Bewertungsportale als relevante Quellen am Anfang der Patienten-Reise

Digitalisierung erst auf halbem Weg

Studie im Auftrag der FMH

Zum ersten Mal im Rahmen des FMH Digital Trends Surveys führte gfs.bern eine Befragung von Ärztinnen und Ärzten sowie von Einwohnerinnen und Einwohnern zum Thema Digitalisierungsangebote in der Beziehung zwischen Patient und Arzt durch.

Die Umfrage soll Aufschluss darüber geben, welche Bedürfnisse Ärztinnen und Ärzte im Hinblick auf Key Use-Cases haben und wie diese in Relation zu den Patientinnen und Patienten stehen. In diesem Zusammenhang werden jährlich neue Themenschwerpunkte gesetzt, die sich an der Patient Journey orientieren. Die Schwerpunktthemen sowie die konkreten Subthemen wurden in Experten-Interviews (Ärztinnen und Ärzte, Industrie, Forschung) erarbeitet und validiert.

Das Schwerpunktthema dieses Jahres bezieht sich auf die digitalen Dienstleistungen vor einem Arzttermin. In den Folgejahren sollen jeweils Dienstleistungen während und nach dem Termin sowie digitale Dienstleistungen zur Prävention befragt werden. Mithilfe eines Entscheidungsexperiments sollen Angebote dieser Elemente eruiert werden. Mit einer Conjoint-Analyse können dabei die relevanten Präferenzen sowohl von der Ärzteschaft als auch von der Bevölkerung herauskristallisiert werden.

Befragt wurden zwischen Oktober und November 2019 494 Ärztinnen und Ärzte und 2432 Einwohnerinnen und Einwohner ab 18 Jahren. Letztere wurde über zwei Panels befragt. Panelisten, die häufig an Online-Umfragen teilnehmen, können generell als etwas innovationsaffiner angesehen werden als die durchschnittliche Bevölkerung.

Weitere Details zur Befragungsmethode finden sich in der Infobox am Ende des Cockpits.

Digitale Angebote

Die Digitalisierung schreitet in verschiedenen Gebieten der Gesellschaft voran und hat auch die Gesundheitsversorgung erreicht.

Für 85 Prozent der Ärztinnen und Ärzte ist die Nutzung digitaler Möglichkeiten in der Schweizer Gesundheitsversorgung daher eher bis sehr wichtig. Lediglich 13 Prozent sind gegenteiliger Meinung.

Das Meinungsbild der Bevölkerung zur Nutzung solcher Möglichkeiten ist nicht ganz so deutlich zustimmend wie bei der Ärzteschaft. Die Bevölkerung ist dennoch zu 62 Prozent mehrheitlich davon überzeugt, dass diese eher bis sehr wichtig sei. Anders als bei der Ärzteschaft, wo nur ein kleiner Teil findet, dass die Nutzung solcher Möglichkeiten nicht wichtig sei, finden dies in der Bevölkerung ganze 37 Prozent eher bis sehr unwichtig.

Höchstens ein Drittel der Praxisärzteschaft bietet die erfragten digitalen Angebote an. Am häufigsten verbreitet sind dabei das Senden von Fotos mit dem Smartphone an die Ärztin oder den Arzt (32% „wir bieten das Angebot an“), die Online-Übermittlung von medizinischen Daten vor dem Arztbesuch (24%) sowie die digitale Hilfestellung bei der Arztwahl durch Websites oder Apps (20%).

Das Angebot, das am bekanntesten ist, jedoch kaum in der Praxis angeboten wird, ist die Online-Terminfixierung mit Kalenderfunktion. Das unbekannteste Angebot sind die digitalen Übersetzungsdienste für medizinische Berichte, die letztere in eine einfachere Sprache übersetzen (61% „Angebot ist mir unbekannt“).

Zur Frage, wie hoch das Interesse an diesen digitalen Angeboten ist, fällt auf den ersten Blick auf, dass das Interesse daran in der Bevölkerung deutlich höher ist als jenes der Ärzteschaft. Zudem unterscheidet sich die Priorisierung solcher Angebote ebenfalls. Während bei den befragten Ärztinnen und Ärzten die Online-Nachschlagewerke, mit denen man sich über Symptome informieren kann, das höchste Interesse geniessen (48% „eher bis sehr interessiert“), zeigt die Bevölkerung das meiste Interesse an der automatischen Benachrichtigung bei Arztterminen oder über Wartezeiten (89%, Ärzteschaft: 46%).

