1. SRG-Trendumfrage zur Abstimmung vom 18. Juni 2023

Zu Beginn der Hauptkampagnenphase:

OECD/G20-Mindestbesteuerung -
Mehrheit dafür

Klima- und Innovationsgesetz -
Mehrheit dafür

Covid-19-Gesetz -
Mehrheit dafür

Studie im Auftrag der SRG SSR

Wäre bereits am 1. Mai 2023 abgestimmt worden, wären alle drei auf eidgenössischer Ebene zur Abstimmung stehenden Vorlagen deutlich angenommen worden. Am klarsten gilt dies für die OECD/G20-Mindestbesteuerung, gefolgt vom Klima-Gesetz und dem Covid-19-Gesetz. Die Stimmbeteiligung hätte bei für den Zeitpunkt unterdurchschnittlichen 40 Prozent gelegen.

Hier liegt eine Momentaufnahme rund sieben Wochen vor dem Abstimmungstag vor und nicht eine Prognose. Die Studie beschreibt die Ausgangslage zu Beginn der Hauptkampagnenphase.

Alle Angaben gelten bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Unsicherheitsbereich von ±2.8 Prozentpunkten. Der Abstimmungskampf und die Meinungsbildung setzen erst ein und können bei Volksabstimmungen nachweislich das Ja/Nein-Verhältnis beeinflussen. Hinzu kommen Effekte aus der noch unbekannten Mobilisierung durch die Kampagnen.

Die Befunde der Umfrage werden anhand des Dispositionsansatzes von gfs.bern theoretisch verortet.

Hier finden sich Hintergrundinformationen zu den Vorlagen der Juni-Abstimmung und hier zur Methode der SRG-Trendumfragen. Eine Einordnung der politischen Grosswetterlage ist hier zugänglich.

Ausserdem können Sie hier eine vollständige Grafiksammlung herunterladen.

OECD/G20-Mindestbesteuerung

Gegenwärtige Stimmabsichten klar zugunsten des Bundesbeschlusses

Anfang Mai hätten 84 Prozent für den Bundesbeschluss betreffend eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen gestimmt und 12 Prozent dagegen.

Die Befragten rechnen denn auch selber mit einer Annahme der OECD/G20-Mindestbesteuerung, denn 81 Prozent schätzen bei der Abstimmung vom 18. Juni 2023 den Ja-Anteil auf über 50 Prozent. Im Mittel wird er auf vergleichsweise hohe 56 Prozent geschätzt.

Stand der Meinungsbildung: tief bis mittel

Eine Mehrheit will zu diesem Zeitpunkt schon bestimmt für die OECD-Mindestbesteuerung stimmen. Insgesamt haben 61 Prozent gefestigte Meinungen entweder für oder gegen die Vorlage, was erst ein mittlerer Wert ist. Die frühen Stimmabsichten sind mit Argumenten noch wenig erklärbar, was den Spielraum für den Einfluss der Hauptkampagne auf Unentschiedene oder Personen mit wenig gefestigter Meinung prinzipiell erhöht. Insgesamt bewerten wir trotz der verbreiteten festen Ja-Stimmabsicht den Stand der Meinungsbildung erst als tief bis mittel.

Kaum ausgeprägtes Konfliktmuster

Der Stimmentscheid über den Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen lässt keine relevante Konfliktlinie erkennen. Alle Gruppen unterstützen die Vorlage zu mindestens 80 Prozent. Es gibt Gruppen mit etwas mehr Zurückhaltung, wobei Regierungskritische und die SVP-Anhängerschaft mit 20 Prozent Ablehnungstendenz noch eher zu nennen sind. Die Anhängerschaft der SP will zurzeit mit lediglich 16 Prozent der Nein-Parole der SP-Delegierten folgen.

 

Eher noch etwas formierter ist die Kritik in der deutschsprachigen Schweiz (14% Nein-Stimmabsicht) als in der französischsprachigen oder italienischsprachigen Schweiz (jeweils 7% Nein-Stimmabsicht). Parteiungebundene, die in Steuer- und Abgabefragen oft aus Sicht der eigenen finanziellen Konsequenzen stimmen, sind zu 78 Prozent für die Vorlage. Auch Haushalte mit tiefen Einkommen sind genauso wie Haushalte mit höherem verfügbaren Einkommen sehr deutlich für die Vorlage.

