Die Zeit ist reif für die Bilateralen III

Bevölkerungsbefragung Verhandlungsmandat EU

economiesuisse, Schweizerischer Arbeitgeberverband, SBVg, Interpharma, Swissmem

Direkt im Anschluss an die nationalen Wahlen im Herbst 2023 ist die Sicht der Stimmbürger:innen auf Europa klar geprägt von den Vorteilen einer guten und stabilen Beziehung zur EU und dem deutlich geäusserten Wunsch nach weiteren Schritten, um diese Zusammenarbeit weiter zu entwickeln.

Aktuell sehen über zwei Drittel der Schweizer:innen Vorteile in den bilateralen Verträgen mit der EU. Somit hat im Vergleich zum Frühling dieses Jahres die Vorteilssicht auf die Bilateralen nochmals deutlich zugelegt. Trotz der äusserst positiven Sicht auf die bestehenden Bilateralen, soll die Schweiz an der Beziehung zur EU arbeiten. Ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung befürwortet demnach ein Verhandlungsmandat auf Basis der Vorgespräche für die «Bilateralen III». Mit der in dieser Studie vorgeschlagenen Ausgestaltung dieser «Bilateralen III», wäre dabei eine deutliche Mehrheit einverstanden. Sowohl das Verhandlungsmandat als auch die «Bilateralen III» erreichen in sämtlichen politischen Lagern bis auf die SVP Zustimmungswerte von zwei Dritteln und mehr. Die Anhängerschaft der SVP ist in beiden Fragestellungen fast hälftig geteilt. Als wichtigstes Argument für die neuen bilateralen Verträge gilt dabei der allgemeine Wunsch nach einem nächsten Schritt hin zu einer gesicherten und stabilen Beziehung mit der EU. Von den diskutierten Elementen der «Bilateralen III» wird die Wiederaufnahme der Schweiz in die EU-Programme für Forschung und Innovation fast einstimmig befürwortet und auch Anpassungen der flankierenden Massnahmen unter Wahrung des heutigen Lohnschutzes, die Aktualisierung der Regelung von Produktvorschriften sowie ein Stromabkommen mit der EU und die Möglichkeit zur dynamischen Rechtsübernahme stossen auf sehr breite Zustimmung.

1 BEFUNDE

1.1 Aktuelle Beziehung Schweiz-EU

Aktuell sieht eine grosse Mehrheit hauptsächlich Vorteile in den bilateralen Verträgen mit der EU:

Über zwei Drittel der Schweizer Stimmberechtigten sehen zurzeit eher oder nur Vorteile in den Bilateralen (68%). Das sind noch einmal gut zehn Prozentpunkte mehr als im Frühling dieses Jahres und bedeutet somit auch der Höchstwert seit 2015[1]. Etwas weniger als jede:r Fünfte sieht auf der anderen Seite eher oder nur Nachteile (18%).

[1] vgl. Standort Schweiz 2023: https://cockpit.gfsbern.ch/de/cockpit/standort-schweiz-2023-europafragen-2/

Mit Ausnahme der SVP-Anhängerschaft sind sämtliche politischen Lager klar von den Vorteilen der Bilateralen überzeugt. Die positivste Sicht haben die Anhänger:innen der GLP (93% nur/eher Vorteile) gefolgt von denjenigen der SP (86%), der Mitte (81%), der Grünen (79%) und der FDP (76%). Die Sympathisant:innen der SVP sind polarisiert in der Einschätzung der Bilateralen: 46 Prozent sehen in ihnen eher oder nur Vorteile, während 40 Prozent eher oder nur Nachteile sehen.

Die jungen Stimmbürger:innen unter 40 Jahren bewerten die Bilateralen häufiger als vorteilhaft (81% nur/eher Vorteile), als dies für die mittleren (40 – 65 Jahre: 64%) und älteren Generationen (über 65 Jahre: 61%) der Fall ist. Weiter sind es die Stimmberechtigten mit hoher formaler Bildung (79%) sowie diejenigen, die in grossen Agglomerationen wohnen (77%), welche in den Bilateralen besonders häufig Vorteile sehen. Auch in den drei Landesteilen finden wir unterschiedliche Sichtweisen: Während die Deutschschweizer:innen die Vorteile vergleichsweise häufig sehen (71%), ist die Stimmbevölkerung in der Romandie (61%) und besonders im italienischsprachigen Landesteil (51%) weniger positiv eingestellt, wobei insbesondere unter den italienischsprachigen Stimmberechtigten die ambivalente Sicht sichtbar erhöht ist (20% Vor- und Nachteile gleichzeitig).

