Eidgenössische Volksabstimmung vom 28. November 2021

Informationen zu den Vorlagen und zum Abstimmungskampf

Studie im Auftrag der SRG SSR

Über folgende Vorlagen entscheidet das Stimmvolk am 28. November 2021:


  • Volksinitiative „Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)“
  • Volksinitiative „Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)“
  • Änderung des Bundesgesetzes über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz)

Pflegeinitiative

Anliegen und Vorgeschichte

Im Dezember 2016 lancierte der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK die Initiative „Für eine starke Pflege“ oder kurz die „Pflegeinitiative“. Diese macht auf den Pflegenotstand in der Schweiz aufmerksam und versucht diesem entgegenzutreten. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung ist die Pflege mit weiteren Herausforderungen konfrontiert.

Die Initiative stellt den Bund und die Kantone in die Pflicht, die Pflege zu fördern. Damit die Qualität der Pflege in der Schweiz erhalten werden kann, müssen künftig mehr Ausbildungsplätze für Pflegefachpersonen geschaffen werden. Darüber hinaus sollen die Arbeitsbedingungen von Pflegefachpersonen verbessert und somit dem Jobausstieg entgegengewirkt werden.

Im November 2017 bestätigte die Bundeskanzlei, dass das Komitee 114’078 gültige Unterschriften gesammelt habe und die Initiative zustande gekommen sei.

Der Bundesrat und das Parlament erkennen den Handlungsbedarf im Bereich der Pflege an. Jedoch gehen ihnen die Forderungen zu weit. Daher wurde ein indirekter Gegenvorschlag ausgearbeitet, der bei einer Ablehnung der Initiative in Kraft treten würde. Mit einer Förderung von bis zu einer Milliarde Franken sollen Aus- und Weiterbildungen für Pflegefachpersonen unterstützt werden.

Politische Grosswetterlage

Durch die Corona-Pandemie hat der Pflegeberuf viel Aufmerksamkeit erhalten. Die Wichtigkeit der Pflegefachpersonen wurde in einer Extremsituation aufgezeigt und der Pflegenotstand verdeutlicht. So hat die Diskussion rund um Arbeitsbelastung und Vergütung von Pflegepersonal ab 2020 neue Impulse erhalten, die allenfalls auch die Meinungsbildung rund um die Pflegeinitiative neu formatieren. Von Links bis Rechts sehen alle Parteien einen Handlungsbedarf. Inwiefern der Beruf aufgewertet und attraktiver gestaltet werden soll, darüber herrscht aber ein gegensätzliches Empfinden.

Das Gesundheitswesen und seine Kosten gehören seit Jahren zu den Top Sorgen der Schweizer:innen (CS-Sorgenbarometer 2020 Rang 6). Das könnte allenfalls die Hemmschwelle für zusätzliche Ausgaben erhöhen.

Bisher entschieden sich Abstimmungen rund um Fragen der Gesundheitspolitik sehr stark zwischen den beiden zentralen Aspekten des Schweizer Gesundheitswesens: Hochwertige Gesundheitsversorgung und hohe Kosten. Anpassungen auf der einen oder anderen Seite waren entsprechend schnell in Erklärungsnot. Die Pflegeinitiative setzt dabei sowohl bei der Qualität wie auch bei den Kosten an, was die Ausgangslage komplexer gestaltet.

Parlamentarische Beratung und Parolenspiegel

Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die Volksinitiative „Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)“ abzulehnen. Der Bundesrat erkennt die Wichtigkeit des Pflegeberufs an, will aber nicht einer spezifischen Berufsgruppe eine Sonderstellung in der Verfassung ermöglichen. Er beantragte deshalb dem Parlament die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates widersprach der Empfehlung des Bundesrates und arbeitete einen indirekten Gegenentwurf aus. Daraufhin unterstützte der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 27. November 2019 mehrheitlich die Vorschläge der Kommission.