Argumente: Steuergerechtigkeit und mehr Mittel für Standortattraktivität

Vier von fünf Befragten unterstützen alle drei getesteten Argumente für die Steuerreform: Die zusätzlichen Steuermittel, um den Standort Schweiz attraktiver zu machen, und die Verhinderung von Steuerflucht von grossen Unternehmen in Tiefsteuerländer mit dem Ziel der internationalen Steuergerechtigkeit sprechen für die Reform. Ausserdem wird die Reform ebenso breit als gerecht betrachtet, weil sie einzig auf international tätige Unternehmensgruppen und nicht auf kleinere Unternehmen zielt. Die Stossrichtung der Reform erscheint damit in der Ausgangslage als kaum bestritten.

Die Gegenseite ist wenig formiert. Mit 36 Prozent Unterstützung erhält das Gegenargument, dass die Mehreinnahmen für Kantone nur den kantonalen Steuerwettbewerb anheizen, noch am meisten Zuspruch.

 

27 Prozent möchten keine zusätzlichen Steuern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, das Argument ist aber bisher nicht wirksam für die Meinungsbildung. 24 Prozent sehen in der OECD-Mindeststeuer einen nicht tolerierbaren Eingriff in die Steuersouveränität der Schweiz.

Die Wirkungsanalyse der Argumente zeigt, dass die frühe Meinungsbildung stark von der Befürworter:innen-Seite geprägt ist. Es wirken die Argumente besonders stark, dass nur grosse Unternehmen von der Reform betroffen sind und der Schweiz mehr Mittel zur Stärkung des Standorts Schweiz zur Verfügung stehen. Auf der Gegenseite ist die Befeuerung des interkantonalen Steuerwettbewerbs am ehesten noch wirksam.

Mit der Beurteilung der sechs Argumente können 33 Prozent der Ja- und der Nein-Stimmen erklärt werden. Das ist ein tiefer Wert.

Trend in der Meinungsbildung

Obligatorische Referenden haben gute Annahmechancen. Im vorliegenden Fall der OECD-Mindeststeuer erscheinen die Annahmechancen besonders gut. Die Reform trifft auf das Gerechtigkeitsempfinden breiter Kreise der Befragten, und der Widerstand gegen die Vorlage ist in keiner Untergruppe bisher breit wirksam. Die von links umstrittenen Mittel für die Kantone sind als Argument nicht mehrheitsfähig und werden vom deutlich besser akzeptierten Argument übertroffen, dass die Mittel für die Steigerung der Standortattraktivität eingesetzt werden können.

 

Durch die Kampagne sind ausserdem weniger Wirkungen als üblich zu erwarten. Die kaum aktive Gegnerschaft im rechten politischen Lager und die wenig formierte Gegnerschaft im linken politischen Spektrum (die SP-Delegierten fassten eine Nein-Parole, und die Grünen beschlossen Stimmfreigabe), lassen zusammengenommen eine Ablehnung als wenig wahrscheinlich erscheinen, obwohl die Meinungsbildung noch kaum fortgeschritten ist.

Klima-Gesetz

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Eine klare Mehrheit von 72 Prozent der Teilnahmewilligen hätte am 1. Mai 2023 bestimmt oder eher für das Klima- und Innovationsgesetz gestimmt. 25 Prozent äusserten sich eher oder klar dagegen. Der Vorsprung der Ja-Seite beträgt in der Ausgangslage somit 47 Prozentpunkte.

Die Erwartung der Teilnahmewilligen hinsichtlich des Abstimmungsausgangs am 18. Juni ist ebenfalls ja, wenn auch weniger deutlich als es die frühen Stimmabsichten erwarten liessen: Der Ja-Anteil für den Abstimmungssonntag wird im Mittel auf 52 Prozent geschätzt. 70 Prozent der Teilnahmewilligen gehen von einer Annahme aus, nur 30 Prozent von einer Ablehnung.

