Teilnahmewillige sind deutlicher für die Änderungen am Filmgesetz.

Argumente: Kultur-und Programmvielfalt vs. Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit

 

Inhaltlich präsentiert sich die Ausgangslage weniger eindeutig. Indexiert stehen 45 Prozent der Teilnahmewilligen der Gegnerschaft argumentativ näher und 45 Prozent der Befürworterschaft. Das spricht für ein offeneres Rennen als es die frühen Stimmabsichten vermuten lassen. Im Umfeld aller Parteiwählerschaften liegt dabei die argumentative Unterstützung unter der faktischen (geäusserter Stimmentscheid). Einzig Parteiungebundene, Grüne- und SP-nahe Teilnahmewillige äussern sich auch argumentativ mehrheitlich für das Filmgesetz. Es kommt hinzu, dass sich erst 57 Prozent der frühen Stimmentscheide anhand der argumentativen Haltungen erklären lassen.

Das Pro-Lager überzeugt 54 Prozent der Teilnahmewilligen mit der Aussage, dass nur eine Quote für Filmstoff nahe an unserer Kultur und unserem Land sorge und eine grössere Programmvielfalt garantiere. Es handelt sich dabei um das

wirksamste Argument, um einen bejahenden Stimmentscheid zu erklären. Ebenfalls 54 Prozent stimmen zu, dass sich für Konsument:innen nichts ändern werde, denn die Schweiz führe lediglich ein, was in der EU längst gelte. Das dritte Pro-Argument jedoch, dass der Schweizer Produktionsstandort ohne das Gesetz geschwächt werde, weil Arbeitsplätze und Aufträge verloren gingen, spaltet die Teilnahmewilligen und findet keine eindeutige Mehrheit.

Die Contra-Seite überzeugt etwas weniger breit, denn keine Aussage findet eine klare Mehrheit. 51 Prozent stimmen jedoch zu, dass letztlich die Konsument:innen bestraft werden, weil die Abogebühren steigen würden. Lediglich eine relative Mehrheit (48%) findet es ungerecht, das Filmangebot an eine bestimmte Herkunft zu knüpfen. Interessant ist die Wirkung des dritten Contra-Arguments mit Verweis auf einen unnötigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit, wenn private Unternehmen zur Unterstützung einer bestimmten Branche gezwungen werden. Zwar wird dieses Argument mehrheitlich verworfen (51% eher/überhaupt nicht einverstanden), es erklärt jedoch ablehnende Stimmentscheide am stärksten.

Trend in der Meinungsbildung

 

Typologisch handelt es sich bei der «Lex Netflix» um eine positiv prädisponierte Behördenvorlage. Das zeigt sich an den Schlussabstimmungen in den Räten und dem Parolenspiegel und findet Bestätigung in den frühen Stimmabsichten.

Argumentativ zeigt sich aber, dass die anfängliche Zustimmung wenig stark untermauert ist. Die Meinungen zu diesem eher neuen Thema sind noch nicht abschliessend gemacht. Entsprechend schwierig ist es, den weiteren Verlauf der Meinungsbildung vorwegzunehmen, und der Abstimmungsausgang muss bis zur zweiten SRG-Trendumfrage offengelassen werden.

 

Im Normalfall der Meinungsbildung zu einer Behördenvorlage gleichen sich die Stimmabsichten der Stimmbürger:innen über den Kampagnenverlauf an die Empfehlungen von Bundesrat und Parlament an. Tritt dieser Normalfall ein, wird das Filmgesetz am 15. Mai 2022 angenommen. Im Ausnahmefall der Meinungsbildung setzt eine Polarisierung Richtung Nein ein. Anzeichen für ein solches Szenario finden sich in den Haltungen zu den Argumenten. Je nachdem wie stark eine solche Polarisierung ausfällt, kann sie am Ende gar einen Meinungsumschwung ins Nein erzeugen.

Erst jüngst wurde mit dem Massnahmenpaket Medien über eine vergleichbare Vorlage abgestimmt. Wirtschaftsfreiheit und Vielfalt standen sich auch damals gegenüber. Letztlich scheiterte das Massnahmenpaket Medien an der Urne. Allerdings bewegte sich die Zustimmung von Beginn weg auf tieferem Niveau als aktuell.

