Studie im Auftrag der SRG SSR
Wäre bereits am 18. Januar 2025 abgestimmt worden, wäre die Umweltverantwortungsinitiative von einer deutlichen Mehrheit abgelehnt worden. Der Nein-Anteil zur Umweltverantwortungsinitiative ist über den Kampagnenverlauf angestiegen, während sich der Ja-Anteil verringert hat. Ein solcher Nein-Trend entspricht bei einer Initiative dem erwarteten Normalfall der Meinungsbildung.
Der Stand der Meinungsbildung präsentiert sich gefestigter als noch vor einem Monat: Hohe 83 Prozent der Teilnahmewilligen äussern eine feste Stimmabsicht und lediglich 2 Prozent bleiben gänzlich unentschieden. Zudem ist eine argumentative Untermauerung der Stimmentscheide klar erkennbar.
Die Stimmbeteiligung bleibt mit 39 Prozent trotz leichtem Anstieg über den Kampagnenverlauf (+4 Prozentpunkte, in der Folge ppt.) deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt (47% zwischen 2011 und 2023 gemäss BFS) zurück.
Wie üblich handelt es sich auch bei der zweiten Befragung nur um eine Momentaufnahme rund zwei Wochen vor dem Abstimmungstag und nicht um eine Prognose zum Abstimmungsausgang. Die Ergebnisse können im Wellenvergleich allerdings auch als Trends interpretiert werden. Die Studie beschreibt somit den Stand und die Trends in der Meinungsbildung vor der Schlussmobilisierung. Alle Angaben gelten bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Unsicherheitsbereich von ±2.8 Prozentpunkten.
Die Befunde der Umfrage werden anhand des Dispositionsansatzes von gfs.bern theoretisch verortet.
Hier finden sich Hintergrundinformationen zur Vorlage der Februar Abstimmung 2025 und hier zur Methode der SRG-Trendumfragen.
Ausserdem können Sie hier eine vollständige Grafiksammlung herunterladen.
Gegenwärtige Stimmabsichten im Nein
Wäre die Umweltverantwortungsinitiative bereits am 18. Januar 2025 zur Abstimmung gelangt, hätten deutlich gestiegene 61 Prozent der Stimmberechtigten mit fester Teilnahmeabsicht bestimmt oder eher dagegen gestimmt (+12 ppt.). Rückläufige 37 Prozent hätten bestimmt oder eher dafür gestimmt (-8 ppt.). Die Entwicklung der Stimmabsichten von der ersten zur zweiten Umfrage offenbart den für Initiativen typischen Nein-Trend. Dieser resultiert in einer Konsolidierung des Vorsprungs der Gegnerschaft auf 24 Prozentpunkte (+20 ppt).
Die Prognose der teilnahmewilligen Stimmberechtigten passt ins Bild: Gestiegene 86 Prozent gehen von einer Ablehnung am 9. Februar 2025 aus (+5 ppt.), gesunkene 14 Prozent von einer Annahme (-5 ppt.). Im Mittel wird der Ja-Anteil stabil auf 40.7 Prozent geschätzt. Damit liegen die Stimmabsichten und der erwartete Ausgang der Abstimmung nahe beieinander, und beide Indikatoren deuten auf eine Ablehnung der Umweltverantwortungsinitiative hin.
Fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung
Deutlich verfestigt hat sich auch das Meinungsbild mit mittlerweile 83 Prozent fest Entschiedenen (+22 ppt.) und einer soliden argumentativen Verankerung der Stimmentscheide (R2=0.76). Lediglich 15 Prozent der Teilnahmewilligen äussern keine feste Stimmabsicht für oder gegen die Initiative sondern nur Tendenzen, weitere 2 Prozent sind derzeit noch gänzlich unentschieden. Der Stand der Meinungsbildung ist somit als fortgeschritten zu bewerten.
Angesichts der verhaltenen Medienaufmerksamkeit, welche dieser Vorlage zuteil wird, vermögen diese Werte zu erstaunen und verweisen auf einen grundsätzlichen Abwehrreflex dem Vorhaben gegenüber.
Konfliktmuster: Zustimmung nur noch aus links-grünen Kreisen und Haushalten mit tiefsten Einkommen
Das Konfliktmuster der Umweltverantwortungsinitiative ist ein vertrautes Bild bei umweltpolitischen Initiativen: Anhänger:innen von Grünen, SP und GLP unterstützen sie klar, während andere Parteiwählerschaften sie ebenso deutlich ablehnen. Der generelle Nein-Trend findet sich mit Ausnahme der Grünen in allen Parteiwählerschaften. Die parteipolitische Polarisierung bleibt stark: Grüne (97% dafür) und FDP (93% dagegen) prägen die Meinungspole. Die Gespaltenheit Parteiungebundener ist dezidierter Ablehnung gewichen (65% dagegen).
Bestehen bleibt der Elite-Basis-Konflikt im Umfeld der GLP: Während sich die Parteispitze in Form einer Nein-Parole gegen die Umweltverantwortungsinitiative stellt, bleibt die Basis vorerst mehrheitlich dafür. Die späte Parolenfassung der GLP könnte aber den bereits eingesetzten Nein-Trend an der Basis noch beschleunigen und die aktuellen Mehrheitsverhältnisse ins Wanken bringen.