Mittlerer bis fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

69 Prozent äussern in dieser frühen Phase des Abstimmungskampfes feste Stimmabsichten. Nur 3 Prozent zeigen sich noch unentschlossen.

Zudem sind die frühen Stimmenabsichten argumentativ gut abgestützt.

Insgesamt entspricht dies einem mittleren bis fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung, was den Spielraum für starke Veränderungen einschränkt.

Vorläufiges Konfliktmuster primär politisch aufgeladen

Das parteipolitische Muster der frühen Stimmabsichten entspricht dem Schema SVP gegen den Rest. Im linken parteipolitischen Spektrum, bis hin zur GLP, ist die Zustimmung zum Klima- und Innovationsgesetz äusserst hoch. Auch die Unterstützung von Teilnahmewilligen mit Sympathien für Die Mitte erscheint gesichert: 59 Prozent von ihnen sind bestimmt für die Vorlage, weitere 25 Prozent tendenziell. Bei der FDP und bei Parteiungebundenen wird trotz Zustimmungsmehrheiten Kritik im Ausmass von rund einem Viertel laut. Der Stand der Meinungsbildung bleibt in diesen beiden Gruppen etwas hinter jenem der anderen Parteiwählerschaften zurück. Erst gut die Hälfte der FDP-nahen Wählerschaft und der Parteiungebundenen verfügt über eine feste Meinung zum Klima- und Innovationsgesetz.

 

Den Gegenpol der anfänglichen breiten Zustimmung bildet das deutliche Nein aus dem SVP-Umfeld. 63 Prozent der SVP-nahen Wählerschaft hätten Ende April gegen das Klima-Gesetz gestimmt. Elite-Basis-Konflikte zeichnen sich in der Ausgangslage keine ab. Sämtliche Parteiwählerschaften stehen mehrheitlich auf Seiten der Position ihrer Mutterpartei.

Ausserhalb der SVP-nahen Wählerschaft lehnt zwar keine weitere Untergruppe das Klima- und Innovationsgesetz ab, erhöhte Ablehnung findet sich aber bei regierungsmisstrauischen Teilnahmewilligen, Männern, 40-64-Jährigen sowie bei Teilnahmewilligen mit tiefer bis mittlerer Schulbildung.

Regional betrachtet ist die Zustimmung aus ländlichen Gebieten minim schwächer als jene aus grösseren Siedlungsgebieten und der Widerstand aus der Deutschschweiz grösser als aus den anderen Sprachregionen. Die Vorlage wäre jedoch Ende April flächendeckend angenommen worden.

Argumente: richtige Anreize ohne zusätzliche Steuern vs. verschärft Energiekrise

Argumentativ sind die Befürworter:innen in der Ausgangslage klar besser aufgestellt, denn sie überzeugen klare Mehrheiten mit ihren Argumenten. Annähernd drei Viertel stimmen zu, dass es für eine langfristig sichere Stromversorgung sinnvoll sei, dass die Schweiz die Abkehr von fossilen Energieträgern vorantreibe. Rund zwei Drittel finden, dass die Vorlage richtige Anreize setze und damit Bevölkerung und Wirtschaft beim Umstieg auf klimafreundliche Heizungen ohne zusätzliche Steuern unterstütze. 57 Prozent sind zudem einverstanden damit, dass die Schweiz auf Stromimporte angewiesen sei und durch das Klima-Gesetz unabhängiger werde von unzuverlässigen und unberechenbaren Regierungen. Kritische Voten zu den Pro-Argumenten stammen aus dem bürgerlichen Umfeld. Namentlich die SVP-nahe Wählerschaft lehnt alle drei Pro-Argumente deutlich ab.

Von den drei getesteten Contra-Argumenten vermag keines eine Mehrheit zu überzeugen. 53 Prozent widersprechen der Aussage, dass das Klima-Gesetz zu stark steigenden Strompreisen und damit zu Tausenden Franken Mehrkosten pro Haushalt im Jahr führe. Teilnahmewillige mit Sympathien für die SVP teilen diese Sorge allerdings deutlich (77% eher/sehr einverstanden).

