2. SRG-Trendumfrage zur Abstimmung vom 18. Juni 2023

Vor der Schlussmobilisierung:

OECD/G20-Mindestbesteuerung -
klare Mehrheit dafür bei deutlichem Nein-Trend

Klima- und Innovationsgesetz -
Mehrheit dafür bei deutlichem Nein-Trend

Covid-19-Gesetz -
stabile Mehrheit dafür

Studie im Auftrag der SRG SSR

Drei Ja-Mehrheiten



Wäre bereits am 27. Mai 2023 abgestimmt worden, wären alle drei auf eidgenössischer Ebene zur Abstimmung stehenden Vorlagen deutlich angenommen worden. Am klarsten gilt dies für die OECD/G20-Mindestbesteuerung, gefolgt vom Covid-19-Gesetz und dem Klima-Gesetz. Alle drei Vorlagen erfuhren im Verlauf der Hauptkampagnenphase eine Polarisierung Richtung Nein. Für Behördenvorlagen entspricht dies dem Ausnahmefall der Meinungsbildung.



Die Stimmbeteiligung hätte bei durchschnittlichen 45 Prozent gelegen.

Hier liegt eine Momentaufnahme rund sieben Wochen vor dem Abstimmungstag vor und nicht eine Prognose. Die Studie beschreibt die Ausgangslage zu Beginn der Hauptkampagnenphase.

Alle Angaben gelten bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Unsicherheitsbereich von ±2.8 Prozentpunkten. Der Abstimmungskampf und die Meinungsbildung setzen erst ein und können bei Volksabstimmungen nachweislich das Ja/Nein-Verhältnis beeinflussen. Hinzu kommen Effekte aus der noch unbekannten Mobilisierung durch die Kampagnen.

Die Befunde der Umfrage werden anhand des Dispositionsansatzes von gfs.bern theoretisch verortet.

Hier finden sich Hintergrundinformationen zu den Vorlagen der Juni-Abstimmung und hier zur Methode der SRG-Trendumfragen. Eine Einordnung der politischen Grosswetterlage ist hier zugänglich.

Ausserdem können Sie hier eine vollständige Grafiksammlung herunterladen.

OECD/G20-Mindestbesteuerung

Gegenwärtige Stimmabsichten klar zugunsten des Bundesbeschlusses

Ende Mai hätten 73 Prozent für den Bundesbeschluss betreffend eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen gestimmt und 24 Prozent dagegen. Obwohl der Ja-Anteil zwischen Ende April und Ende Mai um 11 Prozentpunkte (in der Folge ppt.) gesunken ist und sich der Nein-Anteil mehr als verdoppelt hat, bleibt eine sehr solide Mehrheit im Ja.

Die Befragten rechnen denn auch selber mit einer Annahme der „OECD-Mindestbesteuerung“, denn 84 Prozent schätzen bei der Abstimmung vom 18. Juni 2023 den Ja-Anteil auf über 50 Prozent. Im Mittel wird er auf vergleichsweise hohe 56 Prozent geschätzt. Die Stimmenden selbst rechnen nun noch deutlicher mit einem Ja als bisher.

Stand der Meinungsbildung: mittel

Eine Mehrheit will zu diesem Zeitpunkt schon bestimmt für die OECD-Mindestbesteuerung stimmen. Insgesamt haben 67 Prozent gefestigte Meinungen entweder für oder gegen die Vorlage, was weiterhin eher ein mittlerer Wert ist. Die frühen Stimmabsichten sind mit Argumenten zu 37 Prozent erklärbar. Die inhaltliche Kohärenz ist zwar grösser geworden, liegt aber immer noch deutlich hinter den anderen beiden Vorlagen zurück. Insgesamt bewerten wir trotz der verbreiteten und gefestigten Ja-Stimmabsicht den Stand der Meinungsbildung als mittel.

