Unter Druck

Ärzteberuf droht an Attraktivität zu verlieren

Studie im Auftrag der FMH

Im Auftrag der FMH führt gfs.bern seit 2011 eine repräsentative Befragung bei der Spitalärzteschaft im akutsomatischen Bereich, in der Rehabilitation und der Psychiatrie sowie bei praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten durch. Das Ziel dieser Studie ist es, die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit in der Schweiz systematisch zu erheben und zu analysieren.

Die zentralen Themen dieser Befragung umfassen im Grundsetting die Arbeitsbelastungen und -bedingungen, den Dokumentationsaufwand, die Versorgungsqualität, die Wartezeiten, den Fachkräftemangel sowie die Bewertung laufender Reformen. Dieses Jahr neu wird insbesondere der Value-Based Health Care-Ansatz thematisiert.

Bei der diesjährigen Befragung haben insgesamt 1’707 Schweizer Ärztinnen und Ärzte teilgenommen. Darunter wurden 1’165 akutsomatische Spitalärztinnen und -ärzte, 94 in psychiatrischen Kliniken tätige Ärztinnen und Ärzte sowie 65 Ärztinnen und Ärzte, welche in Rehabilitationskliniken tätig sind, befragt. Hinzu kommen 383 praxisambulante Ärztinnen und Ärzte.

Gesamthaft hat die Beteiligung im Vergleich zum letzten Jahr leicht zugenommen.

Sowohl bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft als auch bei den Ärztinnen und Ärzten im Bereich Rehabilitation beteiligten sich jeweils mehr Personen an der aktuellen Befragung im Vergleich zur Erhebung im letzten Jahr.

Die Befragung fand vom 30. April bis 24. Juni 2024 statt.

Der vorliegende Kurzbericht gibt einen Einblick in die zentralen Resultate der Befragungswelle 2024. Einige Grafiken sind dabei interaktiv gestaltet und können auch auf Social Media geteilt werden.

Weitere Details zur Befragungsmethode finden sich in der Infobox am Ende des Kurzberichts.

Fachkräftemangel und Personalentwicklung

Der Fachkräftemangel wird auch in der diesjährigen Befragung bei den Ärztinnen und den Ärzten aus allen vier abgefragten Bereichen (Akutsomatik, Rehabilitation, Psychiatrie, praxisambulante Ärzteschaft) mehrheitlich als Problem wahrgenommen. Im Vergleich zu letztem Jahr hat der Anteil, welcher den Fachkräftemangel als sehr starkes Problem erachtet in der Akutsomatik mit zehn Prozentpunkten relativ deutlich abgenommen (dafür hat Kategorie «eher ein Problem» um fünf Prozent zugenommen).

In der Psychiatrie verzeichnet dieser Anteil im Vergleich zur letzten Befragung hingegen eine Zunahme um fünf Prozentpunkte.

Mit einer Abweichung von maximal drei Prozentpunkten ist der Anteil, welcher in Puncto Fachkräftemangel kein Problem sieht, über alle vier Fachbereiche hinweg relativ konstant geblieben.

Diese Entwicklungen in der Problemwahrnehmung des Fachkräftemangels in den einzelnen Bereichen deckt sich mit den jeweiligen Veränderungen, welche in der Beurteilung des ärztlichen Personalbestandes im Allgemeinen beobachtet werden. Seit 2020 manifestiert sich sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich eine klare Verschlechterung der Situation.

Unterschiede zwischen den einzelnen Bereichen ergeben sich beim Vergleich mit letztem Jahr. Während in der Akutsomatik und der praxisambulant tätigen Ärzteschaft der Problemdruck des Personalbestandes leicht zurückgeht beziehungsweise stagniert, intensiviert er sich insbesondere in der Psychiatrie und auch in der Rehabilitation weiter.

In der Psychiatrie zeigt sich, dass in der Tendenz immer mehr Ärztinnen und Ärzte aus gesundheitlichen Gründen aus ihrer beruflichen Tätigkeit ausscheiden.

In der Akutsomatik und der Rehabilitation ist dieser Anteil seit 2021 dagegen vergleichsweise konstant geblieben.

In der Akutsomatik, bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft wie auch in der Psychiatrie zeichnet sich über die letzte Dekade ein leichter aber dennoch klar erkennbarer Trend ab: Immer weniger Befragte geben an, ihr tägliches Arbeitspensum gemäss den medizinischen Anforderungen ihres Berufs zu schaffen.