Änderung des Transplantationsgesetzes

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Am 18. März 2022 hätten 63 Prozent der Teilnahmewilligen für die Änderung des Transplantationsgesetzes gestimmt, 34 Prozent dagegen. Das verschafft der Ja-Seite in der Ausgangslage einen Vorsprung von 29 Prozentpunkten.

Die Erwartung einer Mehrheit der Teilnahmewilligen ist, dass das Transplantationsgesetz an der Urne angenommen wird (56% schätzen den Ja-Anteil auf über 50%, 44% auf unter 50%). Der erwartete Abstimmungsausgang ist allerdings weitaus knapper, als es die geäusserten Stimmabsichten vermuten liessen. Im Mittel wird der Ja-Anteil auf 50 Prozent geschätzt.

Mittlerer bis fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

68 Prozent der Teilnahmewilligen äussern in dieser frühen Phase des Abstimmungskampfes feste Stimmabsichten, nur 3 Prozent zeigen sich noch unentschlossen. Auch die argumentative Abstützung der Stimmentscheide ist bereits deutlich erkennbar (Erklärungsgrad Regression: 68%).

Insgesamt entspricht dies einem mittleren bis fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung. Spielraum für Veränderungen ist vorhanden, wenn auch begrenzt.

Vorläufiges Konfliktmuster: Parteiaffinität, Regierungsvertrauen und Schulbildung

Die parteipolitische Polarisierung ist stark, wobei die verschiedenen Parteiwählerschaften mehrheitlich auf Seiten der (erwarteten) Position ihrer Mutterpartei stehen. Vom linken politischen Pol bis hin zur FDP ist die Zustimmung zum Transplantationsgesetz solid. Breits die bestimmte Zustimmung liegt bei Grünen-, SP- und GLP-nahen Teilnahmewilligen über der 50-Prozent-Marke. Auch Parteiungebundene sind mehrheitlich im Ja. Anders SVP-affine Teilnahmewillige: Sie äusserten sich Mitte März mehrheitlich gegen das Transplantationsgesetz. Darüber hinaus lehnen einzig regierungsmisstrauische Teilnahmewillige und solche mit tiefer Schulbildung das Transplantationsgesetz mehrheitlich ab.

 

Ausserhalb dieser drei Gruppen gibt es jedoch in der Ausgangslage zwar keine ablehnenden Untergruppen, aber es zeigen sich Alters- und Bildungseffekte wie auch regionale Prägungen in den frühen Stimmabsichten. Unter 40-Jährige geben zu drei Vierteln an, für das Transplantationsgesetz zu sein, Pensionierte lediglich zu 56 Prozent. Die Zustimmung zum Transplantationsgesetz sinkt somit deutlich mit dem Alter. In Bezug auf die Schulbildung findet sich ebenfalls ein linearer Zusammenhang: Tief Gebildete lehnen die Gesetzesänderung mehrheitlich ab während Teilnahmewillige mit mittlerer und noch deutlicher solche mit hoher Bildung deutlich dafür sind.

Regional betrachtet ist die Zustimmung flächendeckend. Bemerkenswert ist die französischsprachige Schweiz, wo die Zustimmung mit 79 Prozent deutlich höher ausfällt als in den anderen Sprachregionen (DCH: 58%, ICH: 65%).

 

Argumente: Staatliche Förderung rettet Leben vs. ohne Zustimmung ist Entnahme problematisch

Auch argumentativ hat die Befürworterschaft in der Ausgangslage die Oberhand, denn ihre Argumente überzeugen nicht nur klare Mehrheiten, sie verfügt auch über das aktuell wirksamste Argument für einen Stimmentscheid. Indexiert man die Haltungen zu den Argumenten stehen 59 Prozent den Befürworter:innen näher und 36 Prozent den Gegner:innen. Diese Werte bewegen sich nahe an den festgehaltenen Stimmabsichten.

Hohe 84 Prozent stimmen zu, dass es in der Schweiz zu wenig Organspenden gebe und es wichtig sei, dass dieses Problem angegangen werde. 70 Prozent unterstützen die staatliche

Förderung von Organspenden, weil diese Leben retten würden. Ebenfalls 70 Prozent sehen in der neuen Lösung eine Entlastung naher Angehöriger, weil diese im Todesfall nicht stellvertretend im Sinne der verstorbenen Person entscheiden müssten.