Weggebrochen ist über den Kampagnenverlauf die mehrheitliche Unterstützung von Frauen (46% eher/bestimmt dafür, -10 ppt.), jüngeren Teilnahmewilligen (18-39-Jährige: 47%, -7 ppt.), Städter:innen (40%, -9 ppt.) sowie jene aus der französisch- und italienischsprachigen Schweiz (FCH: 43%, -12 ppt, ICH: 41%, -11 ppt.).
Ebenfalls deutlich Richtung Nein haben sich die Stimmabsichten von Teilnahmewilligen, welche der Regierung misstrauen (38% eher/bestimmt dafür, – 10 ppt), entwickelt.
Damit bleibt ausserhalb der links-grünen Wählerschaften nur eine Gruppe, die sich zurzeit noch mehrheitlich für die Umweltverantwortungsinitiative ausspricht; Teilnahmewillige aus Haushalten mit den tiefsten Einkommen (52%, -12 ppt.). Doch auch in dieser Gruppe ist der Nein-Trend deutlich erkennbar. Trotz gleichgerichteter, ablehnender Mehrheiten bleibt es jedoch bei erhöhten Sympathien für das Vorhaben unter weiblichen, jungen, geringer verdienenden und höher gebildeten Teilnahmewilligen.
Regional betrachtet ist die Unterstützung aus der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zwar über den Kampagnenverlauf eingebrochen, bleibt aber im Vergleich zur Deutschschweiz leicht erhöht (FCH: 43%, ICH: 41%, DCH: 35% dafür).
Argumente: Riskant für Wirtschaftsstandort Schweiz vs. Vorreiterrolle und Ansehen
Die Umweltverantwortungsinitiative trifft inhaltlich weiterhin auf Zustimmung, insbesondere bei der Ressourcenschonung (60% einverstanden, -6 ppt.) und der Verantwortung für ökologische Schäden im Ausland (57%, -6ppt). Auch die Forderung nach einer internationalen Vorreiterrolle unterstützt eine beträchtliche Minderheit (47%, -8 ppt.). Jedoch gerieten alle Pro-Argumente im Verlauf des Abstimmungskampfs unter Druck, am deutlichsten jenes zur internationalen Vorreiterrolle.
Contra-Argumente gewannen dagegen an Überzeugungskraft: 69 Prozent erachten steigende Lebenshaltungskosten und deren Widerspruch zur geforderten Sozialverträglichkeit als problematisch (+3 ppt). Weitere 68 Prozent fürchten wirtschaftliche Risiken durch Regulierungen (+3 ppt.), und 67 Prozent kritisieren massive Einschränkungen des Lebensstandards (+6 ppt).
Der argumentative Überhang liegt in einer indexierten Betrachtung nun bei der Gegnerschaft: Gestiegene 58 Prozent der Befragten neigen argumentativ der Gegnerschaft zu (+10 ppt.). Gesunkene 38 Prozent unterstützen die Befürworterschaft (-8 ppt.). Damit liegen die Zustimmung zur Initiative und die argumentative Überzeugung näher beieinander als noch in der ersten Umfrage. Und auch der Wirkungstest der Argumente bestätigt den argumentativen Überhang der Gegnerschaft, denn sie verfügt neu über das meinungswirksamste Argument, welches sich als Pferdefuss für die Umweltverantwortungsinitiative herausstellt: Befürchtete Risiken respektive Nachteile für den Schweizer Wirtschaftsstandort. Dieses Argument dominiert die Meinungsbildung mit Abstand und hat den Wunsch, dass die Schweiz eine Vorreiterrolle im internationalen Umweltschutz einnehmen solle auf den zweiten Rang verwiesen. Und auch das drittwirksamste Argument für einen Stimmentscheid stammt aus dem gegnerischen Lager: der Widerspruch steigender Lebenshaltungskosten zur geforderten Sozialverträglichkeit der Massnahmen.
Trend in der Meinungsbildung
Die Umweltverantwortungsinitiative startete aus der Defensive in den Hauptabstimmungskampf und wurde dann von einem für Initiativen typischen deutlichen Nein-Trend erfasst. Es hat eine Verschiebung der Optik weg von der Idee hin zu den Problemen der Umsetzung eingesetzt, welche sich bis zum Schluss noch weiter fortsetzen kann.
Trotz starker Sensibilisierung der Bevölkerung für die grossen Umweltprobleme, welche auf die Schweiz zukommen, gelang es der Befürworterschaft nicht, eine Mehrheit von der Lösung welche die Initiative vorschlägt zu überzeugen. Vielmehr besteht der Eindruck, dass die Vorlage grosse Risiken für den Wirtschaftsstandort Schweiz birgt und ihren eigenen Forderungen punkto Sozialverträglichkeit nicht gerecht wird.
So ist das grundsätzliche Problem, welches die Initiative anspricht zwar breit anerkannt, die Initiative wird aber nicht als akkurates Gegenmittel gesehen.