In der Rehabilitation ist dieser Trend so nicht im gleichen Ausmass zu erkennen und in der Psychiatrie hat sich die Situation nach einem besonders grossen Sprung nach unten im letzten Jahr nun wieder etwas erholt.

Versorgungsqualität und Wartezeiten

Der sich akzentuierende Fachkräftemangel dürfte auch einen Einfluss auf die Kapazität von praxisambulanten Ärztinnen und Ärzten haben, neue Patientinnen und Patienten aufzunehmen. So gibt heute lediglich etwas über die Hälfte der Befragten an, im Moment noch neue Patientinnen und Patienten aufnehmen zu können.

41 Prozent vermerken stattdessen, keine Möglichkeiten für Neuaufnahmen zu haben. Bei denjenigen, welche in einer Gruppenpraxis tätig sind, ist dieser Anteil mit  34 Prozent etwas tiefer. Bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft zeichnet sich damit durchaus ein Problem bei der Gewährleistung der Versorgungssicherheit und -qualität für die Bevölkerung ab.

Ein weiterer relevanter Faktor, welcher Aufschluss über die Versorgungsqualität gibt, ist die von der Ärzteschaft geschätzte Wartezeit für Patientinnen und Patienten auf ihre Behandlungen. Diese ist bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft mit durchschnittlich 18 Tagen verhältnismässig am geringsten.

Im stationären Bereich mussten 2023 gemäss eigenen Einschätzungen der jeweiligen Ärzteschaft die Patientinnen und Patinen am längsten bei der Psychiatrie auf einen Termin warten (M=43 Tage), gefolgt von der Akutsomatik (M=28 Tage) und der Rehabilitation (M=23 Tage).

Seit 2022 ist in der Tendenz sowohl bei der ambulanten Ärzteschaft, als auch in der Rehabilitation eine Verlängerung der Wartezeiten für Patientinnen und Patienten zu beobachten, wobei sich diese seit vergangenem Jahr im Durchschnitt nicht weiter intensiviert hat (siehe M = Mittelwert).

Während die Wartezeiten in der Akutsomatik über die letzten drei Jahre konstant bei 27, respektive 28 Tagen im Durchschnitt lagen, schwanken die Wartezeiten in der Psychiatrie auf einem konstant hohen Niveau (zwischen 39 und 47 Tagen). In keinem anderen Tätigkeitsbereich mussten seit 2022 jedes Jahr rund 30 Prozent der Patientinnen und Patienten länger als einen Monat auf einen Termin warten.

Die eigenen Einschätzungen der Befragten zur Veränderung der durchschnittlichen Wartezeit der Patientinnen und Patienten im Vergleich zum Vorjahr decken sich mit den vorangehend rapportierten Beobachtungen über die Zeit. So geht fast die Hälfte der praxisambulant tätigen Ärzteschaft davon aus, dass die Wartezeit im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr etwa gleich geblieben ist. Auch in der Rehabilitation wird diese Einschätzung mit 42 Prozent geteilt.

In der Psychiatrie ist hingegen eine Mehrheit von 54 Prozent der Ansicht, die Wartezeiten für ihre Patientinnen und Patienten hätten sich im Vergleich zum Vorjahr verlängert. In der Akutsomatik ist jeweils rund ein Drittel der Meinung, die Wartezeit sei gleich geblieben oder habe sich verlängert.

Ein Grossteil jener Ärztinnen und Ärzte, die verlängerte Wartezeiten beobachten, sieht klar oder mindestens teilweise negative Folgen dieser Verzögerungen. Eine Zunahme dieses Anteils im Vergleich zu letztem Jahr verzeichnet die praxisambulant tätige Ärzteschaft (+5%). Eine Abnahme zeigt sich hingegen in der Rehabilitation (-11%) und in der Akutsomatik (-18%).

Am stärksten machen sich diese negativen Auswirkungen nach wie vor in der Psychiatrie bemerkbar. In dieser Gruppe ist der Anteil, der klar oder mindestens teilweise negative Folgen wahrnimmt, immer noch bei rund 80 Prozent. Lediglich der Anteil jener, die klar erkennbare negative Auswirkungen beobachten, ist im Vergleich zu letztem Jahr um 11 Prozent gesunken.

Die eben erwähnte Konstanz in der Psychiatrie in dieser Thematik, schlägt sich auch in der konkreten Bewertung der gegenwärtigen Versorgungsqualität nieder. So ist der Anteil an Ärztinnen und Ärzten aus der Psychiatrie, die die Versorgungsqualität ihres unmittelbaren Arbeitsbereichs als sehr oder eher gut bewerten, auf verhältnismässig tiefem Niveau von rund 60 Prozent stagniert.

