Vorsicht, aber auch Hoffnung bei der Frage der Digitalisierung von Gesundheitsdaten

Handlungsbedarf bei der digitalen Gesundheit teilweise bekannt, aber bisher wenig Bewusstsein über deren Potenzial

Studie im Auftrag der KPT

Im Auftrag der KPT führt gfs.bern zum ersten Mal eine repräsentative Befragung in der Schweizer Bevölkerung durch. Das Ziel dieser Studie ist es, das Spannungsfeld zwischen Bürger:innen mit dezidiert kritischen Haltungen im Bereich Daten sowie Konsument:innen mit einer klaren Nutzenorientierung auszuloten.

Die zentralen Themen dieser Befragung sind die Grundhaltungen, Bedürfnisse und Präferenzen im Umgang mit Gesundheitsdaten, der Stand der Entwicklung im Bereich Gesundheitsdaten, die Rolle der Krankenkassen und die Bedürfnisse einer präventiven Diagnostik. Die Untersuchungsergebnisse sollen der KPT erlauben, Entscheidungen basierend auf einer verbesserten Datengrundlage zu fällen. Zudem sollen Bedürfnisse frühzeitig erkannt werden, damit entsprechende Massnahmen ergriffen werden können.

Bei der diesjährigen Befragung haben insgesamt 1014 Einwohner:innen der Schweiz teilgenommen.

Weitere Details zur Befragungsmethode finden sich in der Infobox am Ende des Kurzberichts.

Ergebnisse

Die Schweizer Bevölkerung ist immer wieder mit der Thematik ‚Datenschutz‘ konfrontiert. Sei es in Diskussionen im Laufe der e-ID Abstimmung oder die Bedenken über die Sicherheit auf der Plattform ‚meineimpfungen.ch‘. Obwohl die Politik und die Gesellschaft viel Kritik in diesen Diskussionen ausüben, sind
70 Prozent der Bevölkerung sehr/eher einverstanden mit der elektronischen Speicherung ihrer Gesundheitsdaten.

Drei von vier (76%) erachten die Gesundheitsversorgung in der Schweiz auch ohne die Speicherung von Gesundheitsdaten als sehr gut. Knapp weniger als die Hälfte (47%) ist der Meinung, dass die Schweiz bei der Nutzung von Gesundheitsdaten gegenüber vielen Länder zurückliegt. 27 Prozent konnten bei dieser Aussage keine Einschätzung abgeben („weiss nicht/keine Angabe“) – ein mögliches Indiz darauf, dass mehr als ein Viertel der Bevölkerung wenig Kenntnisse über den Stand und das Potenzial von der Digitalisierung im Gesundheitswesen hat. Ähnlich viele (26%) sind überhaupt/eher nicht mit der Aussage einverstanden, dass die Schweiz bei der Nutzung von Gesundheitsdaten gegenüber vielen Ländern zurückliegt.

Doch die Pandemie scheint das Bewusstsein über den Handlungsbedarf gestärkt zu haben: Über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung (64%) findet, die Pandemie habe gezeigt, dass die Gesundheitsversorgung viel digitaler erfolgen müsse. Die Angst vor einem Datenmissbrauch ist dennoch deutlich vorhanden, denn 58 Prozent sind sehr/eher einverstanden mit der Aussage, man solle möglichst wenig Gesundheitsdaten speichern, weil zu viele Datenschutzprobleme auftauchten. Eher bescheiden verbreitet ist auch das Einverständnis, dass sich mit dem Austausch von Gesundheitsdaten Kosten sparen lassen (62% sehr/eher einverstanden).

Um genauer zu verstehen, wer wie auf das Thema Gesundheitsdaten reagiert, wurde eine Clusteranalyse erstellt. Die Clusteranalyse ordnet Personen aufgrund ähnlicher Antwortmuster einer vorgegebenen Anzahl möglichst unterschiedlicher Typen zu. Für die Analyse wurden Antwortmuster in den ‚Aussagen zur digitalen Gesundheit‘ (obige Grafik) untersucht.

Im Grossen und Ganzen kann man die Bevölkerung in drei Gruppen einteilen: Befürwortende, datenschutzorientiert Skeptische sowie prinzipiell Kritische. Befürwortende machen nur knapp die Mehrheit aus. Während prinzipiell Kritische ganz grundsätzlich den Nutzen einer digitalen Gesundheitsversorgung in Frage stellen, sind datenschutzorientiert Skeptische zwar vorsichtig optimistisch beim Nutzen, für viele unter ihnen steht aber der Schaden bei einem allfälligen Datenschutzmissbrauch im Vordergrund.