Konfliktlinie: Leichter Nein-Trend bei SP, SVP und Regierungskritischen

Alle Gruppen unterstützen die Vorlage zu über 60 Prozent. Bei der SP-Anhängerschaft und der SVP-Anhängerschaft sind die Nein-Trends im Vergleich zur ersten Befragung sehr deutlich. Der Nein-Anteil der SP-Anhängerschaft ist von 16 auf 33 Prozent gestiegen, womit sich der Elite-Basis-Konflikt etwas entschärft. In der Gruppe der SP-Anhängerschaft ist auch der Anteil am grössten, der selbst angibt, vom Ja-  ins Nein-Lager gewechselt zu haben. Die Stimmfreigabe der Grünen wirkt sich wohl aus, weil in deren Basis niemand angibt, vom Ja- ins Nein-Lager gewechselt zu haben.

 

Sie will auch nicht überdurchschnittlich Nein stimmen (Grüne: 74 % Ja zu 19 % Nein). Bei der SVP-Anhängerschaft stieg in der letzten Befragung vor der Abstimmung der Nein-Anteil von 20 sogar auf 37 Prozent, womit die SVP-Parole offenbar einen wachsenden Teil der eigenen Basis nicht überzeugt. Regierungsvertrauende wollen zu 83 Prozent den Bundesbeschluss annehmen, Regierungskritische zu 59 Prozent. Innerhalb eines Monats wollen neu statt 20 Prozent nun 38 Prozent unter den Regierungskritischen die Vorlage ablehnen. Tendenziell ist das Nein auch in Haushalten in geringeren Einkommensverhältnissen und bei Personen, die keinen akademischen Weg beschritten haben, gestiegen. Allerdings ist in keiner dieser Gruppen ist mehr als ein Drittel gegen die Vorlage. Der Nein-Trend ist in der deutschsprachigen Schweiz ausgeprägter als in den beiden anderen Sprachregionen. Er erfasst Stadt, Land und die Agglomeration in ähnlichem Ausmass. Weiterhin besteht in allen Regionen eine klare Ja-Mehrheit.

Argumente: Standortattraktivität vs. unnötiger Steuerwettbewerb

Alle drei Ja-Argumente haben weiterhin sehr starke Unterstützung von annähernd 80 Prozent der Befragten. Die Reform wird von 77 Prozent als gerecht betrachtet, weil sie einzig auf international tätige Unternehmensgruppen und nicht auf kleinere Unternehmen zielt. Die zusätzlichen Steuermittel, um den Standort Schweiz attraktiver zu machen, und die Verhinderung von Steuerflucht von grossen Unternehmen in Tiefsteuerländer mit dem Ziel der internationalen Steuergerechtigkeit, sprechen unverändert aus Sicht klarer Mehrheiten für die Reform.

 

Auf der Nein-Seite ist die Kritik von links zur Mittelverteilung mit 53 Prozent Einverständnis knapp mehrheitsfähig: Wenn wenige steuerlich attraktive Kantone einen Grossteil der Einnahmen erhalten, befeuert das den interkantonalen Steuerwettbewerb zusätzlich. Das ist das stärkste der drei getesteten Nein-Argumente. Die Kritik von rechts überzeugt weniger. 31 Prozent wollen keine zusätzlichen Steuern in schwierigen Zeiten. 26 Prozent (+2 ppt. gegenüber dem Vormonat) sehen in der OECD-Mindeststeuer einen nicht tolerierbaren Eingriff in die Steuersouveränität der Schweiz. In der Wirkungsanalyse ist die Kritik von rechts weit weniger wirksam als diejenige von links. Zwischen Ja und Nein hat sich die inhaltliche Debatte, gemessen auf die Wirkung der Argumente, auf die Frage verlagert, ob zusätzliche Mittel für die Standortattraktivität sinnvoll sind, oder ob solche nicht einfach den kantonalen Steuerwettbewerb unnötig anheizen.