Als Erstrat beschäftigte sich der Nationalrat mit der Initiative und dem Gegenentwurf der Kommission. Die Fraktionen der SVP, der FDP, der GLP sowie eine Mehrheit der Mitte unterstützen die Argumentation der Kommission und lehnten die Initiative ab. SPS, Grüne sowie Minderheiten respektive Einzelpersonen der Mitte-Fraktion, der GLP und der FDP sprachen sich für die Initiative aus. Letzten Endes empfahl der Nationalrat die Ablehnung der Initiative. Nach dem Entscheid zum Eintritt auf den Gegenvorschlag wurde dieser bei der Gesamtabstimmung von einer Zweidrittelmehrheit des Nationalrats unterstützt.

Der Ständerat teilte grösstenteils die Meinung des Nationalrates, einzig beim Thema der Ausbildungsunterstützung und deren Höhe konnte keine Einigung erzielt werden. Da während des Differenzbereinigungsverfahrens beide Räte an ihrer Fassung festhielten, kam es zu einer Einigungskonferenz. Ein Kompromissvorschlag des Ständerats wurde letztendlich von beiden Kammern unterstützt und der indirekte Gegenvorschlag somit angenommen.

Abschliessend wurde die Initiative «Für eine starke Pflege» vom Ständerat als Zweitrat behandelt. Der Ständerat folgte seiner Kommission und lehnte als zweite Kammer die Initiative ab.

Vertreter:innen der EVP, der GLP, GSP und der SPS unterstützen die Volksinitiative. Die Mitte hat an ihrer Delegiertenversammlung die Stimmfreigabe beschlossen. Den Befürwortern stehen die FDP und die SVP gegenüber, welche eine Nein-Parole verfasst haben.

Bisheriger Abstimmungskampf

Der bisherige Abstimmungskampf wird durch das Ja-Komitee geprägt. Die Initianten machen auf die Missstände im Pflegeberuf aufmerksam. Insbesondere wird auf die Überlastung der Pflegefachpersonen während der Corona-Pandemie verwiesen. Durch die Alterung der Gesellschaft kann ein wachsender Pflegebedarf prognostiziert werden. Dem gegenüber stehen ein zunehmender Fachkräftemangel und eine geringe Berufsverweildauer. Mehr als 40 Prozent der Pflegefachpersonen verlassen den erlernten Beruf frühzeitig. Darüber hinaus wird auf die hohe Auslandsabhängigkeit aufmerksam gemacht. Ohne zusätzliche Pflegefachpersonen aus dem Ausland würde die Pflege in der Schweiz bereits heute nicht mehr funktionieren.

In einem überparteilichen Nein-Komitee haben sich Politiker:innen der Mitte, der FDP und der SVP zusammengeschlossen. Sie erkennen die vorherrschenden Probleme rund um den Pflegeberuf an, jedoch gehen ihnen die Forderungen der Initiative zu weit. Das Parlament habe mit der Ausarbeitung des indirekten Gegenvorschlags die Probleme aufgegriffen und gute Lösungsvorschläge präsentiert. Die Löhne einer Berufsgruppe in der Verfassung zu verankern, sei unverhältnismässig. Zudem befürchtet das überparteiliche Nein-Komitee eine Kostenexplosion. Durch den Ausbau der direkt abzurechnenden Leistungen von Seiten der Pflege- und Spitexmitarbeitenden ist mit einem Anstieg der Krankenkassenprämien zu rechnen. Diesem Punkt wirke der indirekte Gegenvorschlag gezielt mit einem Kontrollmechanismus entgegen. Auch beim in Kraft treten des indirekten Gegenvorschlags würden die Kompetenzen der Pflegenden im Bereich der direkten Leistungsabrechnung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ausgebaut werden, jedoch wird eine mögliche Zunahme an Leistungen durch einen Kontrollmechanismus stetig geprüft. Dadurch soll einem Kostenanstieg entgegengewirkt werden.