Wie eingangs bestätigt, ist die Schweizer Bevölkerung gegenüber der Speicherung ihrer Gesundheitsdaten relativ positiv eingestellt. Das gilt vor allem, wenn das Vertrauen vorhanden ist. Über die Hälfte (52%) würden ihre Gesundheitsdaten „bestimmt zugänglich“ machen für die Ärztin/den Arzt ihres Vertrauens. Weitere 35 Prozent würden sie „möglicherweise“ zugänglich machen.

(Über) drei Viertel würden ihre Daten bestimmt/möglicherweise zugänglich machen, wenn sie jederzeit entscheiden können, wem sie Zugang zu ausgewählten Daten geben (78%) oder wenn sie einen unmittelbaren medizinischen Nutzen (z.B. frühzeitige Diagnose) davon erhielten (76%). Wenn es um einen medizinischen Nutzen in Form von beispielweise Gesundheitstipps in einer App geht, überzeugt das lediglich 57 Prozent, ihre Daten bestimmt/möglicherweise zugänglich zu machen. Monetäre Motivation in Form von einer Prämienreduktion ist bei 66 Prozent vorhanden.

Genau die Hälfte der Bevölkerung wäre bereit, Ihre Gesundheitsdaten der Krankenkasse zur Verfügung zu stellen. 19 Prozent davon allerdings nur, wenn sie einen bestimmten Betrag dafür erhielten.
Mehr als ein Viertel (27%) würden ihre Daten den Krankenkassen nicht zur Verfügung stellen, und etwas weniger als ein Viertel (23%) hat hierzu noch keine Antwort.

Von denen, die gegen Geld bereit wären ihre Daten den Krankenkassen zugänglich zu machen, würden ganze 44 Prozent über 600 CHF dafür verlangen.

Ein Kernelement der Befragung bildete ein Entscheidungsexperiment. Dabei wurde die Bevölkerung gebeten, jeweils zwischen zwei Umgangsarten bezüglichen Gesundheitsdaten zu entscheiden. Jede Umgangsart beinhaltete fünf unterschiedliche Dimensionen: Datenhoheit, Rolle der Krankenkasse, Diagnosedaten, Medikamentenliste, Aufwand, Präventivdiagnostik. Dabei gibt es pro Dimension jeweils drei Ausprägungen: analog, teils digitalisiert und komplett digitalisiert

Die Basis der Berechnung bildet ein Conjoint-Modell mit Interaktionen und Korrelationen. Mithilfe dieses Modells wurden die individuellen Nutzenfunktionen der befragten Personen geschätzt. Dies erlaubt die Bestimmung der Präferenzreihenfolge der befragten Personen unter Kontrolle von anderen Vorteilen im Bereich der digitalen Gesundheit. So wurde jeweils in Prozent berechnet, wie häufig jedes Element als beste, als mittlere und als schlechteste Option angesehen wurde. Auffallend ist, dass keine digitale Nutzendimension eine klare Mehrheit überzeugt. Eigentliche digitale Präferenzen haben jeweils weniger als zwei Drittel der Befragten. Damit bleiben auch im Experiment deutliche Hürden bestehen, wenn es um Durchbruchlösungen für die digitale Gesundheit geht.

Auf der Dimension Diagnose ist für 63 Prozent beste Option diejenige, bei der die Ärzteschaft die Diagnosen online speichert. Auf der Ebene Medikamentenlisten finden ebenfalls 63 Prozent die komplett digitale Option die beste, bei der alle Medikamente online erfasst sind und Wechselwirkungen automatisch gemeldet werden. Beide am ehesten akzeptierte digitale Lösungen sind Daten im durch die Ärzteschaft betreute Patient:innen-Dossier. Die Ärzteschaft ist damit auch im Experiment die vertrauenswürdige Anbieterin von digitalen Gesundheitslösungen.

Selbst die Präventivdiagnostik ist bisher kein breit anerkannter Nutzen der digitalen Gesundheit. 62 Prozent äussern für eine Warnfunktion bspw. bei einem Herzinfarktrisiko eine Präferenz zur laufenden Analyse von aufgezeichneten Daten. 38 Prozent sehen dies bisher nicht als wertvoll.

Auf der Ebene Aufwand wünschen sich ein wenig mehr als die Hälfte (59%), dass alle notwendigen Daten automatisiert oder durch Fachpersonen eingetragen werden. Die Dimension Datenhoheit ist die umstrittenste Dimension: 51 Prozent möchten die Daten zentral bei Bund gespeichert haben, während 49 Prozent es als die beste Option ansehen, wenn die Daten bei privaten Leistungserbringern gespeichert werden. Die Datenhoheit ist damit vergleichbar zur E-ID eine hohe Hürde bei der Entwicklung der digitalen Gesundheitsversorgung. Bei der Rolle der Krankenkasse gibt es keine Mehrheiten bei den Optionen. 44 Prozent möchten mit 200 CHF Prämienreduktion entschädigt werden, wenn sie alle Daten zur Verfügung stellen, 31 Prozent möchten selber entscheiden, welche Daten zur Krankenkasse gelangen und dafür mit 100 CHF entschädigt werden, und 25 Prozent finden es die beste Option, wenn die keine Daten zu den Krankenkassen kommen. Auch eine vergleichsweise hohe Entschädigung führt nicht zu einer breit akzeptierten Rolle der Krankenversicherungen im Bereich der digitalen Gesundheit.