Die Contra-Seite überzeugt weniger breit. Wenn sie argumentiert, dass jeder auch das Recht habe, sich nicht zu entscheiden und man das nicht zu einem Ja umdeuten könne, unterstützen dies 59 Prozent der Teilnahmewilligen. 55 Prozent pflichten bei, dass Organe zu spenden eine persönliche Entscheidung sei und der Staat sich nicht einzumischen habe. Einer Person Organe zu entnehmen, ohne dass diese vorher explizit zugestimmt habe, erachten 54 Prozent als problematisch. Dieses letzte Contra-Argument wirkt in der Ausgangslage am stärksten auf ein Nein.

Trend in der Meinungsbildung

Auch wenn die Vorteile einer Widerspruchslösung weitum akzeptiert sind, wirft die Abwendung vom Zustimmungsprinzip ethische Fragen auf. Das Referendumskomitee konnte diese erfolgreich platzieren. Der Parolenspiegel, die Schlussabstimmungen in den Räten und nun in aller Deutlichkeit auch die frühen Stimmabsichten zeigen allerdings, dass es sich beim Transplantationsgesetz um eine positiv prädisponierte Behördenvorlage handelt. Kritik ist bisher nur minderheitlich vorhanden.

Aufgrund des komfortablen Vorsprungs der Ja-Seite und der argumentativen Haltungen ist die Annahme des Transplantationsgesetzes wahrscheinlicher als die Ablehnung. Ohne Kenntnis der Dynamik der Meinungsbildung über den Kampagnenverlauf hinweg sind Prognosen hinsichtlich des

Abstimmungsausgangs jedoch wenig gesichert. Insbesondere ist die Erwartungshaltung der Bevölkerung selbst kritischer als die Stimmabsichten.

Im Normalfall der Meinungsbildung zu einer Behördenvorlage gleichen sich die Stimmabsichten der Stimmbürger:innen über den Kampagnenverlauf an die Empfehlungen von Bundesrat und Parlament an. Tritt dieser Normalfall ein, wird das Transplantationsgesetz am 15. Mai 2022 deutlich angenommen. Anzeichen für ein Ausnahmeszenario, wo sich die Ablehnung über den Kampagnenverlauf aufbaut, finden sich kaum. Allerdings wurde dieses Ausnahmeszenario in der jüngeren Vergangenheit häufiger beobachtet. Eine Umkehr der Mehrheitsverhältnisse wäre aber selbst in diesem Fall eine Überraschung. Die Gegnerschaft müsste dazu im weiteren Kampagnenverlauf argumentativ deutlich die Oberhand gewinnen und stark mobilisieren.

Finanzierung Frontex

Vorteile für die Ja-Seite

63 Prozent der Teilnahmewilligen hätten Mitte März 2022 für die Finanzierung Frontex gestimmt, 29 Prozent hätten dagegen gestimmt. 8 Prozent waren noch unentschieden.

Auch die Erwartungen verweisen auf gute Chancen der Vorlage. Zwei Drittel der Teilnahmewilligen gehen von einer Annahme am 15. Mai 2022 aus. Im Mittel wird der Ja-Anteil auf 52 Prozent geschätzt.

Stand der Meinungsbildung mittel fortgeschritten

Zurzeit haben erst 44 Prozent der Stimmbürger:innen eine feste Meinung zur Vorlage, die argumentative Abstützung der frühen Stimmabsichten ist aber bereits stark.

Kampagnen wirken bei dieser Ausgangslage vor allem bei erst tendenziell entschiedenen Personen oder verstärken vorhandene Erstbeurteilungen der Vorlage.

Vorläufiges Konfliktmuster: Breite Unterstützung in den politischen Lagern mit mehr Kritik an den Polen sowie bei Regierungsmisstrauischen

Die Regierungsmisstrauischen bilden die einzige Gruppe, die in der Ausgangslage mit 51 Prozent knapp mehrheitlich kritisch mit zusätzlichen Mitteln für die Frontex ist. Alle Parteianhängerschaften sind (knapp) mehrheitlich dafür. Allerdings ergibt sich eine deutliche politische Unterscheidbarkeit zwischen den Polen und dem politischen Zentrum. Anhängerschaften von Grünen, SP am einen und der SVP am anderen Pol des politischen Spektrums sind wesentlich kritischer, als diejenigen der FDP, der Mitte oder der GLP, die

dem politischen Zentrum zuzuschreiben sind. Parteiungebundene sind in der Ausgangslage ebenfalls recht deutlich für die Vorlage.