Trend in der Meinungsbildung

Trotz bemerkenswertem Nein-Trend anhand der aktuellen Stimmabsichten rund drei Wochen vor der Abstimmung gibt es auf Basis der SRG-Trend-Befragung keinen Anlass, an einer Ja-Mehrheit zu zweifeln. Die Kritik aus regierungskritischen und SVP-nahen Kreisen ist inhaltlich wenig fundiert und müsste in den letzten Wochen massiv zulegen.

 

Gegen einen anhaltenden Nein-Trend im rechts-konservativen Lager spricht neben der wenig intensiven Debatte über die Vorlage selbstredend auch die Parole der SVP. Links ist die Kritik der SP nun auch in der Basis angekommen, erreicht aber die Anhängerschaft der Grünen kaum. Es erscheint also wenig wahrscheinlich, dass sich das Nein weiter aufbaut. Das wäre dann auch die Erwartung der Stimmenden selbst, die klar von einer Annahme ausgehen. Ein deutliches Ja der Stimmenden erscheint damit als wahrscheinliches Szenario.

Klima-Gesetz

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Eine Mehrheit von 63 Prozent der Teilnahmewilligen hätte Ende Mai bestimmt oder eher für das Klima- und Innovationsgesetz gestimmt. 36 Prozent äusserten sich eher oder klar dagegen. Über den Kampagnenverlauf hat ein Nein-Trend eigesetzt:  Die Ja-Seite verliert an Unterstützung (-9 ppt), das Nein legt zu (+11 ppt.). Dabei erodiert die tendenzielle, nicht aber die bestimmte Unterstützung.  Insgesamt verringerte diese Entwicklung den Vorsprung der Ja-Seite auf 27 Prozentpunkte (-20 ppt).

Die Erwartung der Teilnahmewilligen hinsichtlich des Abstimmungsausgangs am 18. Juni 2023 bleibt ein Ja zum Klima-Gesetz: Der Ja-Anteil für den Abstimmungssonntag wird im Mittel auf 53 Prozent geschätzt (+ 1ppt). 71 Prozent der Teilnahmewilligen gehen von einer Annahme aus, nur 29 Prozent von einer Ablehnung.

Fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

Gestiegene 81 Prozent äussern feste Stimmabsichten (+12 ppt). Nur ein Prozent zeigt sich noch unentschlossen (-2 ppt). Die argumentative Abstützung der Stimmentscheide ist stark und über den Kampagnenverlauf erwartungsgemäss angestiegen: 77 Prozent der individuellen Stimmentscheide können rein anhand der Haltungen zu den sechs hier getesteten Argumenten korrekt vorhergesagt werden.

Der Stand der Meinungsbildung ist damit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen, denn der Meinungsbildungsprozess und die Hauptkampagnenphase sind in vollem Gange.

Konfliktmuster: politische Polarisierung akzentuiert, Regierungsmisstrauische und tiefe Schulbildung neu mit der SVP im Nein

Der allgemeine Trend einer Polarisierung zum Nein zeigt sich mit Ausnahme von Grüne-, SP- und GLP-nahen Teilnahmewilligen in allen Untergruppen. Somit darf ein links-grünes Ja zum Klima-Gesetz als gesetzt angenommen werden, denn die Unterstützung der Vorlage bleibt in diesem Umfeld annähernd geschlossen (Grüne: 99%, SP: 95%, GLP: 96% eher/bestimmt dafür). Den Gegenpol bildet das akzentuierte SVP-Nein zum Klima-Gesetz, welches ebenso deutlich ausfällt (85% eher/bestimmt dagegen, +22 ppt). Alle anderen Parteiwählerschaften bleiben mehrheitlich im Ja, auch wenn die Zustimmung aus der politischen Mitte unter Druck geraten ist – im Umfeld der FDP stärker als bei der Mitte. Auch die Zustimmung der Parteiungebundenen nimmt ab, bleibt aber mehrheitlich (55% eher/bestimmt dafür, -9 ppt.).