Pro-Argumente:

Wie vorteilhaft die Bilateralen aus Sicht der Stimmbevölkerung sind, zeigt sich in der überaus positiven Bewertung auf Argumente-Ebene:

Die Sicherung des Zugangs zum wichtigsten Exportmarkt der Wirtschaft durch die Bilateralen (85% voll/eher einverstanden) und die Notwendigkeit der Fachkräfte, auf die die Schweiz angewiesen ist (83%), sind unter den Stimmberechtigten unbestritten. Jeweils gut drei Viertel sind der Meinung, dass die Schweiz dank der Teilnahme an EU-Forschungsprogrammen zu den innovativsten Ländern gehört (78%), der Abbau von technischen Handelshemmnissen wichtig für Schweizer Unternehmen ist (78%) und wir dank den bilateralen Verträgen überall in der EU wohnen, arbeiten und studieren können (75%). Auch den Argumenten, dass die Bilateralen der Schweiz zu Wohlstand verhelfen (70%) und die einheimischen Löhne durch die bestehenden Flankierenden Massnahmen gut geschützt sind (60%), stimmt eine Mehrheit zu. Dass die Schweiz hingegen dank der Verträge mit der EU von den grossen Asylwanderungen verschont wird, sieht eine Mehrheit anders (59% gar/eher nicht einverstanden).

Contra-Argumente:

Trotzdem gibt es durchaus auch mehrheitsfähige Kritikpunkte an der aktuellen Beziehung der Schweiz zur EU, die sich in erster Linie um die Zuwanderung drehen:

Die grösste Unterstützung geniesst dabei die Aussage, dass die Zuwanderung aus der EU zur grossen Belastung für unsere Sozialwerke wird (62% voll/eher einverstanden), gefolgt von den Argumenten, ebendiese Zuwanderung aus der EU treibe die Miet- und Immobilienpreise in die Höhe (61%) und, dass die Schweiz die Kontrolle über die Zuwanderung verloren hat (52%). Dass aber die Schweiz in Anbetracht dieser Kritik gar nicht auf die bilateralen Verträge angewiesen sei, sieht nur eine klare Minderheit der Befragten so (30% voll/eher einverstanden).

Regressionsanalyse

Die Einschätzung zu den aktuellen bilateralen Verträgen lässt sich mit weitergehenden Analysen auch inhaltlich begründen. Im ersten Schritt wird dabei mittels Regressionsanalyse der Einfluss der Pro- und Kontra-Argumente auf die allgemeine Sicht der Bilateralen untersucht:

Wie in vergangenen Studien hat weiterhin die Aussage, dass die bilateralen Verträge mit der EU uns zu Wohlstand verhelfen, den stärksten Einfluss auf die Sicht der Bilateralen. Ebenfalls einen statistisch nachweisbaren positiven Effekt auf die Beurteilung der Bilateralen hat die Zustimmung zur Aussage, dass die Fachkräfte aus dem Ausland notwendig sind – wenn auch weniger stark ausgeprägt.

Auf der anderen Seite befinden sich die Ansichten, welche sich signifikant auf eine Nachteilssicht auf die Bilateralen allgemein auswirken. Namentlich sind dies die Meinung, dass die Schweiz nicht auf die bilateralen Verträge angewiesen ist, die Zuwanderung aus der EU zur grossen Belastung für die Sozialwerke wird sowie dass die Kontrolle über die Zuwanderung verloren wurde.