Daneben ist für die Bevölkerung die Online-Terminfixierung mit Kalenderfunktion ebenfalls besonders interessant (87%). Die Ärzteschaft stuft sich zu letzterer jedoch lediglich mit 21 Prozent als eher bis sehr daran interessiert ein.

Das im Vergleich tiefste Interesse in beiden Gruppen generieren Walk-In-Gesundheitseinrichtungen mit telemedizinischer Beratung (Ärzteschaft: 9%, Bevölkerung: 43%).

Meinungsbild zur Digitalisierung

Sowohl in der Bevölkerung als auch bei der Ärzteschaft erscheinen digitale Angebote in der Gesundheitsversorgung wichtig, doch bestehen besonders bei den Ärztinnen und Ärzten gewisse Vorbehalte. Den Ärztinnen und Ärzten wurden verschiedene Argumente bezüglich Digitalisierung im Gesundheitswesen vorgelegt. Besonders starke Zustimmung hat dabei das Argument, dass die Digitalisierung neue Datenschutzprobleme schafft, erhalten (92% „eher bis sehr einverstanden“). Auch sind sie der Meinung, dass die Patientinnen und Patienten besser im Umgang mit digitalen Gesundheitsdaten sensibilisiert werden sollten (88%). Dasselbe gilt jedoch auch für Ärztinnen und Ärzte (86%).

Vergleicht man an dieser Stelle die Aussagen der Bevölkerung, so wird ersichtlich, dass das Vertrauen in die Ärzteschaft, dass diese den Datenschutz einhält, das am meisten geteilte Argument ist (85%). Hier zeigt sich, dass die Ärzteschaft ein Grundvertrauen der Bevölkerung geniesst.

Mehrheitlich von der Ärzteschaft abgelehnt werden Argumente, wie „digitale Angebote ersetzen mehr und mehr den Arztbesuch“ (76% „eher/überhaupt nicht einverstanden“) oder dass die Ärzteschaft die digital aufgezeichneten Gesundheitsdaten systematisch nutzen sollte (58%). In der Bevölkerung werden diese beiden Argumente ebenfalls mehrheitlich abgelehnt, finden aber etwas mehr Zustimmung.

Obwohl die Bevölkerung im Vergleich zur Ärzteschaft etwas interessierter an digitalen Angeboten ist, ist sie nicht ganzheitlich dazu bereit auf den direkten Kontakt mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu verzichten und auf ein digitales Angebot auszuweichen:

50 Prozent würden dem je nach Umständen oder sogar auf jeden Fall zustimmen, 47 Prozent würden dies ablehnen. Letzteres ist besonders bei der älteren Einwohnerschaft festzustellen. Im Vergleich zur französischsprachigen Schweiz ist die deutschsprachige Schweiz dabei etwas aufgeschlossener.

Entscheidungsexperiment

Das Kernelement der dieser Befragung bildete das Entscheidungsexperiment. Dabei wurden Ärztinnen und Ärzte sowie Einwohnerinnen und Einwohner darum gebeten, jeweils zwischen zwei Arztpraxen mit unterschiedlichen digitalen Angeboten auf fünf Dimensionen auszuwählen. Die Ärztinnen und Ärzte gaben dabei an, welche Praxis sie aus Sicht der Patientinnen und Patienten wertvoller empfinden. Die Einwohnerinnen und Einwohner entschieden, welche Praxis sie selber eher für eine Behandlung auswählen würden.

Die Zahlen in den Pfeilen der nachfolgenden Grafik zeigen die signifikanten Effekte als Prozent gegenüber der neutralen Ausprägung, das heisst hier keine Digitalisierung der jeweiligen Leistung. Liegt ein solcher Effekt vor, wird die beschriebene digitale Leistung in der jeweiligen Dimension als wertvoll bzw. nützlich betrachtet.