Zwar stehen damit alle Parteiwählerschaften mehrheitlich auf Seiten der Position ihrer Parteispitze, bei der Mitte und der FDP entwickeln sich die Stimmabsichten allerdings weg von der offiziellen Position der jeweiligen Mutterpartei. Der Stand der Meinungsbildung bleibt im FDP-Umfeld und bei Parteiungebundenen hinter jenem der anderen Wählergruppen zurück, was Veränderungen in diesem Umfeld weiterhin wahrscheinlicher macht.

 

Ausserhalb der SVP-nahen Wählerschaft lehnen neu zwei weitere Untergruppen das Klima-Gesetz mehrheitlich ab: Teilnahmewillige, welche der Regierung misstrauen (68% eher/bestimmt dagegen, +20 ppt.) und solche mit tiefer Schulbildung (56% eher/bestimmt dagegen, +24 ppt.).

Signifikant kritischer mit dem Klima-Gesetz zeigen sich ausserdem Teilnahmewillige mit mittlerer Schulbildung (46% % eher/bestimmt dagegen), Männer (40% eher/bestimmt dagegen), 40 bis 64-Jährige (40% eher/bestimmt dagegen), solche aus ländlichen Gegenden (41% eher/bestimmt dagegen) und jene aus der deutsch- oder italienischsprachigen Schweiz (DCH: 38%, ICH: 39% eher/bestimmt dagegen).

Grundsätzlich bleibt es aber bei einem flächendeckenden und mehrheitlichen Ja, denn ausserhalb der drei benannten Gruppen (SVP, Regierungsmisstrauen, tiefe Schulbildung) hätten Ende Mai alle Teilnahmewilligen mehrheitlich Ja gestimmt. Bemerkenswert ist insbesondere, dass die Zustimmung auf dem Land trotz Nein-Trend mehrheitlich bleibt und dass die gegnerische Kosten-Argumentation zwar verfängt, Teilnahmewillige aus Haushalten mit tiefen und mittleren Einkommen Ende Mai jedoch mehrheitlich Ja gestimmt hätten.

Argumente: Richtige Anreize ohne zusätzliche Steuern vs. steigende Strompreise und Kosten

Argumentativ bleiben die Befürworter:innen besser aufgestellt, denn sie überzeugen klare Mehrheiten mit ihren Argumenten, was den Gegner:innen bisher nicht gelingt. Allerdings büssten alle drei Pro-Argumente im vergangenen Monat an Zustimmung ein, während jene zu den Contra-Argumenten ansteigt.

69 Prozent sind mit der Befürworterschaft einverstanden, wenn diese ins Feld führt, dass es für eine langfristig sichere Stromversorgung sinnvoll sei, dass die Schweiz die Abkehr von fossilen Energieträgern vorantreibe (-4 ppt.). Etwas weniger als zwei Drittel finden, dass die Vorlage richtige Anreize setze und damit Bevölkerung und Wirtschaft beim Umstieg auf klimafreundliche Heizungen ohne zusätzliche Steuern unterstütze (62% eher/sehr einverstanden, -6 ppt.). Stabile 56 Prozent sind zudem einverstanden damit, dass die Schweiz auf Energieimporte angewiesen sei und durch das Klima-Gesetz unabhängiger von unzuverlässigen und unberechenbaren Regierungen werde. Kritische Voten zu den Pro-Argumenten stammen vorwiegend aus dem SVP-Umfeld, welches alle drei Pro-Argumente deutlich ablehnt.

Minderheitliche 45 Prozent sind einverstanden, dass das Klima-Gesetz zu stark steigenden Strompreisen und damit zu Tausenden Franken Mehrkosten pro Haushalt im Jahr führe (+6 ppt.).