Obwohl die Zuwanderung aus der EU auf die grösste Kritik stösst, ist die Personenfreizügigkeit beziehungsweise deren konkreten Vorteile gänzlich unumstritten:

So sehen jeweils mehr als jede:r Vierte Vorteile darin, dass Schweizer Unternehmen Fachkräfte aus der EU rekrutieren können (87% stark/eher von Vorteil), Schweizer Arbeitnehmende ohne bürokratische Hürden in der ganzen EU arbeiten können (85%) und darin, dass Berufsdiplome und Ausbildungen gegenseitig anerkennt werden (85%). Mit kleinem Abstand folgt das bestehende Paket der flankierenden Massnahmen zum Schutz der hiesigen Lohn- und Arbeitsbedingungen, welches von fast drei Vierteln der Schweizer:innen als vorteilhaft für die Schweiz gesehen wird (73%).

Wird die Beziehung der Schweiz zur EU allgemein diskutiert, überwiegt auch hier die Vorteilssicht klar:

Auch im Herbst 2023 ist es grundsätzlich unbestritten, dass die Schweiz im globalen Wettbewerb auf gute Beziehungen zur EU angewiesen ist (83% voll/eher einverstanden), dass ein Verfahren zur Streitbeilegung wichtig ist (76%) und, dass dank der selektiven Übernahme von EU-Recht der Marktzugang für die Exportindustrie gesichert wird (72%). Eine Mehrheit hält es ausserdem für verständlich, dass die EU mittlerweile genug vom komplizierten Vorgehen und den Spezialwünschen der Schweiz hat (60%).

Gleichzeitig hat aber auch eine (knappe) Mehrheit den Eindruck, die Schweiz lässt sich von der EU erpressen (53%). Dass die EU hingegen mehr auf gute Beziehungen mit der Schweiz angewiesen sei als umgekehrt, hält die Mehrheit nicht für realistisch (56% gar/eher nicht einverstanden).

1.2 Künftige Beziehung Schweiz - EU

Wenn es darum geht die gute Ausgangslage des Wirtschaftsstandort Schweiz zu sichern, halten die Stimmberechtigten bis auf den internationalen Alleingang der Schweiz, sämtliche besprochenen Massnahmen für sinnvoll:

An erster Stelle steht dabei aber die Spitzenforschung, für die attraktivere Rahmenbedingungen geschafft werden müssen (87% sehr/eher sinnvoll). Auch, dass die Beziehungen zur EU stabilisiert (78%) und zu den Ländern ausserhalb ausgebaut (77%) werden müssen, wird flächendeckend als sinnvoll erachtet. Weiter ist aus Sicht der Schweizer:innen auch klar, dass gute Bedingungen zum schnellen Ausbau der Digitalisierung geschafft (77%) und die bürokratischen Hürden für Unternehmen abgebaut werden müssen (74%). Die Frage, ob die Schweiz hingegen besser beraten wäre, die grossen Herausforderungen alleine anzugehen, anstatt sich auf andere zu verlassen, polarisiert hingegen: 49 Prozent halten diesen Alleingang nämlich für eher oder sehr sinnvoll, während 48 Prozent dies als eher oder überhaupt nicht sinnvoll erachten.

Seit 2022 führen die Schweiz und die EU Sondierungsgespräche für eine Sicherung und punktuelle Weiterentwicklung des Bilateralen Wegs (Bilateralen III). Eine klare Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung wäre nun mit einem Verhandlungsmandat auf Basis dieser Vorgespräche mit den «Bilateralen III» einverstanden:

Insgesamt würden aktuell über zwei Drittel der Stimmbürger:innen ein solches Verhandlungsmandat befürworten (68% voll/eher einverstanden). Dem gegenüber stehen 21 Prozent, die eher oder gar nicht damit einverstanden wären.

 

Dieses Verhandlungsmandat wird mit Ausnahme der SVP im gesamten Parteienspektrum klar befürwortet:

Am höchsten ist der Anteil in den Anhängerschaften der GLP (89% voll/eher einverstanden) und der FDP (87%). Aber auch unter Sympathisant:innen der SP (83%), der Grünen (76%) sowie die der Mitte (75%), sind jeweils gut drei Viertel mit diesem Verhandlungsmandat einverstanden. Die Anhänger:innen der SVP (49%) sind hingegen fast hälftig gespalten in dieser Frage.

Die Zustimmung zum Verhandlungsmandat steigt ausserdem mit dem Alter und mit der formalen Bildung, wobei in allen Untergruppen die Mehrheit einverstanden ist. Unter Frauen (63%) und in ländlichen Gebieten (62%) ist die Zustimmung leicht unterdurchschnittlich, aber immer noch klar mehrheitlich.

