Umfrage bei Jugendlichen und Unternehmen im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI
Studienziele und Design
Ziel des Nahtstellenbarometers ist die Erfassung von Bildungsentscheiden von Jugendlichen am Ende ihrer obligatorischen Schulzeit und das Einschätzen der Situation auf dem Schweizer Lehrstellenmarkt.
Zu diesem Zweck wird jährlich eine dreisprachige Online-Umfrage in zwei Erhebungswellen (März/April und August) bei Jugendlichen im Alter von 14-16 Jahren und Unternehmen mit mindestens 2 Angestellten durchgeführt.
Die vorliegenden Graphiken geben einen Überblick über zentrale Ergebnisse der ersten Erhebungswelle von 2020.
Details zu den Methoden finden sich am Schluss des Cockpits.
Die Erhebung startete vor dem Lockdown vom 16. März 2020. Aussagen zu Auswirkungen von Corona auf den Lehrstellenmarkt sind erst auf Basis der zweiten Erhebungswelle im August möglich.
Jugendliche
84’137 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren stehen im März/April 2020 vor der Ausbildungswahl.
Am häufigsten ziehen sie nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit eine berufliche Grundbildung in Erwägung. Maturitätsschulen sind die zweithäufigste Präferenz. Ein Fünftel der Jugendlichen plant ein Zwischenjahr oder will ein Brückenangebot in Anspruch nehmen.
Insgesamt haben bereits 43’114 Jugendliche und damit 51% eine Anschlusslösung nach den Sommerferien. Die Hälfte der Jugendlichen mit Interesse an einer Lehrstelle verfügt bereits über einen unterschriebenen Lehrvertrag oder eine feste mündliche Zusage (23’891). Die übrigen 19’223 haben Aufnahmeprüfungen bestanden oder Zusagen zu einem anderen Angebot erhalten.
Unternehmen
Die Gesamtzahl angebotener Lehrstellen beträgt 87’496. Bei den meisten Unternehmen ist das Lehrstellenangebot gleich gross wie im Vorjahr (76%). 11% der Unternehmen haben die Absicht, mehr Lehrstellen anzubieten als 2019. 11% der Unternehmen geben an, weniger Lehrstellen anzubieten.
76’489 der angebotenen Lehrstellen sind berufliche Grundbildungen, die zu einem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) führen (87%). Bei 8’813 handelt es sich um berufliche Grundbildungen mit einem Eidgenössischen Berufsattest-(EBA/10%). Die verbleibenden 3% konnten nicht eindeutig zugeordnet werden.
Insgesamt bieten 23% der Unternehmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, Lehrstellen an.
57’780 oder 66% der Lehrstellen waren im März/April 2020 bereits vergeben.
Interessen Ausbildungswahl
Die Jugendlichen ziehen für die Zeit nach Ende des Schuljahres 2019/2020 am häufigsten eine berufliche Grundbildung in Erwägung (44’405 Jugendliche, 45%). Dabei ist eine Lehre für weitaus mehr Jugendliche die erste Präferenz (37’506/84%) als der Weg der schulischen beruflichen Grundbildung (6’899/16%). Maturitätsschulen sind die zweithäufigste Präferenz (35’919 Jugendliche, 43%). Ein Zwischenjahr streben 8’228 Jugendliche (8%) an und 10’693 Jugendliche (11%) wollen ein Brückenangebot wahrnehmen. Da die Anschlusslösung zum Zeitpunkt der ersten Umfrage für jeweils rund die Hälfte der Jugendlichen noch nicht definitiv ist, sind bei der Frage nach den Präferenzen Mehrfachantworten zugelassen.
Von den männlichen Jugendlichen zieht die Mehrheit eine Lehre in Betracht (61%) und deutlich weniger eine Maturitätsschule (43%). Bei den Frauen ist es gerade umgekehrt: Mehr junge Frauen streben eine Ausbildung an den Maturitätsschulen (60%) an als eine Lehre (42%).
Auch planen etwas mehr junge Frauen als junge Männer ein Brückenangebot (Männer: 16%, Frauen: 21%) wahrzunehmen oder ein Zwischenjahr einzuschalten (Männer: 10%, Frauen: 13%). Junge Männer geben dagegen leicht häufiger an, den Weg der schulischen beruflichen Grundbildung einschlagen zu wollen (Männer: 13%, Frauen 9%).