Weiter sind regionale Effekte erkennbar. Etwas mehr formierte Kritik an der Vorlage gibt es auf dem Land und im französischsprachigen Raum. In beiden Regionen sind aber Mehrheiten für die Vorlagen.

Schliesslich gibt es in der Ausgangslage eine recht deutliche Altersabhängigkeit: Jüngere sind markant kritischer als Ältere. Bisher sind Jüngere jedoch kaum mobilisiert. Je nach Mobilisierung kann sich dieser Unterschied im Verlauf der Meinungsbildung auch verringern.

 

Argumente: Handlungsbedarf und Schutz der Schengen-Aussengrenzen stärken Ja-Seite

Argumentativ liegt die Befürworterschaft ebenfalls vorne. Indexiert stehen 63 Prozent der Teilnahmewilligen den Pro-Argumenten näher, und die wirksamsten Argumente zur Erklärung eines Stimmentscheides stammen aus dem Pro-Lager. Weiter sind alle drei getesteten Pro-Argumente mehrheitsfähig, während bisher keines der Nein-Argumente Mehrheiten überzeugt.

In der Ausgangslage ist ein Pro-Argument besonders wirksam: 68 Prozent unterstützen die Aussage, dass die Frontex in

Zukunft mehr Geld und Ressourcen brauche. Damit gelingt es in diesem Punkt der Ja-Seite den Handlungsbedarf aufzuzeigen, der auch Auslöser der Schengen-Weiterentwicklung war. Ebenfalls deutlich wirksam ist das Sicherheitsargument, wonach der Schutz der Aussengrenzen der Kriminalität und illegaler Migration vorbeuge. Diese beiden Argumente prägen das aktuelle Meinungsbild stärker als die Gegenargumente, die Kritik von Links wie von Rechts gegen Frontex formulieren. Dabei beurteilt die Linke die Kritik an der Migrationspolitik der Frontex mehrheitlich kritisch, während die Rechte die Funktionsweise und Rolle der Frontex an sich in Frage stellt. Die Nein-Seite kann also mit unterschiedlichen Argumenten von beiden Seiten her noch punkten.

 

Trend in der Meinungsbildung

Das frühe Meinungsbild bezogen auf die Finanzierung Frontex ist eindeutig positiv geprägt. Politisch kann sich zwar ein Zangengriff über die politischen Pole bilden, dieser zeichnet sich aber erst in Ansätzen ab. Argumentativ hat die Ja-Seite bereits den Handlungsbedarf vermitteln können und kann in einer instabilen internationalen Lage überzeugend mit Sicherheitsargumenten argumentieren. Bis anhin trägt insbesondere der Handlungsbedarf die linke politische Seite, die das Referendum ergriff, während die Unterstützung von rechts eher vom erwünschten Sicherheitsgewinn herrührt.

Im Normalfall der Meinungsbildung zu einer Behördenvorlage gleichen sich die Stimmabsichten der Stimmbürger:innen über den Kampagnenverlauf an die Empfehlungen von Bundesrat und Parlament an. Tritt dieser Normalfall ein, wird die

Zusatzfinanzierung der Frontex am 15. Mai 2022 deutlich angenommen, wobei mit einem Verhältnis von zwei zu eins zugunsten der Ja-Seite zu rechnen wäre. Für eine solche Entwicklung sprechen neben der Haltung von Parlament und Bundesrat die Haltungen der Stimmberechtigten zu den Argumenten und auch ihre Erwartung zum Abstimmungsausgang.

Das in letzter Zeit häufiger beobachtete Ausnahmeszenario der Meinungsbildung zu einer Behördenvorlage in Richtung Nein müsste sich über den Kampagnenverlauf erst noch aufbauen. Die Kritik an Frontex müsste viel deutlicher werden, das linke und das rechte Lager verstärkt ihre je eigenen Bedenken aufnehmen, und regierungskritische Kreise müssten zusätzlich mobilisiert werden. Zurzeit erscheint dies angesichts der eher gering wahrnehmbaren Kampagnenaktivitäten und der mässigen Teilnahmeabsichten als wenig wahrscheinlich. Damit erscheint eine Annahme der Frontex-Vorlage als wahrscheinlicheres Szenario.