 

Mit sämtlichen der zehn separat besprochenen möglichen Elemente dieser «Bilateralen III», wäre die Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten aktuell einverstanden:

Fast einstimmig wird die Wiederaufnahme der Schweiz in die EU-Programme für Forschung und Innovation befürwortet (89% voll/eher einverstanden). Ebenfalls jeweils rund vier Fünftel wären mit Anpassungen der flankierenden Massnahmen unter Wahrung des heutigen Lohnschutzes (83%), der Aktualisierung der Regelung gegenseitiger Anerkennung von Produktvorschriften (82%) sowie mit einem Abschluss eines Stromabkommens mit der EU (79%), oder mit der Möglichkeit zur dynamischen Rechtsübernahme (79%) einverstanden. Und auch der Abschluss eines Kooperationsabkommens im Gesundheitsbereich zur Sicherung der Zusammenarbeit in Gesundheitskrisen wird von einer grossen Mehrheit befürwortet (75%).

Knapp zwei Drittel der Befragten wären für die Schaffung eines Streitschlichtungsmechanismus mit einem paritätischen Schiedsgericht (65%) und der Wiederaufnahme des sogenannten Regulierungsdialogs zu Finanzmarktfragen (64%), wobei hier fast jede:r Vierte die Frage nicht beantworten konnte. Auch mit der Weiterführung des bisherigen Solidaritätsbeitrags der Schweiz, dem sogenannten Kohäsionsfonds, wären 61 Prozent einverstanden, wobei hier mit 32% Prozent nahezu ein Drittel eher oder gar nicht einverstanden wären. Die teilweise Übernahme der sogenannten Unionsbürgerrichtlinie, die EU-Bürger:innen mit einem Arbeitsvertrag ein Anrecht auf Sozialleistungen ermöglichen würde, polarisiert die Stimmberechtigten. Dennoch wären mit 53 Prozent die knappe Mehrheit damit zumindest eher einverstanden.

Wenn nun diese neu verhandelten «Bilateralen III» alle die zuvor diskutierten Elemente enthalten würden, wäre die Stimmbevölkerung klar für diesen neuen Vertrag zwischen der Schweiz und der EU:

Insgesamt wären 53 Prozent eher mit diesen neuen Verträgen einverstanden, 18 Prozent sogar voll einverstanden. Diese 71 Prozent sind somit sogar noch etwas mehr als die Vorteilssicht der aktuellen Bilateralen (68%). Ein knappes Viertel wäre mit diesen «Bilateralen III» hingegen eher oder gar nicht einverstanden (24%).

Wiederum finden wir deutliche Unterschiede in den verschiedenen Parteilagern mit einem ähnlichen Muster wie in der Bewertung der aktuellen bilateralen Verträge, wobei sogar die Anhängerschaft der SVP mit diesen neuen Verträgen mit der EU äusserst knapp aber mehrheitlich einverstanden wäre:

Auch bezüglich dieser neuen «Bilateralen III» sind die Zustimmungswerte unter den Anhänger:innen der GLP am höchsten (94% voll/eher einverstanden), gefolgt von denjenigen der FDP (89%) und der SP (88%). Drei Viertel der Stimmberechtigten, die mit der Mitte sympathisieren (75%) und gut zwei Drittel der Grünen-Anhängerschaft (68%) wären mit diesen Verträgen ebenfalls einverstanden. Die Anhänger:innen der SVP teilen sich hingegen genau in der Hälfte in Befürworter:innen (50% voll/eher einverstanden) und Gegner:innen (48% gar/eher nicht einverstanden).

Wie in der Frage zum Verhandlungsmandat sind wiederum ältere Stimmberechtigte sowie Männer und Personen in mittleren und grossen Agglomerationen häufiger mit den «Bilateralen III» einverstanden. Ausserdem ist der Anteil Einverstandener auch im italienischsprachigen Landesteil (83% voll/eher einverstanden) grösser als in den deutsch- (71%) und französischsprachigen (73%) Regionen.