 

Und auch bei Mitte- und FDP-nahen sowie parteiungebundenen Wählergruppen stösst das Preis-Argument auf erhöhte, wenn auch nicht mehrheitliche Akzeptanz (37%/49%/43% eher/sehr einverstanden).

61 Prozent sind nicht einverstanden, dass die vorgesehenen Massnahmen die Energiekrise und den Strommangel verschärfen würden. Im Umfeld der SVP sieht man dies aber klar anders. Auch dass die Verschandelung der Landschaft durch Solarpanels und Windräder inakzeptabel sei, überzeugt lediglich im SVP- Umfeld mehrheitlich.

Die hohe Kongruenz zwischen Stimmabsichten und Haltungen zu den Argumenten verweist auf inhaltlich fundierte Stimmentscheide (Erklärungsgrad Regressionsmodell: 69%). Die frühen Stimmabsichten sind von Schaden- und Nutzenerwägungen bestimmt. Auf der Schadensseite wiegt das Argument der Verschärfung der Strommangellage am schwersten. Auf der Nutzenseite wird die Abkehr von fossilen Energieträgern als Chance für eine langfristig sichere Energieversorgung in die Waagschale geworfen. Diese beiden Argumente wirken in der Ausgangslage am stärksten auf einen Stimmentscheid.

Trend in der Meinungsbildung

Insgesamt handelt es sich beim Klima-Gesetz um eine positiv prädisponierte Behördenvorlage, womit die Befürworter: innen über einen wichtigen Startvorteil verfügen. Der Vorsprung der Ja-Seite ist hoch und die geäusserten Stimmabsichten sind bereits in diesem frühen Stadium des Abstimmungskampfes gefestigt. Die Stimmberechtigten selber gehen eindeutig von einer Annahme der Vorlage aus und stehen auch inhaltlich hinter dem Klima-Gesetz. Weiter herrscht mit nur einer mehrheitlich ablehnenden Bevölkerungsgruppe (SVP-Wählerschaft) relativ breiter gesellschaftlicher Konsens in der Frage des Klima-und Innovations-Gesetzes. Und die Stimmabsichten stimmen mit den Haltungen zu den Pro- und Contra-Argumenten überein.

An sich ist das ein kongruentes Bild: Ein Ja zum Klima- und Innovationsgesetz ist bei der vorgefundenen Ausgangslage das wahrscheinliche Szenario für den 18. Juni 2023.

 

Ohne Kenntnis der Dynamik der Meinungsbildung muss der Abstimmungsausgang jedoch offengelassen werden. Sollte nämlich die Gegnerschaft im weiteren Verlauf der Kampagne argumentativ die Oberhand gewinnen, könnte eine einseitige Polarisierung Richtung Nein einsetzen. Zudem existiert Mobilisierungspotenzial im Mitte-Rechts-Spektrum, bei Parteiungebundenen und bei behördenkritischen Kreisen, denen Kosten-Nutzen-Erwägungen wichtig sind.

Das Ausnahmeszenario der Meinungsbildung mit steigendem Nein-Anteil über den Kampagnenverlauf wurde in der jüngeren Vergangenheit, insbesondere im politisch aufgeladenen Jahr 2021 und bei intensiven Nein-Kampagnen, häufiger beobachtet. So ereilte beispielweise die naheliegende Vergleichsvorlage, das CO2-Gesetz, just dieses Schicksal (1. Welle: 60%, 2. Welle 54%, Abstimmung: 48% Ja). Als Gegenbeispiel wäre die die Energiestrategie 2050 aus der letzten Legislatur anzuführen (1. Welle: 61%, 2. Welle: 56%, Abstimmung: 58% Ja).

Covid-19-Gesetz

Gegenwärtige Stimmabsichten im Ja

Die Ja-Seite startet mit einem Vorsprung von 40 Prozentpunkten in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. 68 Prozent der Teilnahmewilligen hätten Anfang Mai 2023 für die Änderung des Covid-19-Gesetz gestimmt. 28 Prozent hätten dagegen gestimmt. 4 Prozent waren noch unentschieden.