Am stärksten ausgeprägt sind die Ergebnisse auf der Dimension der Online-Bewertungen. Hier zeigt sich, dass sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch die Bevölkerung einen Nutzen in einer überdurchschnittlichen Online-Bewertung einer Praxis sehen.

Das Gegenteil ist auf der Dimension des Self-Assessments ersichtlich, namentlich bei Apps, die automatisch die Arztpraxis informieren, wenn auffällige Resultate beim Gesundheitszustand auftreten. Hier zeigt sich, dass erneut beide Gruppen ähnliche Tendenzen aufweisen und eine solche App sich in ihren Augen negativ auf den Nutzen für den Patienten auswirkt (Ärzteschaft -22%, Bevölkerung -18%).

Ebenfalls eher negativ erachten Ärztinnen und Ärzte die Online-Anmeldung für einen Termin. Hier wurde jedoch kein signifikanter Wert erreicht. Anders sieht dies die Bevölkerung, diese erachtet die Online-Anmeldung signifikant als wertvoller als eine nicht digitale Anmeldung für einen Arzttermin über das Telefon.

Die Übertragung von Werten, die von Wearables aufgezeichnet und von der Ärztin bzw. vom Arzt genutzt werden können, empfinden Ärztinnen und Ärzte sowie die Bevölkerung ebenfalls als Nutzenzuwachs.

Auf der Dimension der Telekonsultation gibt es für die Bevölkerung eher einen positiven aber keinen signifikanten Nutzenzuwachs durch digitale Angebote, dasselbe gilt für die Ärzteschaft.

Erste Leseweise

Online-Bewertung relevant für Ärzteschaft und Bevölkerung

Das Entscheidungsexperiment hat klar gezeigt, dass in Augen der Bevölkerung aber auch der Ärzteschaft die Online-Bewertung einer Arztpraxis für die Auswahl der Praxis von hoher Relevanz ist und sogar den wichtigsten digitalen Treiber am Anfang der Patientenreise darstellt. Dennoch gibt es dieses digitale Angebot nur in den wenigsten Arztpraxen, obwohl das Interesse der Bevölkerung daran hoch ist. Hier gilt es anzusetzen und auf den für die Bevölkerung wichtigsten Plattformen aktiv zu sein.

Digitalisierung im Gesundheitswesen erst auf halbem Kurs

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist ein wichtiges Thema, sowohl für die Ärzteschaft als auch für die Bevölkerung. Dennoch gibt es Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung in der Beziehung zwischen den Ärztinnen und Ärzten und den Patientinnen und Patienten: Nur knapp die Hälfte der befragten Bevölkerung würde einen direkten Besuch beim Arzt einer Konsultation über Video vorziehen oder einer App überlassen, automatisch einen Termin beim Arzt einzuleiten. Dennoch besteht vor allem vonseiten der Bevölkerung ein hohes Interesse an digitalen Angeboten.

Wearables und Telekonsultation weniger attraktiv

Angebote wie Wearables oder die Telekonsultation sind vor allem für die Bevölkerung nur wenig attraktiv und versprechen lediglich marginalen Nutzenzuwachs. Angebote zum selbstständigen Einchecken, wie Online-Anmeldungen für einen Arzttermin oder automatische Benachrichtigungen bei Arztterminen oder über Wartezeiten finden hingegen höheren Anklang in der Bevölkerung.

Methodische Details

Auftraggeber: FMH

Grundgesamtheit: Ärztinnen und Ärzte; Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz ab 18 Jahren (Panel polittrends.ch, GFK)

Befragungsgebiet: ganze Schweiz

Datenerhebung: online

Stichprobengrösse: Total Befragte Ärztinnen und Ärzte N = 494; Total Befragte Einwohnerinnen und Einwohner N = 2432

Fehlerbereich: Ärztinnen und Ärzte ± 4.4 Prozentpunkte bei 50/50 (und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit), Einwohnerinnen und Einwohner ± 2.0 Prozentpunkte bei 50/50 (und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit)

Gewichtung: Ärztinnen und Ärzte nach Facharzttitel, Einwohnerinnen und Einwohner nach Alter, Geschlecht, Sprache

Befragungszeitraum: Ärztinnen und Ärzte 1. November bis 28. November 2019, Einwohnerinnen und Einwohner 25. Oktober bis 20. November 2019