In der Diskussion rund um die neuen bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU wird der Wunsch nach einer Überarbeitung und Verbesserung der Beziehung zur EU sichtbar:

Grosse Mehrheiten sind demnach der Meinung, dass es Zeit ist für den nächsten Schritt zur gesicherten und stabilen Zusammenarbeit mit der EU (72% voll/eher einverstanden) und, dass sich ohne regelmässige Aktualisierung der Zugang zum Europäischen Markt für die Schweizer Exportindustrie verschlechtert (70%).

Aus Sicht der Stimmberechtigten wären die «Bilateralen III» ein plausibler Weg dorthin. So finden gut zwei Drittel der Stimmbürger:innen, dass nur mit den «Bilateralen III» der bilaterale Weg stabilisiert und weiterentwickelt werden kann (69%). Ebenfalls knapp zwei Drittel sind der Meinung, dass die Schweiz mit den «Bilateralen III» in Zukunft noch jede Anpassung am Abkommen einzeln entscheiden und falls nötig ablehnen kann, und die Konsequenzen dafür vertretbar sind (66%). Bei den konkreten Inhalten der Verträge herrscht allerdings noch einige Unsicherheit: So sind 47 Prozent der Meinung, dass mit den Verträgen die wichtigen Punkte Unionsbürgerrichtlinie sowie Streitbeilegung und Lohnschutz im Vergleich zum alten «institutionellen Abkommen» verbessert wurden, wobei ein knappes Drittel diese Frage nicht beantworten konnte (31% weiss nicht/keine Antwort).

Trotz der weitgehenden Einigkeit, dass die Zusammenarbeit mit der EU überarbeitet werden soll, stossen auch die vorgeschlagenen «Bilateralen III» zum Teil auf Kritik:

So ist die Mehrheit der Stimmbevölkerung der Meinung, dass es sich dabei nicht um einen Vertrag zwischen gleichberechtigten Partnern handelt, sondern die EU der Schweiz die Regeln aufzwingt (57% voll/eher einverstanden) und rund die Hälfte hat den Eindruck, die Schweiz geht darin zu viele Kompromisse ein (52%).

An den konkreten Elementen der Verträge wird ebenfalls Kritik geäussert, diese wird allerdings (knapp) nicht mehrheitlich vertreten: So finden 48 Prozent, dass mit diesem Abkommen EU-Bürger:innen viel schneller Recht auf Schweizer Sozialhilfe hätten (48%), während 44 Prozent in der Personenfreizügigkeit nur Vorteile für die EU sehen und 40 Prozent sind der Meinung, dass am Schluss immer der Europäische Gerichtshof entscheiden würde und somit die Meinung der Schweiz zu den neuen Regeln egal wäre.

Mittels Regressionsanalyse kann wiederum der Einfluss der Haltung in den einzelnen Argumenten zu den «Bilateralen III» auf die allgemeine Einschätzung ebendieser «Bilateralen III» untersucht werden:

Den grössten Effekt auf die Zustimmung zu den «Bilateralen III» hat die Ansicht, dass es für die Schweiz Zeit ist, den nächsten Schritt in der Zusammenarbeit mit der EU zu machen. Wer dieser Meinung ist, ist auch mit den «Bilateralen III» einverstanden, beziehungsweise wer dies nicht so sieht, befürwortet auch die «Bilateralen III» nicht. Weiter finden wir in der Regressionsanalyse auch einen positiven Einfluss auf die Zustimmung zu den neuen Verträgen mit der EU für Stimmberechtigte, die mit den wichtigen Punkten der vorgeschlagenen Verträge einverstanden sind. Ebenfalls einen positiven Zusammenhang weisen diejenigen auf, welche der Meinung sind, nur mit diesen «Bilateralen III» kann der bilaterale Weg stabilisiert und weiterentwickelt werden sowie, dass sich für die Schweizer Exportindustrie sonst der Zugang zum Europäischen Markt verschlechtert.

Wer hingegen der Ansicht ist, mit dem Abkommen geht die Schweiz zu viele Kompromisse ein oder, dass es sich dabei nicht um einen Vertrag zwischen gleichberechtigten Partnern handelt, ist mit den vorgeschlagenen «Bilateralen III» häufiger nicht einverstanden.