Die Sympathie für die Pflegefachpersonen ist hoch. Insbesondere durch die Corona-Krise wurde dieses Empfinden gestärkt. Dass ein Handlungsbedarf besteht, ist für alle Beteiligten klar. Wird der Abstimmungskampf der letzten Wochen verfolgt, zeigt sich, dass das Formieren eines klaren Nein-Komitees ausserhalb des Parlaments kaum stattgefunden hat. Das Ja-Lager nutzt vermehrt unterschiedliche Plattformen für die Mobilisierung der Stimmberechtigten. Der Abstimmungskampf wird sowohl online als auch offline von Seiten der Befürwortenden dominiert.

Typologie der Meinungsbildung

Bei der Pflegeinitiative handelt es sich potenziell um ein Mehrheitsanliegen. Die Prädisponierung fällt positiv aus. Die gewerkschaftlichen Aspekte der Initiative dürften für eine Aufteilung in politische Lager sorgen. Dass der Bund und die Kantone die Löhne der Pflegefachpersonen festlegen müssen, geht liberalen Kreisen zu weit. Die Frage ist, welche Parole die SVP geben wird.

Im Regelfall der Meinungsbildung zu einer Initiative ist im Verlauf des Abstimmungskampfes mit einer Zunahme der Ablehnung zu rechnen. Wenn die Zustimmung jedoch sehr hoch ausfällt, bei einer wenig sichtbaren Nein-Kampagne und bei hohem Problemdruck, ist es durchaus möglich, dass die Initiative trotz einem Abwärtstrend bei der Anzahl der Zustimmenden an der Urne angenommen wird.

Im Ausnahmeszenario hält oder steigt der Zustimmungsanteil. Einen solchen Meinungsverlauf haben wir zuletzt bei der Konzernverantwortungsinitiative beobachtet. Solche ausserordentlichen Verläufe der Meinungsbildung entstehen, wenn es mit der Initiativentscheidung zu einem Tabubruch kommt, mit dem sich eine Proteststimmung aufbaut. So ist es möglich, dass sich die Zusammensetzung der Teilnahmewilligen zugunsten einer Initiative ändert oder ein kurzfristiger Meinungswandel im Sinne des Zeichensetzens entsteht. Durch den Corona-Kontext ist auch etwas Derartiges bei der Pflegeinitiative denkbar.

Justiz-Initiative

Anliegen und Vorgeschichte

Bundesrichter:innen werden in der Schweiz alle sechs Jahre durch das Parlament (wieder-)gewählt. Das Parlament berücksichtigt dabei den Parteienproporz. Dies bedeutet, es herrscht eine angemessene Vertretung der politischen Parteien bei der Zusammensetzung der Bundesrichter:innen. Das Initiativ-Komitee sieht in diesem Wahlverfahren die richterliche Unabhängigkeit gefährdet. Die Parteimitgliedschaft werde über die fachliche Qualifikation gestellt. Darüber hinaus wird durch dieses Vorgehen die Chance einer parteilosen Person Bundesrichter:in zu werden beinahe verunmöglicht.

Die Justiz-Initiative will das aktuell vorherrschende Wahlverfahren durch ein Losverfahren ersetzen. Eine Fachkommission entscheidet, wer an diesem Losentscheid teilnehmen darf und somit als Bundesrichter:in ernannt werden kann. Die Amtssprachen der am Losentscheid teilnehmenden Personen müssen angemessen verteilt sein. Bundesrichter:innen müssen sich keiner Wiederwahl stellen. Sie dürfen ihr Amt bis zu fünf Jahre über das Rentenalter hinaus ausüben. Lediglich bei einer Amtsverletzung darf das Parlament eine Bundesrichterin oder einen Bundesrichter abberufen.

Bereits 1995 wurde durch Adrian Gasser, Initiator der Justiz-Initiative, die Idee des Losverfahrens bei der Ernennung der Bundesrichter:innen aufgegriffen. Das Bürger:innenkomitee um den Unternehmen Adrian Gasser hat im August 2019 mit 130`100 gültigen Unterschriften die Initiative erfolgreich eingereicht.