Auch in der Akutsomatik und Rehabilitation zeigen sich im Vergleich zu letztem Jahr keine merklichen Veränderungen. Mit rund 80 Prozent bewertet aber im Vergleich zur Psychiatrie ein deutlich grösserer Teil die Versorgungsqualität in ihrem Arbeitsbereich positiv.

 

Nebst den verlängerten Wartezeiten dürfte auch die Wahl des Entlassungszeitpunktes Aufschluss über die Versorgungsqualität geben. Sowohl in der Rehabilitation als auch in der Akutsomatik und der Psychiatrie ist in den vergangenen Jahren ein negativer Trend zu beobachten.

In allen drei Bereichen beurteilen tendenziell weniger Ärztinnen und Ärzte den Entlassungszeitpunkt der Patientinnen und Patienten als meist richtig. Besonders stark zeichnet sich dieser Trend in den letzten drei Jahren – auch hier – in der Psychiatrie ab, die zusammen mit der Akutsomatik einen neuen Tiefstwert von 45 Prozent verzeichnet.

 

Zeitaufwand und Behördenvorgaben

Im Vergleich zu letztem Jahr nimmt die durchschnittliche Anzahl Minuten, die die Ärztinnen und Ärzte in der Akutsomatik jeden Tag mit Dokumentationsarbeiten im Zusammenhang mit dem Patientendossier verbringen, leicht zu (2023: 114 min, 2024: 120 min), während die medizinische patientennahe Tätigkeit abnimmt (2023: 213 min, 2024: 202min).

Eine weitere Veränderung zu letztem Jahr lässt sich in der Akutsomatik in der Erhöhung der Zeit feststellen, welche durchschnittlich für Visiten aufgewendet wird (2023: 51 min, 2024: 54 min).

Eine noch grössere Zunahme in der durchschnittlichen Anzahl Minuten, die die Ärztinnen und Ärzte jeden Tag mit Dokumentationsarbeiten verbringen, zeichnet sich in der Psychiatrie ab (2023: 91 min, 2024: 100 min).

Bei der Schätzung der Anzahl Minuten, die an einem normalen Arbeitstag für die Erfüllung von Vorgaben der Behörden aufgewendet werden, tut sich ein Grossteil der befragten Ärztinnen und Ärzte schwer. In allen vier befragten Bereichen sind die Anteile «für die aktuelle Arbeitssituation nicht beurteilbar» oder «weiss nicht/keine Antwort» vergleichsweise hoch.

In der Akutsomatik ist der Anteil im Vergleich zu den drei anderen Bereichen geringer (32.7 Minuten im Durchschnitt). Am höchsten ist er bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft (43.7 Minuten Durchschnitt).

Gefragt nach den zeitaufwendigsten Vorgaben von Behörden oder Versicherungen sind es bei den ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten die Krankenakten und Berichte (direkt gefolgt von sonstigen administrativen Aufwänden), welche die zeitaufwändigsten Vorgaben darstellen. Bei den stationären Ärztinnen und Ärzten dagegen sind es die gestellten Gesuche.

In beiden Bereichen nehmen verschiedene Arten der Dokumentation aber auch Rückfragen oder Rechtfertigungen von Begründungen viel Zeit in Anspruch. Ein weiterer wesentlicher Anteil in beiden Gruppen sind zudem Anfragen oder Berichte im Zusammenhang mit der IV.

Über alle Tätigkeitsbereiche hinweg empfindet eine Mehrheit der befragten Ärztinnen und Ärzte die aufgewendete Zeit für die jeweiligen Vorgaben als eher oder eindeutig überflüssig.

Besonders hoch ist dieser Anteil bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft (65%) und der Rehabilitation (67%).

Arbeitsumfeld und Arbeitsbedingungen

Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen ist in der Akutsomatik in den letzten drei Jahren relativ konstant geblieben. Der Konkurrenz-, Zeit-, und Leistungsdruck sowie die schlechte Arbeitsorganisation im Spital hat sich im Vergleich zu letztem Jahr ein wenig verbessert und befindet sich jeweils wieder auf einen ähnlichen Niveau wie 2022.

In der Psychiatrie hingegen nimmt der Zeitdruck und Konkurrenzdruck mit den Spitälern seit 2022 kontinuierlich zu. Die Zufriedenheit mit der Bezahlung hat sich nach einem Rückgang im Jahr 2022 wieder auf das Niveau von 2021 eingependelt.

Bei der Rehabilitation zeigt sich hingegen hier ein Negativtrend seit 2021.