In einem zweiten Schritt kann auch der Einfluss der Zustimmung oder Ablehnung der einzelnen Elemente auf die generelle Befürwortung der «Bilateralen III» untersucht werden:

Den grössten Einfluss hat dabei die Haltung zur Unionsbürgerrichtlinie: Wer mit der teilweisen Übernahme dieser Richtlinie einverstanden ist, der befürwortet auch die vorgeschlagenen «Bilateralen III». Wer damit nicht einverstanden ist, hingegen nicht. Weiter finden wir auch statistisch nachweisbare Zusammenhänge mit der Befürwortung zu den «Bilateralen III» für die Zustimmung zum Abschluss eines Stromabkommens, der Schaffung eines Streitschlichtungsmechanismus sowie mit dem Abschluss eines Kooperationsabkommens im Gesundheitsbereich. Schwächere aber dennoch positive Effekte zeigen sich auch für die Aufnahme in die Forschungsprogramme, der dynamischen Rechtsübernahme und für die Wiederaufnahme des Regulierungsdialogs zu Finanzmarktfragen.

Auffällig ist auch das Fehlen der Flankierenden Massnahmen, welches von allen Elementen die zweithöchste Zustimmung geniesst (83% voll/eher einverstanden). Die Zustimmung beziehungsweise Ablehnung, dass diese angepasst werden, hat somit keinen Einfluss auf die Einschätzung der «Bilateralen III». Sowohl unter den Befürworter:innen als auch unter den Gegner:innen der vorgeschlagenen Ausgestaltung der «Bilateralen III» ist eine Mehrheit mit der Anpassung der Flankierenden Massnahmen einverstanden, solange der heutige Lohnschutz gewährt bleibt. Allerdings zeigt eine nicht unerhebliche Unkenntnis bei diesem Item, dass die Diskussion hier wohl noch nicht abgeschlossen ist.

Im letzten analytischen Schritt wird untersucht, wie sich die Einschätzung der existierenden Bilateralen und die Zustimmung zum Verhandlungsmandat auf die Zustimmung der «Bilateralen III» überträgt.

Grundsätzlich ist die grosse Mehrheit der Stimmberechtigten, die in den Bilateralen aktuell Vorteile sehen, auch mit den vorgeschlagenen «Bilateralen III» zumindest eher einverstanden. Rund zehn Prozent sehen in den heutigen Verträgen mit der EU Vorteile, aber wären mit den «Bilateralen III» nicht einverstanden. Auf der anderen Seite befürworten diejenigen, die aktuell Vor- und Nachteile gleichzeitig sehen, die «Bilateralen III» fast vollständig.

Das Bild wird durch die Regressionsanalyse bestätigt: Wer von den bilateralen Verträgen und deren Einfluss auf den Wohlstand der Schweiz überzeugt ist, befürwortet auch die «Bilateralen III». Wer auf der anderen Seite insbesondere die Zuwanderung aus der EU als Problem sieht, der ist auch mit den neuen bilateralen Verträgen eher nicht einverstanden.

Insgesamt ist die Zustimmung zum Verhandlungsmandat (68% voll/eher einverstanden) und den «Bilateralen III» (71%) praktisch gleich hoch. Die Meisten wären dabei sowohl mit dem Verhandlungsmandat als auch mit den diskutierten «Bilateralen III» einverstanden. Rund 8 Prozent befürworten das Verhandlungsmandat, aber nicht die «Bilateralen III», während etwa 6 Prozent das Verhandlungsmandat ablehnen, aber mit den «Bilateralen III» einverstanden sind. Auffällig ist, dass die Mehrheit der Stimmberechtigten, die die Frage nach dem Verhandlungsmandat nicht beantworten konnten, die «Bilateralen III» befürworten würden.

2 SYNTHESE

Herbst 2023 mit europafreundlicher Stimmung

Im Herbst 2023 herrscht in der Schweizer Stimmbevölkerung eine europafreundliche Stimmung. Die Vorteilssicht auf die Bilateralen ist seit Frühling um zehn Prozentpunkte gewachsen und befindet sich auf einem Höchststand (68% nur/eher Vorteile). Bis auf die SVP ist die Vorteilssicht in sämtlichen Parteilagern sogar über 75 Prozent. Insbesondere überwiegen für die Stimmbürger:innen auch für die Elemente der Personenfreizügigkeit die Vorteile klar. Allerdings gibt es auch mehrheitsfähige Kritik, die auf die Zuwanderung abzielt. Dabei stehen die Sozialkosten sowie die Miet- und Immobilienpreise im Zentrum. Weiter sieht eine grosse Mehrheit, dass für die «kleine» Schweiz tragfähige Beziehungen zur EU im globalen Wettbewerb unabdingbar sind.