Das Interesse von Schweizer*innen und Ausländer*innen in Bezug an der beruflichen Grundbildung und den Maturitätsschulen ist faktisch identisch. Was sich aber zeigt, ist, dass weitaus mehr Ausländer*innen ein Brückenangebot oder eine schulische berufliche Grundbildung in Erwägung ziehen.
In der Deutschschweiz ist die Nachfrage nach Lehrstellen unter den Jugendlichen deutlich höher als in der Romandie und im Tessin. Umgekehrt streben mehr Jugendliche aus der lateinischsprachigen Schweiz eine Maturität an als in der Deutschschweiz.
Jugendliche mit Interesse an beruflicher Grundbildung
Von jenen 37’506 Jugendlichen, die im Sommer 2020 eine Berufslehre starten möchten, zielen 34’747 (93%) auf einen EFZ-Abschluss, 1’244 (3%) auf einen EBA-Abschluss.
Die 10 beliebtesten Berufslehren bei den Jugendlichen im Frühjahr 2020 finden sich in nachfolgender Grafik. Neu in den Top-Ten findet sich 2019 die Ausbildung zum/zur medizinischen Praxisassistent*in auf Kosten der Koch-Lehre. Ungebrochene Spitzenreiterin ist die Ausbildung zu Kaufmann/-frau und auch das Interesse an einer Ausbildung zum/zur Fachmann/-frau Gesundheit wächst weiter.
Leicht rückläufig ist die Nachfrage nach einer Ausbildung zum/zur Detailshandelsfachmann/-frau (von Rang 3 2019 auf Rang 6 2020).
Weiterhin unterscheiden sich die Berufswünsche der jungen Frauen und Männer stark, wobei sich das bekannte Muster wiederholt: Bei jungen Frauen sind neben der Ausbildung zu Kauffrau medizinische oder soziale Berufe hoch im Kurs. Für junge Männer sind neben der Ausbildung zu Kaufmann vorwiegend technische Berufe attraktiv, wie nachfolgende Grafik aufzeigt.
10’404 Jugendliche (28%), die eine Lehre anzielen, haben vor, gleichzeitig eine Berufsmaturität zu absolvieren. Über die Zeit betrachtet erweist sich dieser Anteil als relativ stabil (2018: 27%, 2019: 24%). Ausschlaggebend für den Wunsch eine Berufsmaturität zu erlangen ist in erster Linie die Vorbildung. Wer aktuell in einer gymnasialen Vorstufe zur Schule geht, strebt zu 64% eine Berufsmaturität an, während auf Realstufe weniger als 14% die Berufsmatura anstreben. Zudem spielt die Sprachregion eine zentrale Rolle, denn weitaus mehr Jugendliche aus der lateinischsprachigen Schweiz wollen die Berufsmaturität machen (DCH: 26%, FCH: 30%, ICH: 51%).
23’891 Jugendliche (50%) haben bereits einen zugesicherten Lehrplatz. Verglichen mit den Vorjahren sind das zum gleichen Zeitpunkt etwas weniger als gewohnt (2019: 58%). Der Anteil variiert erneut stark zwischen den verschiedenen Lehrberufen, wie nachfolgende Grafik zeigt. Bewerber*innen in der Landwirtschaft, als Polymechaniker, als Kaufmann/-frau, als Fachfrau/-mann Gesundheit oder in der Elektroninstallation haben klar mehrheitlich bereits eine schriftliche oder mindestens eine mündliche Zusage. In den Bereichen Informatik und Mediamatik wurden noch wenig Zusagen ausgesprochen oder viele Absagen erteilt. Damit unterscheiden sich diese beiden attraktiven Lehren deutlich von der kaufmännischen Lehre und der Lehre als Polymechanikerin und Polymechaniker, wenn es um (frühe) Zusagen geht.
Arbeitsplätze in der Nähe von zu Hause sind nach wie vor begehrt (im eigenen Kanton oder Wohnort beziehungsweise bei einem regionalen KMU). Gerne wäre man aber auch sein eigener Chef, denn die berufliche Selbstständigkeit ist für Jugendliche zunehmend attraktiver. Aktuell belegt sie zusammen mit den Unternehmen im eigenen Wohnkanton den Spitzenrang gewünschter Arbeitgeber. Zu Beginn der Erhebungsreihe lag die berufliche Selbständigkeit noch auf Rang 7.
Bei den Jugendlichen, welche eine schulische organisierte Grundbildung (z.B. Handelsmittelschule) anstreben, hat sich insgesamt eine Mehrheit von ihnen noch nicht für ein entsprechendes Angebot angemeldet (56%). Dieser Wert fällt ähnlich hoch aus, wie in den Vorjahren.