Die Erwartung der klaren Mehrheit der Teilnahmewilligen ist, dass die Änderungen am Covid-19-Gesetz angenommen werden (67% schätzen Ja-Anteil über 50%, 32% auf unter 50%). Der erwartete Abstimmungsausgang fällt aber knapper aus als die gemessenen Stimmabsichten, liegt mit 54 Prozent jedoch ebenso im Ja.

Mittlerer bis fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

70 Prozent äussern in dieser frühen Phase des Abstimmungskampfes feste Stimmabsichten, nur 26 Prozent zeigen sich noch unentschlossen. Das spricht für sich genommen für einen fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung. Zudem ist die argumentative Abstützung der Stimmentscheide solide: Das Thema ist aus dem Alltag weiterhin bekannt.

Insgesamt entspricht dies einem mittleren bis fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung. Spielraum für Veränderungen ist vorhanden, wenn auch begrenzt.

Vorläufiges Konfliktmuster: Parteiaffinität und Regierungsvertrauen im Zentrum

Die parteipolitische Polarisierung ist stark. Vom linken politischen Pol bis hin zur FDP ist die Zustimmung zu den Änderungen am Covid-19-Gesetz solid. Bereits die feste Zustimmung liegt bei Grünen-, SP-, GLP-, Mitte- und FDP-nahen Teilnahmewilligen über der 50-Prozent-Marke. Auch Parteiungebundene sind mehrheitlich im Ja. Anders SVP-affine Teilnahmewillige: Sie äusserten sich Anfang Mai mehrheitlich gegen das Covid-19-Gesetz. Damit stehen die verschiedenen Parteiwählerschaften mehrheitlich auf Seiten der Position ihrer Mutterparteien.

Neben der SVP-Anhängerschaft lehnen regierungsmisstrauische Teilnahmewillige die Änderungen am Covid-19-Gesetz mehrheitlich ab. Ausserhalb dieser zwei Gruppen gibt es keine weiteren ablehnenden Untergruppen, aber es zeigen sich Alters-, Urbanisierungs- und Bildungsunterschiede in den frühenStimmabsichten. Die Zustimmung zu den Änderungen am Covid-19-Gesetz ist bei unter 40-Jährigen verhaltener als bei älteren Teilnahmewilligen. Und sie steigt mit dem Bildungsstand und dem Urbanisierungsgrad an.

Regional betrachtet ist die Zustimmung flächendeckend trotz signifikant höherem Nein-Anteil in ländlichen Gebieten und in der französisch- und deutschsprachigen Schweiz.

Argumente: sinnvolle Ergänzung zum Epidemiengesetz vs. Epidemiengesetz bietet ausreichenden Schutz

Auch argumentativ hat die Befürworterschaft die Oberhand, denn ihre Argumente überzeugen nicht nur solide Mehrheiten, sie verfügt zurzeit auch über die drei wirksamsten Argumente für einen Stimmentscheid. Von diesen drei Pro-Argumenten ist jenes am einflussreichsten, welches besagt, dass sich das Covid-19-Gesetz in Ergänzung mit dem Epidemiengesetz bewährt hat und bei einem Notfall wieder sinnvoll sein könnte.

Die Notwendigkeit einer Gesetzesgrundlage für ein sicheres, international anerkanntes Zertifikat anerkennen drei Viertel der bestimmt Teilnehmenden. Die rascheren Verfügbarkeiten von Medikamenten zugunsten von Personen mit einem erhöhten Risiko sowie die bewährte Ergänzung des Epidemiengesetz mit dem Covid-19-Gesetz unterstützen jeweils mindestens 70 Prozent.

Die Contra-Seite überzeugt weniger breit. Das einzige mehrheitsfähige Argument bezieht sich darauf, dass die direkte Demokratie wieder vollständig hergestellt werden muss und der Ausnahmezustand eine Ausnahme bleiben muss (55% eher/voll einverstanden).

 

 

Wenn sie argumentiert, dass die Wiedereinführungsmöglichkeit eines Zertifikats oder andere Zwangsmassnahmen zu einer Zweiklassengesellschaft führen kann, dann wird diese Argumentation von einer Mehrheit verworfen (67% eher/überhaupt nicht einverstanden). Genauso das dritte Contra- Argument, dass das Covid-19-Gesetz niemanden schütze und das Epidemiengesetz ausreichend Schutz biete (65% eher/voll einverstanden).