Auch die Wünsche in Bezug auf die Schweizer Gesundheitsversorgung wurden abgefragt. Fast die Hälfte (48%) hat lieber eine Gesundheitsversorgung durch den Menschen als eine digitale Gesundheitsversorgung. Eine klar digitale Gesundheitsversorgung wünschen sich gerade einmal 18 Prozent. Knapp ein Drittel (36%) ist für eine Gesundheitsversorgung mit maximalem Datenschutz, ein weiterer, knapper Drittel (30%) möchte eine Versorgung, wo möglichst aktiv Daten ausgetauscht werden. Und weitere 30 Prozent sind mit ihrer Meinung in der Mitte angesiedelt. Wichtig scheint der Bevölkerung zu sein, die Datenhoheit zu behalten: 50 Prozent möchten selber entscheiden, wer Zugang zu ihren Daten erhält.

Ein Viertel der Bevölkerung möchte, dass die Krankenkasse aktiv mitdenkt in der Gesundheitsversorgung. 42 Prozent möchten lediglich die Rechnungen von den Krankenkassen bezahlt bekommen. 29 Prozent sind mittig angesiedelt. Ähnlich sieht die Verteilung bei der Frage über die Verwendung der Daten aus: 42 Prozent möchten ihre Daten nur für die Behandlung nutzen. 28 Prozent möchten durch die Freigabe ihrer Daten Spartipps erhalten.

Synthese

Kein grosser Handlungsbedarf

Die Schweiz geniesst generell einen hohen Qualitätsstandard – auch im Gesundheitswesen. Diese Sicherheit hemmt die Schweizer Bevölkerung beim Antrieb für eine digitale Gesundheitsversorgung. Die Pandemie hat die Bevölkerung etwas wachgerüttelt und gezeigt, dass in der Schweiz Handlungsbedarf besteht. Die Pandemie hat aber nicht zu einem kompletten Umdenken geführt. Sorgen rund um Datenschutzprobleme sind nach wie vor sehr präsent.

Potenzial der digitalen Gesundheit zu wenig bewusst

Das vollumfängliche Potenzial der Nutzung von Gesundheitsdaten ist in der Bevölkerung wenig verbreitet. Zwar ist sich ein Grossteil der Bevölkerung bewusst, dass damit Kosten gespart werden können, jedoch sehen sie die Digitalisierung nicht als Beitrag gegen steigende Gesundheitskosten. Hier können Leistungserbringer:innen dazu beitragen, die Bevölkerung noch besser aufzuklären. Auch die Kenntnis über das Potenzial für die eigene Gesundheit, beispielsweise bei der Präventivdiagnostik, ist noch wenig verbreitet.

Vertrauen als Schlüssel

Einem eher noch vagen Verständnis für das Potenzial der digitalen Gesundheitsversorgung stehen handfeste Risiken entgegen; wenn es zum Missbrauch mit persönlichen Gesundheitsdaten kommt. Diesem kann nur mit Vertrauen entgegengewirkt werden. Dieses Vertrauen geniesst in erster Linie die Ärzteschaft. Die Frage der Datenhoheit ist ähnlich wie beim eGovernment auch bei eHealth ein zentrales Risiko und eine Hürde für die weitere Entwicklung.

Dienstleistungserweiterung bei Krankenkassen vorstellbar

Zwar wird die Rolle der Krankenkasse aktuell eher auf die traditionelle Rolle beschränkt, jedoch kann sich eine Mehrheit vorstellen, bei einem konkreten medizinischen Nutzen oder bei einer Prämienreduktion ihre Daten den Krankenkassen zur Verfügung zu stellen. Um einen grösseren Kreis von Nutzenden zu motivieren, sollte sie strenge Datenschutzvorgaben einhalten und mit der Ärzteschaft kooperieren.

Methodische Details

Projektname: Präferenzen bei Gesundheitsdaten

Auftraggeberin: KPT

Erhebungsart: Panel (polittrends.ch und Bilendi)

Befragungszeitraum: 20.-31. Dezember 2021

Grundgesamtheit: Einwohner:innen der Schweiz

Stichprobengrösse: N = 1014

Stichprobenfehler: ± 3.2 Prozent bei 50/50

Gewichtung: Alter/Geschlecht interlocked