 

Teilnahmewillige mit Sympathien für die SVP teilen diese Sorge allerdings deutlich (87% eher/sehr einverstanden, +10 ppt.). Zudem stösst das Kosten-Argument nun auch bei FDP-nahen sowie parteiungebundenen Wählergruppen auf mehrheitliche Akzeptanz (52%/60% eher/sehr einverstanden, +3 ppt., +17 ppt.). Gestiegene 40 Prozent sind einverstanden, dass die vorgesehenen Massnahmen die Energiekrise und den Strommangel verschärfen würden (+7 ppt.). Im Umfeld der SVP sieht man dies klar als gegeben (81% eher/bestimmt einverstanden). Neu unterstützen auch Parteiungebundene diese Argumentation knapp mehrheitlich (50% eher/sehr einverstanden). Dass die Verschandelung der Landschaft durch Solarpanels und Windräder inakzeptabel sei, finden ebenfalls gestiegene aber minderheitliche 30 Prozent der Teilnahmewilligen (+5 ppt.). Unter SVP-nahen Teilnahmewilligen ist es allerdings mit 64 Prozent eine Mehrheit, welche diese Aussage unterstützt.

Die hohe Kongruenz zwischen Stimmabsichten und Haltungen zu den Argumenten verweist auf inhaltlich fundierte Stimmentscheide (Erklärungsgrad Regressionsmodell: 77%). Die Stimmabsichten sind von Schaden- und Nutzenerwägungen bestimmt. Auf der Schadensseite wiegt das Kosten-Argument am schwersten. Auf der Nutzenseite wird der Anreiz-Charakter der Vorlage beim Umstieg auf klimafreundlichere Heizungen ohne zusätzliche Steuern in die Waagschale geworfen. Diese beiden Argumente wirken nun am stärksten auf einen Stimmentscheid. Das Kosten-Argument hat über den Kampagnenverlauf an Bedeutung gewonnen.

Trend in der Meinungsbildung

Mit nur drei mehrheitlich ablehnenden Bevölkerungsgruppen herrscht nach wie vor ein breiter gesellschaftlicher Konsens in der Frage des Klima-Gesetzes vor. Die Stimmberechtigten gehen nach wie vor von einer Annahme der Vorlage aus und stehen auch inhaltlich hinter dem Klima-Gesetz. Vieles spricht für eine Annahme der Vorlage am 18. Juni 2023. Die dynamische Perspektive verlangt jedoch nach einem Aber: Mit dem Einsetzen des Hauptabstimmungskampfes wurde das Meinungsbild polarisiert. Ein Nein-Trend hat eingesetzt. Die Gegnerschaft des Klima-Gesetzes vermag besser zu überzeugen als noch vor einem Monat. Besonders bei parteiungebundenen und SVP-nahen Wählerschaften überzeugt das Kosten-Argument weite Kreise.

Der vorgefundene Nein-Trend entspricht einem Ausnahmefall der Meinungsbildung zu einer Behördenvorlage.

 

In der jüngeren Vergangenheit, insbesondere im politisch aufgeladenen Jahr 2021 und bei intensiven Nein-Kampagnen, wurde dieses Szenario jedoch häufiger beobachtet. So ereilte etwa die naheliegende Vergleichsvorlage, das CO2-Gesetz, just dieses Schicksal (1. Welle: 60%, 2. Welle 54%, Abstimmung: 48% Ja). Dass ein Nein-Trend aber nicht automatisch ein Nein an der Urne bedeutet, zeigt die andere Referenzabstimmung zur Energiestrategie 2050 aus der letzten Legislatur (1. Welle: 61%, 2. Welle: 56%, Abstimmung: 58% Ja).

Weil das Niveau der Zustimmung zum Klima-Gesetz von Beginn weg über jenem der Referenzabstimmungen lag, das Bild relativ geschlossen ist und die Argumente die Stimmabsichten inhaltlich tragen, spricht trotz Nein-Trend deutlich mehr für eine Annahme des Klima-Gesetzes als dagegen. Erodiert allerdings die Unterstützung der Parteiungebunden, verbunden mit einem Mobilisierungsschub von regierungskritischen Kreisen, wäre ein knapper Ausgang denkbar.