Die Kongruenz zwischen Stimmabsichten der Stimmbürger:innen und Haltungen zu den Argumenten ist bereits zu diesem frühen Zeitpunkt gegeben (Erklärungsgrad: 66%).

Das Covid-19-Gesetz als sinnvolle Ergänzung zum Epidemiengesetz in Notfallsituationen trägt das Ja zu den Änderungen am Covid-19-Gesetz am stärksten. Zweifel an der Wirksamkeit der Massnahmen respektive die Ansicht, das Epidemiengesetz biete ausreichenden Schutz befördern am stärksten ein Nein.

Da ein Situationswechsel noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, lassen sich überraschende Entwicklungen nicht ausschliessen.

Trend in der Meinungsbildung

Angesichts des Parolenspiegels, der Schlussabstimmungen in den Räten und auch der beiden Covid-19-Vorgängerabstimmung (13. Juni 2021: 60.2% Ja / 28. November 2021: 62% Ja) ist die vorgefundene, mehrheitlich positive Ausgangslage für die fünfte Änderung am Covid-19-Gesetz wenig überraschend. Kritik ist ausserhalb der SVP und von regierungsmisstrauischen Teilnahmewilligen nur minderheitlich vorhanden.

Im Normalfall der Meinungsbildung zu einer wenig bestrittenen Behördenvorlage gleichen sich die Stimmabsichten der Stimmbürger:innen über den Kampagnenverlauf an die Empfehlungen von Bundesrat und Parlament an. Tritt dieser Normalfall ein, werden die Änderungen am Covid-19-Gesetz am 18. Juni 2023 deutlich angenommen.

Obwohl die WHO am 5. Mai 2023 den weltweiten Corona-Gesundheitsnotstand und die Schweiz sämtliche Massnahmen aufgehoben haben, ist das Virus noch nicht gänzlich von der Bildfläche verschwunden.

 

Dass die Diskussionen rund um Corona, die Zertifikatspflicht und das Impfen noch nicht gänzlich vom Tisch sind, zeigt sich beispielsweise am erneut ergriffenen Referendum. Die Emotionalität der geführten Debatten hat auch abgenommen, ist aber ebenfalls nicht gänzlich verschwunden. Dies kann eine höhere Dynamik im Abstimmungskampf begünstigen.

Als stärkster Kritikpunkt, der die Zustimmung zum Bröckeln bringen könnte, erweist sich zurzeit das Argument, dass sich das Covid-19-Gesetz und die Massnahmen nicht bewährt haben und das Epidemiengesetz ausreichend sei.

Aufgrund des Vorsprungs der Ja-Seite und der Erstbeurteilung der Argumente wäre eine Umkehr der Mehrheitsverhältnisse eine Überraschung. Die Gegnerschaft müsste dazu im weiteren Kampagnenverlauf argumentativ deutlich die Oberhand gewinnen und überproportional mobilisieren.

Erst die zweite Umfrage wird Aufschluss zur Dynamik des Meinungsverlaufes und damit mehr Sicherheit liefern. Zurzeit sind die Chancen einer Annahme jedoch intakt.

Teilnahmeabsichten

durchschnittliche Teilnahmeabsicht für die Abstimmung vom 18. Juni 2023

Die bisher gemessene Beteiligungsbereitschaft für den 18. Juni 2023 ist mit 40 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt (46% zwischen 2011 und 2020).

 

Der Wert dürfte über den Kampagnenverlauf allerdings noch ansteigen.

Profil der Beteiligungswilligen

Seit 2022 beobachten wir eine eher erwartungsgemässe Struktur der Mobilisierung: Üblicherweise nehmen Ältere, besser Gebildete, politisch an ein Lager gebundene und Regierungsvertrauende mit höherer Wahrscheinlichkeit teil. Sofern die Debatte nicht noch breitere Kreise erfasst, dürfte das Muster der Teilnahme am 18. Juni 2023 ebenfalls dem entsprechen.