Politische Grosswetterlage

Die Frage nach der Unabhängigkeit von Bundesrichter:innen ist keineswegs neu. Inwiefern sie unabhängig und unparteiisch entscheiden können, wenn sie einer Partei angehören und dieser eine Rückerstattung in Form einer Mandatssteuer zahlen müssen, wird seit geraumer Zeit diskutiert. Da die Bundesrichter:innen alle sechs Jahre vom Parlament (wieder-)gewählt werden müssen, wird vom Initiativ-Komitee von einer Abhängigkeit seitens der Bundesrichter:innen ausgegangen.

Insbesondere seit der letzten Gesamterneuerungswahl des Bundesgerichts und der Empfehlung der SVP einen ihrer Bundesrichter abzuwählen, wird über die Parteizugehörigkeit der Bundesrichter:innen debattiert.

Parlamentarische Beratung und Parolenspiegel

Der Bundesrat empfiehlt dem Parlament die Initiative ohne direkten oder indirekten Gegenvorschlag abzulehnen. Das neue Losverfahren würde die demokratische Legitimation der Justiz schwächen und könnte dadurch die Akzeptanz des Bundesgerichts in der Bevölkerung beeinträchtigen.

Im Nationalrat wurde über drei Minderheitsanträge, welche die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags zur Folge gehabt hätte, debattiert. Trotz des Aufzeigens einiger Schwächen des jetziges Wahlsystems, insbesondere die Wiederwahl der Bundesrichter:innen und die zu tätigenden Mandatsabgaben, wurde der Antrag auf eine Rückweisung an die zuständige Kommission verworfen.

Neben dem Nationalrat lehnte auch der Ständerat die Justiz-Initiative ab.

Bisheriger Abstimmungskampf

Da sich zurzeit einzig das Initiativ-Komitee rund um Adrian Gasser für die Initiative ausspricht, fällt der Abstimmungskampf verhältnismässig ruhig aus. Ein qualifiziertes Losverfahren, welches zur Ernennung der Bundesricher:innen verwendet wird, wird bisher von keiner Partei unterstützt. Jedoch kann sich das Initiativ-Komitee auf die Unterstützung von Expert:innen stützen. Verschiedene Personen aus sozialwissenschaftlichen und staatsrechtlichen Kreisen sprechen sich für die Bundesrichterwahl durch ein Losverfahren aus.

Vertrerter:innen aller grossen Parteien werben zusammen für ein Nein zur Justiz-Initiative. Sie sehen in einem Losverfahren für Richterwahlen eine Gefährdung der demokratischen Legitimität. In der Schweiz sei es unabdingbar, dass alle drei Gewalten (in-)direkt durch die Stimmberechtigen gewählt werden. Dies wäre durch die Einführung eines Losverfahrens bei der Ernennung der Bundesrichter:innen nicht mehr gegeben.

Typologie der Meinungsbildung

Bei der Justiz-Initiative handelt es sich um eine nicht eindeutig prädisponierte Vorlage. Sie steht auch nicht im Zentrum der November Abstimmung. Das Thema ist im Abstimmungskontext neu. Der Parolenspiegel verweist zusammen mit den Abstimmungen in den Räten auf geschlossene Ablehnung. Damit ist die Prädisponierung negativ oder allenfalls neutral. Zu erwarten ist eine geringe Spaltung der Bürgerschaft.

Im Regelfall der Meinungsbildung zu einer Initiative ist im Verlauf des Abstimmungskampfes mit einer Zunahme der Ablehnung zu rechnen. Im Ausnahmeszenario hält oder steigt der Zustimmungsanteil und es kann im Extremfall gar ein Wandel hin zu einer Ja-Mehrheit einsetzen.