Klarer Wunsch nach weiterer Zusammenarbeit mit der EU

Die Stimmberechtigten äussern einen klaren Wunsch nach einer Aktualisierung und Stabilisierung der Zusammenarbeit mit der EU. So sollen attraktive Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Schweiz geschaffen und der Exportindustrie einen guten Zugang zum Europäischen Markt gesichert werden. Eine zwei-Drittel-Mehrheit spricht sich dafür aus, dass der Bundesrat auf Basis der Vorgespräche ein Verhandlungsmandat für die «Bilateralen III» verabschiedet. Einzig die SVP-Anhänger:innen sind in dieser Frage gespalten.

"Bilaterale III" sind geeignete Lösung

Die vom Bundesrat anskizzierten «Bilateralen III» sind dabei aus Sicht der Befragten eine geeignete Lösung, um die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU weiterzuentwickeln. Die Möglichkeit den bilateralen Weg durch den Abschluss neuer Abkommen zu stabilisieren und trotzdem auch in Zukunft noch über Anpassungen am Abkommen einzeln zu entscheiden und falls nötig abzulehnen, wird von grossen Mehrheiten befürwortet. Von den konkreten Inhalten erreichen die Forschungsprogramme der EU, die Flankierenden Massnahmen sowie die Aktualisierung von Produktionsvorschriften die höchsten Zustimmungswerte. Die Unionsbürgerrichtlinie wird am kritischsten beurteilt, bildet aber nicht mehr wie zuletzt eine harte rote Linie.

wer überzeugt ist vom bilateralten Weg ist einverstanden mit der Weiterentwicklung der "Bilateralen III"

Wer schon vom bilateralen Weg der Schweiz und der EU überzeugt ist, der ist auch jetzt einverstanden mit den weiterentwickelten «Bilateralen III». Auch die Meinung, dass es jetzt Zeit ist, den nächsten Schritt in der Zusammenarbeit zu machen, und, dass wichtige Punkte im Vergleich mit dem alten «Institutionellen Abkommen» verbessert wurden, führt zur stärkeren Zustimmung zu den «Bilateralen III». Auf der anderen Seite werden sie von Personen abgelehnt, die im Abkommen zu viele Kompromisse und keinen Vertrag zwischen gleichberechtigten Partnern sehen. Weiter führt auch eine kritische Sicht auf die Zuwanderung aus der EU verstärkt zu einer Ablehnung der «Bilateralen III». Von den konkreten Elementen wirken sich die Zustimmung beziehungsweise die Ablehnung gegenüber der Unionsbürgerrichtlinie, einem Stromabkommen und der Schaffung eines Streitschlichtungsmechanismus am stärksten auf die Gesamtbeurteilung der «Bilateralen III» aus.

3 INFOBOX

– Auftraggeber: economiesuisse, Schweizerischer Arbeitgeberverband, Interpharma, Schweizerische Bankiervereinigung, Swissmem

– Grundgesamtheit: Stimmberechtigte der Schweiz, die einer der drei Hauptsprachen mächtig sind

– Erhebungsart: Telefonbefragung (CATI) mit zufälliger Anwahl von Festnetz- (80%) und Mobilfunknummern (20%) für Stimmberechtigte über 49 Jahren, Onlinebefragung im Hauseigenen Panel für Stimmberechtigte unter 50 Jahren.

– Stichprobengrösse: Total Befragte N = 1’009 (DCH: 706, FCH: 243, ICH: 60), (CATI: 556, Online Panel: 453)

– Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Alter/Geschlecht, Sprache, Siedlungsart, Bildung, Partei und Recall Abstimmung AHV 21

– Stichprobenfehler: ±3.1 Prozent bei 50/50 und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit

– Befragungszeitraum: 30. Oktober bis 15. November 2023