Gleichzeitig nimmt in diesem Zeitraum für die Ärztinnen und Ärzte in der Rehabilitation der Leistungsdruck konstant zu.  Der andauernd hohe Leistungs- und Zeitdruck ist insbesondere bei der ambulanten Ärzteschaft ein Problem und hat in den vergangenen zwei Jahren gleichermassen zugenommen.

Blickt man statt nur auf die letzten Jahre auf den gesamten Zeithorizont der letzten zehn Jahre, ergeben sich in den vier verschiedenen Bereichen relativ unterschiedliche Dynamiken. Was aber im stationären Bereich überall ersichtlich ist, ist die insgesamt eher schlechter wahrgenommene Arbeitsorganisation in den Spitälern.

Welche Strategie ein Spital genau für die eigene Positionierung im Wettbewerb verfolgt, dürfte (mindestens indirekt) auch Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen des Personals haben – beispielsweise über den Stellenwert, den Weiterbildungen geniessen, oder vielleicht sogar auch den Umgang mit Patientinnen und Patienten.

Es fällt nun auf, dass der Anteil Befragter, die angeben, dass ihr Spital über eine konkrete Strategie verfüge, in allen drei unterschiedenen stationären Bereichen in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen hat. Entweder es ist so, dass effektiv weniger Spitäler konkrete Strategien haben, oder aber die vorhandenen Strategien sind beim Personal weniger verankert.

Reformen im Gesundheitswesen

Das Konzept der «Value Based Health Care» (VBHC) orientiert sich am Patientennutzen. Dieser Nutzen errechnet sich, indem die Gesundheitsergebnisse mit den damit verbundenen Kosten in Beziehung gesetzt werden. Verbunden mit dem VBHC-Ansatz sind ergebnisorientierte Vergütungssysteme (z.B. Pay-for-Performance, Pay-for-Quality, Bonus-Malus-Systeme), bei denen die Leistungsvergütung vom Erreichen gewisser Ergebnisse für die Patientinnen und Patienten oder für das Gesundheitssystem abhängig gemacht wird.

Dieses Konzept der «Value Based Health Care» (VBHC) ist über alle Tätigkeitsbereiche betrachtet dabei nur einer Minderheit der befragten Ärztinnen und Ärzte bekannt.

Die grösste Kenntnis über dieses Konzept ist in der Rehabilitation vorhanden (20%) gefolgt von der Akutsomatik (18%), der praxisambulant tätigen Ärzteschaft (16%) und der Psychiatrie (10%).

Von denjenigen Ärztinnen und Ärzten, die den VBHC-Ansatz kennen, bewertet eine Mehrheit von 66 Prozent in der praxisambulant tätigen Ärzteschaft den erwähnten Ansatz als schlecht.

Positiver wird der Ansatz in der Akutsomatik wahrgenommen, wo 35 Prozent den VBHC-Ansatz als gut bewerten. Aufgrund der geringen Samplegrösse werden die Werte in der Psychiatrie und Rehabilitation nicht dargestellt.

Auch gegenüber anderen Reformen im Gesundheitswesen, wie den ambulanten Pauschalen, ist ein Grossteil der Befragten nach wie vor negativ eingestellt. Dieser Anteil hat jedoch im Vergleich zu 2023 in allen vier Tätigkeitsbereichen abgenommen.

Konkret beträgt die Differenz derjenigen Ärztinnen und Ärzte, die die ambulanten Pauschalen negativ bewerten in der praxisambulant tätigen Ärzteschaft ein Prozent und in der Akutsomatik neun Prozent.

Management Summary

Fachkräftemangel und Personalentwicklung

Seit 2020 zeigt sich eine klare Verschlechterung der Personalsituation sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. Der Fachkräftemangel bleibt darum auch in diesem Jahr ein zentrales Thema im Gesundheitswesen. Spitalärztinnen und Ärzte aus den Bereichen Akutsomatik, Rehabilitation, Psychiatrie und praxisambulante Ärzteschaft sehen den Mangel mehrheitlich als Problem an. Während sich der Problemdruck in der Akutsomatik und bei der praxisambulanten Ärzteschaft aktuell stabilisiert oder leicht verringert hat, nimmt er in der Psychiatrie und Rehabilitation weiter zu. Besonders in der Psychiatrie scheiden immer mehr Ärztinnen und Ärzte aus gesundheitlichen Gründen aus ihrem Beruf aus. Dieser zunehmende Druck wirkt sich aber nicht nur auf das Wohlbefinden der Ärztinnen und Ärzte aus, sondern dürfte auch Folgen für die Patientinnen und Patienten haben. Heute geben nämlich klar weniger Ärztinnen und Ärzte als noch vor zehn Jahren an, das eigene Arbeitspensum den medizinischen Anforderungen gemäss zu schaffen.