Sämtliche hier gemessenen Indikatoren verweisen rund 3 Wochen vor der Abstimmung auf eine Ablehnung der Umweltverantwortungsinitiative: Die politischen Eliten haben sich in ihrer Mehrheit gegen das Vorhaben ausgesprochen. Die Stimmabsichten der hier Befragten liegen mehrheitlich im Nein. Argumentativ dominiert die Gegnerschaft die Meinungsbildung, und die Stimmberechtigen selbst gehen von einer Ablehnung der Initiative an der Urne aus.
Damit ist ein Nein zur Umweltverantwortungsinitiative das wahrscheinliche Szenario für den 9. Februar 2025.
Unterdurchschnittliche Teilnahmeabsicht für die Abstimmung vom 9. Februar 2025
Die bisher gemessene Beteiligungsbereitschaft für den 9. Februar 2025 ist mit 39 Prozent weiterhin unter dem langjährigen Durchschnitt, der laut BFS zwischen 2011 und 2023 bei 47 Prozent zu liegen kommt.
Gegenüber der ersten Befragung vom Dezember 2024 beträgt die Zunahme 4 Prozentpunkte. Es zeichnet sich eine unterdurchschnittliche Beteiligung ab.
Profil der Beteiligungswilligen
In der deutschsprachigen Schweiz hat die Beteiligungsbereitschaft etwas zugenommen. In den beiden anderen Sprachregionen ist bis Mitte Januar 2025 noch keine zusätzliche Mobilisierung erfolgt. Bei der Abstimmung im November 2024 war die Stimmbeteiligung insgesamt zwar nicht überdurchschnittlich, doch Sympathisierende von SP- und Grünen gingen vergleichsweise häufiger an die Urne und stärkten so die Umweltorientierung. Dieser Effekt könnte sich erneut einstellen und erklärt mit, warum die Unterstützung in der aktuellen Umfrage trotz Nein-Trend weiterhin eher hoch ist.
Insgesamt liegt ein sehr klassisches soziodemographisches Bild bei tiefer Mobilisierung vor: Männer wollen sich stärker beteiligen als Frauen, ältere Menschen stärker als jüngere und sozial höher gestellte Schichten eher als sozial tiefer gestellte.
Beide Seiten investieren vergleichsweise wenig Kampagnenmittel, und die ausgelösten Debatten in den Massenmedien sind bisher nicht intensiv. Eine Intensivierung der Debatte mit starken oder sich verschiebenden Mobilisierungseffekten erscheint unwahrscheinlich. Wichtiger als Mobilisierungseffekte ist entsprechend die Frage, wie stark bei den aktuell Mobilisierten die Verschiebung der Optik vom Anliegen selbst zu den Folgen des Anliegens fortschreitet.
Zweite Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 9. Februar 2025 vom Forschungsinstitut gfs.bern. Realisiert zwischen dem 15. Januar und dem 23. Januar 2025 bei 15’996 Stimmberechtigten. Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.8 Prozentpunkte.
Der telefonische Teil der vorliegenden Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Auswertung und Analyse der Daten nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor. Befragt wurde via eines RDD-Dualframe-Verfahrens per Festnetz und Handy.
Seit dem Herbst 2018 wird im Rahmen des SRG-Trend-Mandats die telefonische Umfrage durch eine Online-Befragung ergänzt mit dem Ziel die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen.
Der Online-Teil wurde als Opt-in-Umfrage (Mitmachumfrage) über die Online-Portale der SRG SSR Medien durchgeführt. Seit Anfang 2024 wird mithilfe von Boomerang Ideas zudem systematisch auch über Social-Media-Kanäle befragt.
Aussagen über das Ständemehr können wir keine machen, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu.
Weiterführende Informationen zur Theorie und der Methode der SRG-Trendumfragen finden sich hier.
Technischer Kurzbericht
Auftraggeber: CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit: Stimmberechtigte Schweizer:innen
Herkunft der Adressen CATI: Stichprobenplan Gabler/Häder für RDD/Dual-Frame; Verwendung Swiss-Interview-Liste,
Herkunft der Adressen Online: Opt-in-Befragung über die Webportale der SRG SSR
Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI) und Online
Art der Stichprobenziehung CATI: at random/Geburtstagsmethode im Haushalt geschichtet nach Sprachregionen
Art der Stichprobenziehung Online: offene Mitmachumfrage
Befragungszeitraum: 15. Januar – 23. Januar 2025
mittlerer Befragungstag: 18. Januar 2025
Stichprobengrösse: minimal 1’200, effektiv 15’996 (Cati: 501, Online: 15’495, Boomerang Ideas: 516), DCH: 12’894, n FCH: 2’762, n ICH: 340
Stichprobenfehler: ± 2.8 Prozentpunkte bei einem Wert von 50% (und 95%iger Wahrscheinlichkeit)
Quotenmerkmale CATI: Sprachregion
Quotenmerkmale Online: keine
Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Sprache, Siedlungsart, Parteiaffinität, Recall, Teilnahme
mittlere Befragungsdauer CATI: 7.5 Minuten (Standardabweichung: 2.2 Minuten)
Publikation: 29. Januar 2025, 6h00