Covid-19-Gesetz

Gegenwärtige Stimmabsichten unverändert im Ja, bei leicht steigendem Nein-Anteil

Die Ja-Seite startet mit einem Vorsprung von 36 Prozentpunkten in die Hauptphase des Abstimmungskampfes, auch wenn dieser sich im Vergleich zur ersten Befragungswelle um 4 Prozentpunkte reduziert hat. 67 Prozent der Teilnahmewilligen (-1 ppt.) hätten Ende Mai 2023 für die Änderung des Covid-19-Gesetz gestimmt. 31 Prozent hätten dagegen gestimmt, was einer Zunahme von 3 Prozentpunkten gegenüber der ersten Welle entspricht. Die Veränderungen in der Meinungsbildung sind gering und bewegen sich nahe am stichprobenbedingten Fehlerbereich.

Die Erwartung der klaren Mehrheit der Teilnahmewilligen ist unverändert, dass die Änderungen am Covid-19-Gesetz angenommen werden (73% schätzen Ja-Anteil über 50%, was einer Zunahme von 6 Prozentpunkten entspricht, während 26% von einem tieferen Anteil als 50% ausgehen). Der erwartete Abstimmungsausgang fällt knapper aus als die gemessenen Stimmabsichten, liegt mit 60 Prozent jedoch ebenso im Ja und hat im Vergleich zu ersten Welle um 6 Prozentpunkte zugenommen.

Fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

78 Prozent äussern bereits feste Stimmabsichten, was einer Zunahme von 8 Prozentpunkten entspricht. Nur noch 2 Prozent sind unentschieden, womit sich deren Anteil im Vergleich zum Anfang des Monats halbiert hat. Zudem ist die argumentative Abstützung der Stimmentscheide solide: Das Thema ist aus dem Alltag weiterhin bekannt.

Insgesamt entspricht dies einem fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung. Spielraum für Veränderungen bleibt vorhanden, wenn auch begrenzt.

Konfliktmuster: Parteiaffinität und Regierungsvertrauen bleiben im Zentrum

Die parteipolitische Polarisierung ist unverändert stark. Vom linken politischen Pol bis hin zur FDP ist die Zustimmung zu den Änderungen am Covid-19-Gesetz immer noch solid. Bereits die feste Zustimmung liegt bei Grünen-, SP-, GLP-, Mitte- und FDP-nahen Teilnahmewilligen über der 50-Prozent-Marke. Im Vergleich zur ersten Befragungswelle sind die Parteiungebundenen nun nicht mehr mehrheitlich im Ja, sondern in fast gleich grosse Lager gespalten (49% dafür und 48% dagegen). Anders SVP-affine Teilnahmewillige: Sie äusserten sich Ende Mai unverändert mehrheitlich gegen das Covid-19-Gesetz. Damit stehen die verschiedenen Parteiwählerschaften mehrheitlich auf Seiten der Position ihrer Mutterparteien.

Neben der SVP-Anhängerschaft lehnen regierungsmisstrauische Teilnahmewillige auch in der zweiten Befragungswelle die Änderungen am Covid-19-Gesetz mehrheitlich ab. Ausserhalb dieser zwei Gruppen gibt es keine weiteren ablehnenden Untergruppen, aber es zeigen sich Alters-, Bildungs- und Urbanisierungseffekte in den frühen Stimmabsichten. Die Zustimmung zu den Änderungen am Covid-19-Gesetz ist bei 40- bis 64-Jährigen verhaltener als bei älteren oder jüngeren Teilnahmewilligen. Und sie steigt mit dem Bildungsstand und dem Urbanisierungsgrad an. Regional betrachtet bleibt die Zustimmung flächendeckend vorhanden, trotz signifikant höherem Nein-Anteil in ländlichen Gebieten und in der deutschsprachigen Schweiz.

Argumente: Sinnvolle Ergänzung zum Epidemiengesetz vs. Epidemiengesetz bietet ausreichenden Schutz

Auch argumentativ hat die Befürworterschaft die Oberhand, denn ihre Argumente überzeugen nicht nur solide Mehrheiten, sie verfügt zurzeit auch über die zwei wirksamsten Argumente für einen Stimmentscheid.  In der Tendenz haben Pro-Argumente über den Kampagnenverlauf etwas an Zustimmung eingebüsst, während sich die Beurteilung der Contra-Argumente als stabil erweist.