Covid-19-Gesetz

Anliegen und Vorgeschichte

Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 hat der Bundesrat Massnahmen zu Schutz von Menschen und Unternehmen beschlossen. Aufgrund eines raschen Handelns stützte sich der Bundesrat anfangs auf das Notrecht. Im September 2020 wurde schliesslich das Covid-19-Gesetz vom Parlament verabschiedet. Dieses hält fest, mit welchen Mitteln der Bundesrat der Pandemie entgegenwirken kann und inwiefern die wirtschaftlichen Schäden minimiert werden sollen. In den nachfolgenden Sessionen musste das Gesetz aufgrund der Entwicklung der Pandemie angepasst werden.

Gegen die Fassung des Covid-19-Gesetzes vom 25. September 2020 hat der Verein „Freunde der Verfassung“ 90`789 gültige Unterschriften gesammelt und somit erfolgreich das Referendum ergriffen. Das Schweizer Stimmvolk nahm am 13. Juni 2021 das Gesetz mit 60.2 Prozent an.

Gegen die Änderungen des Covid-19-Gesetzes vom 19. März 2021 wurde erneut das fakultative Referendum ergriffen. Die Urheber des Referendums „Freunde der Verfassung“, „Netzwerk Impfentscheid“ und „Aktionsbündnis Urkantone“ haben im Juni 2021 74`469 gültige Unterschriften eingereicht.

Zur Abstimmung am 28. November 2021 stehen unter anderem die folgenden Änderungen: Ausweitung Finanzhilfen, Regelung von Contact Tracing, Covid-Tests und Quarantäne sowie die Grundlage für das Covid-Zertifikat.

Politische Grosswetterlage

In der Bevölkerung lässt sich verstärkt eine gewisse Corona-Müdigkeit erkennen. Vermehrt gruppieren sich Massnahmen-Gegner. Insbesondere das Covid-Zertifikat wird von den Massnahmen-Gegner:innen als rotes Tuch wahrgenommen. Sie sehen darin eine Bedrohung einer freien und offenen Gesellschaft. Zudem würden Ungeimpfte zunehmend diskriminiert werden, was laut des Ja-Komitees zu einer Spaltung der Gesellschaft führt. Diese Unzufriedenheit zeigt sich insbesondere an zahlreichen unbewilligten Demonstrationen, die beinahe wöchentlich stattfinden. Mittlerweile formieren sich jedoch auch Massnahmen-Befürworter:innen, die auf die Wichtigkeit der Massnahmen aufmerksam machen möchten.

Die Uneinigkeit, welche in der Bevölkerung vorherrscht, spiegelt sich auch auf dem politischen Parkett wider. Zu Beginn war eine typische Links-Rechts-Spaltung zu erkennen. Links herrschte eine Zustimmung zu den vom Bundesrat und vom Parlament beschlossenen Massnahmen, Rechts wurden diese abgelehnt. Mittlerweile verwässert diese Linie der Spaltung. Personen, die sich dem linken Spektrum zuordnen, kritisieren die beschlossenen Massnahmen – vor allem das Covid-Zertifikat. Sie sprechen sich beispielsweise für die Impfung aber gegen das Covid-Zertifikat aus.

Am 13. Juni 2021 wurde bereits über eine erste Fassung des Covid-19-Gesetzes abgestimmt. Die Vorlage wurde damals als positiv prädisponiert mit einer schwachen Polarisierung zum Nein hin beurteilt bzw. eingestuft, wobei am Abstimmungssonntag eine klare Annahme resultierte. Diese Einschätzung wurde letztendlich durch das Abstimmungsresultat (Ja-Anteil von 60.2%) untermauert. Inwiefern sich dieser Meinungsbildungsprozess bei der aktuellen Abstimmung wiederholt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Parlamentarische Beratung und Parolenspiegel

Aufgrund der Entwicklung der Corona-Pandemie unterbreitete der Bundesrat dem Parlament am 17. Februar 2021 einen neuen Entwurf zur Anpassung des Covid-19-Gesetzes. Darin beantragte der Bundesrat eine Anpassung der kantonalen Härtefallprogramme, eine Änderung im Bereich der Arbeitslosenversicherung, eine Änderung bei den Beiträgen an Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung sowie eine Anpassung bei den Ausfallentschädigungen an Kulturschaffende.