Jugendliche mit Interesse an Maturitätsschulen
Unter jenen 35’910 Jugendlichen, die sich für eine Maturitäts- oder Fachmittelschule interessieren, haben 33% die Aufnahmeprüfungen bestanden und damit einen festen Platz nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit. Verglichen mit dem Vorjahr befinden sich damit deutlich mehr Jugendliche mit Interesse an einer Maturitäts- oder Fachmittelschule noch in einer offenen Situation, denn im April 2019 hatten 45% die Aufnahmeprüfungen bereits bestanden.
Drei Ausrichtungen sind jeweils ähnlich beliebt, wenn es um die Auswahl des Schwerpunkts geht: Biologie und Chemie (18%), Wirtschaft/Handel/Recht (17%) sowie Physik und Anwendungen der Mathematik (15%). Einen eindeutigen Trend gibt es nur in einem Fall: Das neusprachliche Profil hat seit 2018 kontinuierlich an Attraktivität eingebüsst und liegt neu nur noch an vierter Stelle (14%).
Jugendliche in Brückenangeboten oder Zwischenlösungen
Der von den Jugendlichen am häufigsten genannte Grund, ein Brückenangebot anzunehmen, ist auf stabilem Niveau eine fehlende Lehrstelle (35%). Der zweithäufigste Grund ist, dass das Brückenangebot für eine anschliessende Ausbildung erforderlich ist (15%). Diese Werte erweisen sich als stabil über die Zeit.
Ein Trend, der sich weiter fortsetzt, ist, dass Jugendliche, die eine Zwischenlösung realisieren, danach den allgemeinbildenden Weg (Maturitäts- oder Fachmittelschule) einschlagen möchten (2020: 22%, 2019: 16%, 2018: 10%). Die Absicht danach eine Lehre anzutreten bleibt aber die meistverbreitete (2020: 61%, 2019: 62%, 2018: 74%).
Wer nach der obligatorischen Schulzeit eine Zwischenlösung anstrebt, tut dies aus unterschiedlichsten Gründen (Anderes 33%). Dazu zählt für Viele, dass sie eine zweite Landessprache erlernen möchten oder ihre Abschlussnoten aufbessern möchten. Häufig wird auch genannt, dass keine passende Lehrstelle gefunden wurde (14%) oder man sich einfach etwas Zeit für sich nehmen möchte (13%). Die Werte erweisen sich auch in dieser Frage als relativ stabil verglichen mit den Vorjahren. Nach dem Zwischenjahr möchten die meisten Jugendlichen eine Lehre beginnen (2018: 50%, 2019: 48%, 2020: 54%). Aber auch der allgemeinbildende Weg ist nach wie vor beliebt (2018: 23%, 2019: 23%, 2020: 21%).
Lehrstellenangebot
Von den insgesamt 87’496 angebotenen Lehrstellen 2020 entfällt der Grossteil auf das Gesundheits- und Sozialwesen, die Handelsbranche, das verarbeitende Gewerbe und das Baugewerbe. Neu wurden 2020 Branchen mit weniger als 2000 Lehrstellen unter der Kategorie „Andere Branchen“ summiert.
Eindeutige Trends finden sich zwei: Im Gesundheits- und Sozialwesen wurde das Lehrstellenangebot über die letzten drei Jahre hinweg deutlich ausgebaut. Rückläufig ist es dagegen im Baugewerbe.
Wachstum in Bezug auf das Lehrstellenangebot findet sich ausserdem die öffentliche Verwaltung, die Finanz- und Versicherungsbranche sowie die Informations- und Kommunikationsbranche. Eher zurückgegangen sind Lehrstellen im Bereich Land- und Forstwirtschaft sowie bei sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen.
8’813 der angebotenen Lehrstellen sind EBA-Lehren (10%), 76’489 sind EFZ-Lehren (87%). Der Anteil an EBA-Stellen ist seit 2018 im Wachsen begriffen (+3 %-punkte), jener der EFZ-Lehrstellen ist entsprechend etwas gesunken (-6 %-punkte).
Vergebene Lehrstellen
66% der angebotenen Lehrstellen konnten im März/April 2020 bereits besetzt werden. Dieser Wert liegt nahe bei jenem aus dem Vorjahr zum selben Zeitpunkt (2018: 70%, 2019: 67%) und verweist auf keine speziellen Umstände bei der Rekrutierung von Lernenden.