Die rascheren Verfügbarkeiten von Medikamenten zugunsten von Personen mit einem erhöhten Risiko wird von 70 Prozent (-2 ppt.) unterstützt. Die Notwendigkeit einer Gesetzesgrundlage für ein sicheres, international anerkanntes Zertifikat anerkennen 69 Prozent der bestimmt Teilnehmenden (-6 ppt.), während 68 Prozent (-3 ppt.) der Ansicht sind, dass sich die Ergänzung des Epidemiengesetz mit dem Covid-19-Gesetz bewährt hat.

 

 

 

Die Contra-Seite überzeugt weniger breit. Das einzige mehrheitsfähige Argument bezieht sich darauf, dass die direkte Demokratie wieder vollständig hergestellt werden müsse und der Ausnahmezustand eine Ausnahme bleiben solle (53% eher/voll einverstanden, -2 ppt). Wird argumentiert, dass die Wiedereinführungsmöglichkeit eines Zertifikats oder andere Zwangsmassnahmen zu einer Zweiklassengesellschaft führe, wiederspricht eine Mehrheit (65% eher/überhaupt nicht einverstanden, -2 ppt). Genauso beim dritten Contra-Argument, dass das Covid-19-Gesetz niemanden schütze und das Epidemiengesetz ausreichend Schutz biete (64% eher/überhaupt nicht einverstanden, -1 ppt).

Die Kongruenz zwischen Stimmabsichten der Stimmbürger:innen und Haltungen zu den Argumenten ist eindeutig gegeben (Erklärungsgrad: 81%). Das Covid-19-Gesetz, als sinnvolle Ergänzung zum Epidemiengesetz in Notfallsituationen, trägt das Ja zu den Änderungen am Covid-19-Gesetz am stärksten. Zweifel an der Wirksamkeit der Massnahmen respektive die Ansicht, das Epidemiengesetz biete ausreichenden Schutz, befördern am stärksten ein Nein.

Trend in der Meinungsbildung

Obwohl die WHO am 5. Mai 2023 den weltweiten Corona-Gesundheitsnotstand und die Schweiz sämtliche Massnahmen aufgehoben haben, ist das Virus noch nicht gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Dass die Diskussionen rund um Corona, die Zertifikatspflicht und das Impfen noch nicht gänzlich vom Tisch sind, zeigt sich beispielsweise am erneut ergriffenen Referendum.

Angesichts des Parolenspiegels, der Schlussabstimmungen in den Räten und auch der beiden Covid-19-Vorgängerabstimmungen (13. Juni 2021: 60.2% Ja / 28. November 2021: 62% Ja) ist das mehrheitlich positive Meinungsbild zur fünften Änderung am Covid-19-Gesetz wenig überraschend.

 

Kritik ist ausserhalb der SVP und von regierungsmisstrauischen Teilnahmewilligen nur minderheitlich vorhanden.

Im Vergleich zur ersten Befragung ist eine schwache Polarisierung Richtung Nein zu beobachten, wobei der Ja-Anteil hält. Als unverändert stärkster Kritikpunkt erweist sich das Argument, dass sich das Covid-19-Gesetz und die Massnahmen nicht bewährt haben und das Epidemiengesetz ausreichend sei.

Aufgrund des anhaltenden Vorsprungs der Ja-Seite und der Beurteilung der Argumente ist eine Annahme des Covid-Gesetzes das wahrscheinlichste Szenario für die Abstimmung vom 18. Juni 2023.

Teilnahmeabsichten

Durchschnittliche Mobilisierung für die Abstimmung vom 18. Juni 2023

Mit einem Anstieg von 5 Prozentpunkten auf nunmehr 45 Prozent mit fester Teilnahmeabsicht kann von einem leichten Mobilisierungsschub die Rede sein. Die aktuelle Beteiligungsabsicht liegt nahe am langjährigen Mittel (BFS 2011-2022: 47%).