In der Frühjahressession folgte daraufhin die Beratung in beiden Räten. Der vorliegende Entwurf wurde sowohl vom Erstrat, dem Ständerat, als auch dem Zweitrat, dem Nationalrat, in zahlreichen Punkten angepasst. Eine Einigung zwischen den beiden Räten konnte auch nach drei Beratungsrunden nicht erzielt werden. Aus diesem Grund wurde eine Einigungskonferenz einberufen, welche zur Differenzbereinigung einen Einigungsantrag stellte. Diesem stimmten beide Kammern zu, und es kam zu einer Verabschiedung des neuen Covid-19-Gesetzes.

Die von der SVP verfasste Nein-Parole widerspricht der Haltung der Partei im Parlament. Die Vertreter:innen der SVP im Parlament hatten mehrheitlich für die Gesetzesänderung gestimmt. Dieser Widerspruch kann auf eine neue ausserparlamentarische oppositionelle Strömung zurückgeführt werden.

Bisheriger Abstimmungskampf

Der Abstimmungskampf ist bereits voll im Gang. Insbesondere die Gegner:innen haben äusserst früh mit der Mobilisierung der Stimmbürgerschaft begonnen. Das Nein-Komitee macht in seinem Argumentarium auf die Diskriminierung von Ungeimpften, eine elektronische Massenüberwachung, einen indirekten Impfzwang durch das Covid-Zertifikat und eine Machtzunahme des Bundesrates aufmerksam. Eine Spaltung der Gesellschaft sehen sie mit einer Annahme des Referendums als unabwendbar.

Befürworter:innen machen auf die Notwendigkeit der Gesetzesanpassung aufmerksam. Würde es zu einer Ablehnung des Referendums kommen, stünden verschiedene wirtschaftliche Unterstützungsmassnahmen auf dem Spiel. Das Ausbleiben der notwendigen Hilfszahlungen könnte Vertreter:innen aus vielen Branchen das Genick brechen. Zudem sehen die Befürworter:innen die Reisefreiheit der Schweizer Bevölkerung gefährdet. Würde die Ausstellung der Covid-Zertifikate nicht mehr möglich sein, würden Auslandsreisen verunmöglicht. Letzterem widersprechen die Gegner:innen. Sie argumentieren damit, dass freiwillig weiterhin Covid-Zertifikate ausgestellt werden können. Die Befürworter:innen sehen im Covid-Zertifikat die Chance auf ein möglichst normales Leben – trotz erneut steigender Zahlen. Die Durchführung von Veranstaltungen in Innenräumen ohne Maskenpflicht und die Öffnung von weiteren Lokalitäten wäre aus ihrer Sicht ohne Zertifikat nicht möglich.

Typologie der Meinungsbildung

Die Vorlage ist positiv prädisponiert. Bereits die parlamentarische Beratung verwies jedoch auf Konfliktpotenzial. Zudem existiert aufgrund der Referendumssituation und der grundlegenderen Kritik an den Corona-Massnahmen bereits eine formierte Gegnerschaft mit Abstimmungserfahrung zu diesem Thema.

Bei Trends unterscheiden wir bei Behördenvorlagen grundsätzlich zwei Entwicklungen. Im ersten Szenario, dem Regelfall, findet im Abstimmungskampf ein Angleich der Stimmabsichten an die Behördenposition statt – das Ja legt zu. Das kann sich in einem (einseitigen) Meinungsaufbau Richtung Ja oder aber in Form einer Polarisierung des Meinungsbildes niederschlagen (Ja und Nein legen zu).

Von einem abweichenden Szenario reden wir dann, wenn die Zustimmungsbereitschaft mit dem Abstimmungskampf abnimmt. In solchen Fällen handelt es sich entweder um eine Polarisierung zum Nein oder um einen Meinungsaufbau zum Nein.