Bemerkenswert ist die tiefere Mobilisierung der Frauen (35% im Vergleich zu 45 % bei den Männern). In der Regel gleicht sich das noch aus. Noch lassen sich auch sonst wenig spezielle Effekte der Debatten und Kampagnen erkennen. Namentlich bestehen bisher keine Anzeichen einer besonders hohen Mobilisierung in konservativen und ländlichen Gegenden, wie dies bei den Abstimmungen vom 13. Juni 2021 wegen der agrarpolitischen Initiativen geschah. Die Mitte-Rechts-Parteien weisen Mobilisierungswerte zwischen 27 und 37 Prozent auf.

Die Mobilisierung ist bei den Parteiungebundenen mit 27 Prozent ebenfalls tief. Personen, die auf dem Land leben (33 %) sind weniger zur Teilnahme motiviert als die jeweiligen Vergleichsgruppen.

Erneut unüblich ist die Teilnahmebereitschaft im Vergleich der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz. Die Teilnahmeabsicht ist in der französischsprachigen Schweiz mit 48 Prozent höher als in der deutschsprachigen Schweiz mit 38 Prozent. Die italienischsprachige Schweiz weist mit 29 Prozent die kleinste Teilnahmeabsicht auf.

Insgesamt ist eine Polarisierung der Debatte mit zusätzlichen Mobilisierungseffekten in verschiedenen Gruppen zu erwarten. Diese Gruppen dürften aber offen für linke und rechte Argumente bei den verschiedenen Vorlagen sein. Damit könnte die Teilnahme über 50 Prozent steigen. Aktuell zeichnet sich, abgesehen von Sympathisant: innen der Grünen (74%), aber keine aussergewöhnliche Mobilisierung mit Werten über 60 Prozent ab.

Zitierweise

Erste Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 18. Juni 2023 vom Forschungsinstitut gfs.bern. Realisiert zwischen dem 25. April und dem 7. Mai 2023 bei 11’536 Stimmberechtigten. Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.8 Prozentpunkte.

Methode und Datengrundlage

Der telefonische Teil der vorliegenden Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Auswertung und Analyse der Daten nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor.

Befragt wurde via eines RDD-Dualframe-Verfahrens per Festnetz und Handy. Seit dem Herbst 2018 wird im Rahmen des SRG-Trend-Mandats die telefonische Umfrage durch eine Online-Befragung ergänzt, mit dem Ziel die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen. Der Online-Teil wurde als Opt-in-Befragung (Mitmachbefragung) über die Webportale der SRG SSR Medien realisiert.

Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten in der CATI-Befragung überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht.

Keine Aussagen können wir über das Ständemehr machen, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu.

Weiterführende Informationen zur Theorie und der Methode der SRG-Trendumfragen finden sich hier.

Technischer Kurzbericht

Auftraggeber: CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit: Stimmberechtigte Schweizer:innen
Herkunft der Adressen CATI: Stichprobenplan Gabler/Häder für RDD/Dual-Frame; Verwendung Swiss-Interview-Liste,
Herkunft der Adressen Online: Opt-in-Befragung über die Webportale der SRG SSR
Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI) und Online
Art der Stichprobenziehung CATI: at random/Geburtstagsmethode im Haushalt geschichtet nach Sprachregionen
Art der Stichprobenziehung Online: offene Mitmachumfrage
Befragungszeitraum: 25. April – 7. Mai 2023
mittlerer Befragungstag: 1. Mai 2023
Stichprobengrösse: minimal 1’200, effektiv 11’536 (Cati: 1’203, Online: 10’333), n DCH: 8’468, n FCH: 2’691, n ICH: 377
Stichprobenfehler: ± 2.8 Prozentpunkte bei einem Wert von 50% (und 95%iger Wahrscheinlichkeit)
Quotenmerkmale CATI: Geschlecht/Alter interlocked
Quotenmerkmale Online: keine
Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Sprache, Siedlungsart, Parteiaffinität, Recall, Teilnahme
mittlere Befragungsdauer CATI: 14.8 Minuten (Standardabweichung: 3.6 Minuten)
Publikation: 12. Mai 2023, 6h00