Vorläufige Teilnahmeabsichten

Leicht unterdurchschnittliche Teilnahmeabsicht für die Abstimmung vom 15. Mai 2022

Die bisher gemessene Beteiligungsbereitschaft für den 15. Mai 2022 lag gegen Mitte März 2022

mit 44 Prozent etwas unter dem langjährigen Durchschnitt (46 Prozent zwischen 2011 und 2020). Eine aussergewöhnlich hohe Mobilisierung, wie sie sich 2021 zeigte, zeichnet sich aktuell nicht ab. Noch lassen sich jedoch keine speziellen Effekte der Debatten und Kampagnen erkennen: Die ersten Debatten waren überschattet vom russischen Einfall in die Ukraine.

 

 

Profil der Beteiligungswilligen

Bereits im Februar 2022 mit geringer Mobilisierung zeigte sich ein eher typisches Profil der Stimmenden: Üblicherweise nehmen Ältere, besser Gebildete, politisch an ein Lager gebundene und Regierungsvertrauende mit höherer Wahrscheinlichkeit teil. Sofern die Debatte nicht noch breitere Kreise erfasst, dürfte das Muster der Teilnahme am 15. Mai 2022 ebenfalls dem entsprechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass

Parlament und Regierung nun dreimal siegen, wäre in dieser Konstellation deutlich erhöht.

Etwas unüblich ist die ähnlich hohe vorläufige Teilnahmebereitschaft zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz. Die Debatten in der französischsprachigen Schweiz haben etwas mehr erkennbares Profil: Das Transplantationsgesetz hat eine deutlich positivere Tonalität, das Filmgesetz überzeugt eher, und die Kritik an Frontex ist etwas formierter.

Zitierweise

Erste Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 15. Mai 2022 vom Forschungsinstitut gfs.bern. Realisiert zwischen dem 14. und dem 28. März 2022 bei 6’728 Stimmberechtigten. Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.8 Prozentpunkte.

Methode und Datengrundlage

Der telefonische Teil der vorliegenden Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Auswertung und Analyse der Daten nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor.

Befragt wurde via eines RDD-Dualframe-Verfahrens per Festnetz und Handy. Seit dem Herbst 2018 wird im Rahmen des SRG-Trend-Mandats die telefonische Umfrage durch eine Online-Befragung ergänzt, mit dem Ziel die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen. Der Online-Teil wurde als Opt-in-Befragung (Mitmachbefragung) über die Webportale der SRG SSR Medien realisiert.

Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten in der CATI-Befragung überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht.

Keine Aussagen können wir über das Ständemehr machen, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu.

Weiterführende Informationen zur Theorie und der Methode der SRG-Trendumfragen finden sich hier.

Technischer Kurzbericht

Auftraggeber: CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit: Stimmberechtigte Schweizer:innen
Herkunft der Adressen CATI: Stichprobenplan Gabler/Häder für RDD/Dual-Frame; Verwendung Swiss-Interview-Liste,
Herkunft der Adressen Online: Opt-in-Befragung über die Webportale der SRG SSR
Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI) und Online
Art der Stichprobenziehung CATI: at random/Geburtstagsmethode im Haushalt geschichtet nach Sprachregionen
Art der Stichprobenziehung Online: offene Mitmachumfrage
Befragungszeitraum: 14. – 28. März 2022
mittlerer Befragungstag: 18. März 2022
Stichprobengrösse: minimal 1’200, effektiv 6’728 (Cati: 1’206, Online: 5’522), n DCH: 4’409, n FCH: 1’896, n ICH: 423
Stichprobenfehler: ± 2.8 Prozentpunkte bei einem Wert von 50% (und 95%iger Wahrscheinlichkeit)
Quotenmerkmale CATI: Geschlecht/Alter interlocked
Quotenmerkmale Online: keine
Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Sprache, Siedlungsart, Parteiaffinität, Recall, Teilnahme
mittlere Befragungsdauer CATI: 14.0 Minuten (Standardabweichung: 3.4 Minuten)
Publikation: 1. April 2022, 6h00