Versorgungsqualität und Wartezeiten

Der Fachkräftemangel dürfte direkte Folgen auf die Versorgungsqualität und die Wartezeiten für Patientinnen und Patienten haben. Nur etwas über die Hälfte der praxisambulanten Ärzteschaft kann beispielsweise derzeit überhaupt neue Patientinnen und Patienten aufnehmen. Passend zur herausfordernden Personalsituation müssen Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie gemäss ihrer Ärzteschaft auch am längsten auf einen Termin warten (durchschnittlich 43 Tage). Die Wartezeiten haben sich seit 2022 in der Psychiatrie weiter verlängert, während sie in anderen Bereichen relativ konstant geblieben sind.

Trotz der Herausforderungen durch den Fachkräftemangel bleibt die ärztliche Behandlungsfreiheit in den meisten Bereichen gewahrt und der Versorgungsstandard ist – in den meisten Fällen – gut bis sehr gut. Auch hier ist jedoch über die letzte Dekade eine leichte Verschlechterung zu beobachten und auch die gewählten Entlassungszeitpunkte aus der stationären Behandlung wird gemäss den Befragten immer weniger optimal vorgenommen.

Zeitaufwand und Behördenvorgaben

Der Zeitaufwand für Dokumentationsarbeiten hat in der Akutsomatik leicht zugenommen, während die Zeit für patientennahe Tätigkeiten (auf deutlich höherem Niveau) abgenommen hat. In der Psychiatrie ist der Anstieg der Dokumentationszeit noch deutlicher. Im Gegensatz dazu ist in der Rehabilitation der Dokumentationsaufwand gesunken. Auch die Erfüllung von Vorgaben der Behörden nimmt einen bedeutenden Teil der Arbeitszeit in Anspruch, insbesondere bei der praxisambulanten Ärzteschaft. Ganz generell wird ersichtlich, dass Ärztinnen und Ärzte in den letzten zehn Jahren immer mehr Zeit am Computer und weniger am Patienten/an der Patientin verbringen. Zusammen mit leicht sinkenden durchschnittlichen geleisteten Wochenstunden (Stichwort Teilzeitarbeit) birgt diese Entwicklung das Potenzial einer doch signifikanten Transformation des Berufes.

Arbeitsumfeld und Arbeitsbedingungen

Trotz dieser Veränderungen im Berufsbild bleibt die ärztliche Tätigkeit für nahezu alle Befragten sinnstiftend, interessant und abwechslungsreich.

Es ist aber auch unverkennbar, dass weniger attraktive Aspekte des Berufs (Leistungsdruck, Zeitdruck, Konkurrenz unter den Spitälern oder auch eine schlechte Arbeitsorganisation innerhalb der Spitäler) im stationären und auch im ambulanten Tätigkeitsbereich mehr bemerkt werden.

Reformen im Gesundheitswesen

Das Konzept der „Value Based Health Care“ (VBHC) ist nur einer Minderheit der Ärztinnen und Ärzte bekannt, wird jedoch in der Akutsomatik positiver bewertet als bei der praxisambulanten Ärzteschaft. Die Akzeptanz gegenüber ambulanten Pauschalen hat sich im Vergleich zum Vorjahr leicht verbessert, bleibt jedoch insgesamt negativ.

Methodische Details

Projektname: Befragung zum ärztlichen Arbeitsumfeld im Auftrag der FMH

Auftraggeberin: FMH

Verantwortliches Institut: gfs.bern

Projektleitung: Lukas Golder (Co-Leiter), Cloé Jans (Leiterin Operatives)

Datenanalyse und -aufbereitung: Sophie Schäfer (Junior Data Scientist)

Erhebungsart: Online (inkl. Befragung durch physischen Fragebogen ambulant n = 84)

Befragungszeitraum: 30. April – 24. Juni 2024

Befragungsgebiet: ganze Schweiz

Grundgesamtheit: Schweizer Ärzteschaft

Stichproben-Art: geschichtete Zufallsauswahl, Quotenkontrolle

Stichprobengrösse: N = 1707, (Akutsomatik n = 1165, Psychiatrie n = 94, Rehabilitation n = 65, Praxisambulant n = 383)

Gewichtung: designgewichtet

Stichprobenfehler: ± 2.0 Prozent bei 50/50