Der Anteil, der bereits im Frühjahr 2020 vergebenen Lehrstellen, variiert allerdings beträchtlich in den verschiedenen Branchen. Bereits viele Lehrstellen sind in den Bereichen Finanzen und Versicherungsdienstleistungen, öffentliche Verwaltung sowie Information und Kommunikation vergeben.
Viele offene Lehrstellen finden sich dagegen im März/April 2020 noch im Gastgewerbe und in der Sammelkategorie andere Branchen (Energie- und Wasserversorgung, Bergbau, Kunst, Erholung und sonstige Dienstleistungen).
In der dynamischen Perspektive fallen das Gesundheits- und Sozialwesen, das Gastgewerbe, die Land- und Forstwirtschaft sowie die Sammelkategorie andere Branchen auf. Hier sind deutlich mehr Lehrstellen noch unbesetzt als zum selben Zeitpunkt in den Vorjahren.
Veränderung Lehrstellenangebot
Der Grossteil der befragten Unternehmen gibt an, das Lehrstellenangebot gegenüber dem Vorjahr konstant gehalten zu haben (71%). Je 11% haben, verglichen mit den Vorjahren, mehr respektive weniger Lehrstellen angeboten. Die Verhältnisse entsprechen den Werten aus den Vorjahren (2018: 63%, 2019: 71%, 2020: 71%).
Die Situation in den verschiedenen Branchen wird nachfolgend dargestellt und sie präsentiert sich weitestgehend homogen. Ein signifikanter Unterschied findet sich aber in den Angaben aus den verschiedenen Sprachregionen des Landes: Das Lehrstellenangebot in der italienischsprachigen Schweiz ist 2020 im Vergleich zu den anderen Landesteilen stärkeren Veränderungen unterworfen.
Unternehmen aus der italienischsprachigen Schweiz geben häufiger an, weniger Lehrstellen anzubieten als solche aus der deutsch- oder französischsprachigen Schweiz (DCH: 12%, FCH, 7%, ICH: 17%) und sie geben weniger oft an, mehr Lehrstellen anzubieten (DCH: 12%, FCH: 10%, ICH: 5%).
Sowohl unter den Gründen für mehr Lehrstellen als auch unter jenen für weniger wird häufig angegeben, dass das Angebot an Lehrstellen einfach von Jahr zu Jahr variiert – ohne speziellen Anlass.
Wie bereits in den Vorjahren nennen die Unternehmen die Sorge um den Berufsnachwuchs am häufigsten als spezifischen Grund für einen Anstieg des Lehrstellenangebotes. Diese Sorge hat seit 2018 kontinuierlich zugenommen (2018: 31%, 2019: 34%, 2020: 39%).
Unter den Gründen für weniger Lehrstellen werden Umstrukturierungen im Unternehmen häufig genannt (22%), aber auch die Wirtschaftslage ist für einen Teil der Unternehmen ausschlaggebend (16%). Es verweist allerdings nichts auf eine Verschärfung der wirtschaftlichen Situation (2018: 20%, 2019: 13%).
57% der Unternehmen, die Lehrstellen anbieten, bieten gleichzeitig die Möglichkeit an, während der Lehre eine Berufsmaturität zu absolvieren. Das sind deutlich mehr als in den Vorjahren (2018/2019: 44%).
Besonders häufig bieten Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten diese Möglichkeit an (2-9 Beschäftigte: 49%, 10-100 Beschäftigte: 63%, 100+ Beschäftigte: 85%) und solche, die im zweiten oder dritten Sektor tätig sind (1. Sektor: 27%, 2. Sektor: 59%, 3. Sektor: 59%).
Wichtiger Hinweis:
Bei den ausgewiesenen Werten handelt es sich um hochgerechnete Werte. Die Stichprobenergebnisse wurden auf die Grundgesamtheit hochgerechnet.
Die Hochrechnung der Jugendlichen basiert auf den Jugendlichen, die gemäss Statistik der Lernenden (Bundesamt für Statistik) im Vorjahr die 8. Klasse besucht haben.
Die Hochrechnung der Unternehmen basiert auf den Angaben der Eintritte in die berufliche Grundbildung des Vorjahres (BFS). Detailangaben zu den Hochrechnungen finden sich im ausführlichen Forschungsbericht zum Projekt.
Jugendliche:
Unternehmen:
Lukas Golder: Politik- und Medienwissenschaftler
Martina Mousson: Politikwissenschaftlerin
Aaron Venetz: Politikwissenschaftler
Noah Herzog: Kaufmann
Externe Beratung
Prof. Dr. Stefan C. Wolter, Professor für Bildungsökonomie, Universität Bern