 

 

Die Beteiligungsbereitschaft steigt in der Regel bis zum Abstimmungstag selbst weiter an, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass sich an der Urne mehr Leute als die 45 Prozent zum Ausdruck bringen werden. Gerade die Schlussmobilisierung war in der laufenden Legislatur oft überraschend hoch.

Profil der Beteiligungswilligen

Aktuell sind primär jene Stimmberechtigten mobilisiert, die bei jeder Abstimmung eine hohe Teilnahmebereitschaft aufweisen: Pensionierte, Männer sowie Stimmberechtigte mit hoher Schulbildung oder hohem Einkommen. Jedoch holen gerade junge Stimmberechtige und solche mit mittleren Einkommen auf, so dass sich das soziodemografische Profil etwas ausgeglichener zeigt als noch vor einem Monat. Weiter wurden Personen in städtischen oder ländlichen Gebieten und solche aus der italienisch- oder deutschsprachigen Schweiz über die Hauptkampagnenphase hinweg stärker mobilisiert als ihre jeweiligen Gegengruppen.

Personen mit Affinität für die GLP oder die FDP sind aktuell am stärksten mobilisiert. Sie wurden vom Abstimmungskampf bewegt. Eher das Gegenteil ist an den Polen zu beobachten: Sympathisant:innen der Grünen und der SVP wollen weniger als noch vor einem Monat teilnehmen. SP- und Mitte-nahe Stimmberechtigte verhalten sich annähernd stabil. Parteiungebundene wiederum sind klar stärker mobilisiert als in der ersten Umfrage.

Zitierweise

Zweite Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023 vom Forschungsinstitut gfs.bern. Realisiert zwischen dem 23. und dem 31. Mai 2023 bei 12’655 Stimmberechtigten. Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.8 Prozentpunkte.

Methode und Datengrundlage

Der telefonische Teil der vorliegenden Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Auswertung und Analyse der Daten nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor.

Befragt wurde via eines RDD-Dualframe-Verfahrens per Festnetz und Handy. Seit dem Herbst 2018 wird im Rahmen des SRG-Trend-Mandats die telefonische Umfrage durch eine Online-Befragung ergänzt, mit dem Ziel die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen. Der Online-Teil wurde als Opt-in-Befragung (Mitmachbefragung) über die Webportale der SRG SSR Medien realisiert.

Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten in der CATI-Befragung überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht.

Keine Aussagen können wir über das Ständemehr machen, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu.

Weiterführende Informationen zur Theorie und der Methode der SRG-Trendumfragen finden sich hier.

Technischer Kurzbericht

Auftraggeber: CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit: Stimmberechtigte Schweizer:innen
Herkunft der Adressen CATI: Stichprobenplan Gabler/Häder für RDD/Dual-Frame; Verwendung Swiss-Interview-Liste,
Herkunft der Adressen Online: Opt-in-Befragung über die Webportale der SRG SSR
Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI) und Online
Art der Stichprobenziehung CATI: at random/Geburtstagsmethode im Haushalt geschichtet nach Sprachregionen
Art der Stichprobenziehung Online: offene Mitmachumfrage
Befragungszeitraum: 23. – 31. Mai 2023
mittlerer Befragungstag: 27. Mai 2023
Stichprobengrösse: minimal 1’200, effektiv 12’655 (Cati: 1’204, Online: 11’451), n DCH: 10’334, n FCH: 2’011, n ICH: 310
Stichprobenfehler: ± 2.8 Prozentpunkte bei einem Wert von 50% (und 95%iger Wahrscheinlichkeit)
Quotenmerkmale CATI: Geschlecht/Alter interlocked
Quotenmerkmale Online: keine
Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Sprache, Siedlungsart, Parteiaffinität, Recall, Teilnahme
mittlere Befragungsdauer CATI: 14.2 Minuten (Standardabweichung: 3.8 Minuten)
Publikation: 7. Juni 2023, 6h00