Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG)
Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) setzt ab 2025 regelmässige, nationale Präventionskampagnen gegen häusliche, sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt um.
Ziel ist es, die Bevölkerung für die Thematik zu sensibilisieren, Wissen über Hilfsangebote zu verbreiten und langfristig zu einer gesellschaftlichen Haltung der Nulltoleranz gegenüber Gewalt beizutragen. Um besser zu verstehen, wie Menschen in der Schweiz diese Themen wahrnehmen, miterleben oder selbst betroffen sind, begleitet gfs.bern im Auftrag des (EBG) diese Kampagne evaluativ und führt zu diesem Zweck repräsentative Online-Befragungen durch.
Befragt wurden 1’564 Einwohner und Einwohnerinnen ab 16 Jahren, wohnhaft in der Schweiz mittels Online-Befragung zwischen dem 16. September und dem 27. Oktober 2025.
Für weitere methodische Details: siehe Infobox am Ende des Cockpits.
Wahrnehmung und Einschätzung zur Gleichstellung
Die Bedeutsamkeit des Themas Gleichstellung wird von der Schweizer Bevölkerung klar erkannt. So erachtet eine überwiegende Mehrheit von 85 Prozent der Befragten die Gleichstellung für die Zukunft der Gesellschaft als sehr oder eher wichtig.
Bei der Beurteilung der Wichtigkeit dieses Themas für sich persönlich ist der Anteil mit 63 Prozent zwar tiefer, aber immer noch stark ausgeprägt.
Die Wichtigkeit, welche man dem Thema Gleichstellung beimisst, ist dabei klar von soziodemographischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht abhängig. Insbesondere für junge Frauen zwischen 16 und 39 Jahren hat das Thema für sie persönlich eine grosse Bedeutsamkeit (70% sehr/eher wichtig). Auch wenn der Wert bei jüngeren Männern deutlich tiefer ausfällt (57%, sehr/eher wichtig), ist Gleichstellung für die Mehrheit von ihnen nach wie vor ein persönliches Anliegen.
Den grössten Handlungsbedarf sehen mehr als die Hälfte der Befragten (56%) bei der Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Arbeit. Besonders Frauen erachten Verbesserungen hier als dringend: 64 Prozent der 16- bis 39-Jährigen und sogar 70 Prozent der 40- bis 64-Jährigen nennen dieses Anliegen. Männer gewichten es deutlich seltener – je nach Altersgruppe zwischen 39 Prozent und 51 Prozent.
Rund 30 Prozent der Befragten erkennen in der Gleichstellung in Partnerschaften und Beziehungen sowie bei sexualisierter und geschlechtsbezogener Gewalt dringenden Handlungsbedarf – ein Befund, der das zentrale Anliegen der Kampagne des Bundes widerspiegelt.
Weniger dringlich wird die Benachteiligung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder auch spezifischer Männerthemen wie Männergesundheit und männliche Rollenerwartungen eingeschätzt. Auffällig ist jedoch, dass gerade bei letzterem insbesondere in den jüngeren Generationen eine deutlich höhere Problemsensibilität besteht als bei Menschen ab 40 Jahren.
Problemwahrnehmung häusliche, sexualisierte und geschlechts-bezogene Gewalt
Die Wahrnehmung von häuslicher, sexualisierter oder geschlechtsbezogener Gewalt zeigt ein deutliches Gefälle zwischen der allgemeinen und der persönlichen Ebene. Im Durchschnitt bewerten die Befragten das Problem in der Schweiz insgesamt mit 6.3 Punkten auf einer Skala von 0 («überhaupt kein Problem») bis 10 («sehr grosses Problem»).
Deutlich geringer fällt die Problemwahrnehmung hingegen im persönlichen Umfeld aus. Hier liegt der Mittelwert lediglich bei 1.3 Punkten. Dieses Auseinanderklaffen zwischen gesellschaftlicher und persönlicher Wahrnehmung deutet darauf hin, dass geschlechtsbezogene Gewalt von Frauen und Männern zwar als strukturelles Problem anerkannt wird, jedoch häufig als etwas verstanden wird, das «andere» betrifft.
Wie stark die individuelle Problemwahrnehmung ausgeprägt ist, ist auch davon abhängig, was von jeder einzelnen Person als Grenzüberschreitung im Verhalten empfunden wird. Von den unten abgefragten Verhaltensweisen wird jede einzelne von einer Mehrheit als grenzüberschreitend wahrgenommen. Besonders ausgeprägt ist das mit Bezug zum Versenden intimer Nachrichten oder Bilder ohne ausdrückliches Einverständnis. 95 Prozent der Frauen und 91 Prozent der Männer halten dieses Verhalten eindeutig oder eher für zu weitgehend. Auch körperliche Gewalt in einem Streit wird von fast allen als inakzeptabel eingestuft.
Ähnlich hohe Werte zeigen sich beim bewussten Erzeugen von Schuldgefühlen, um ein Ziel zu erreichen, sowie beim Druckausüben auf eine nahestehende Person, damit diese etwas tut, was sie eigentlich nicht möchte.
Grenzüberschreitungen in der Bevölkerung werden entsprechend breit verurteilt, wobei Frauen diese in allen Fällen etwas kritischer bewerten als Männer. So sind es bei den Männern etwa ein Fünftel, die angeben, dass sie verbale Einschüchterung nicht per se als falsch erachten, sondern dass es auf die Situation ankommt (im Vergleich zu 14% bei den Frauen). Auch die Suche nach körperlicher Nähe, trotz Signalisierung von Zurückhaltung wird von Männern weniger stark abgelehnt als von Frauen.
Erlebte Grenzüberschreitungen, Gewalterfahrungen und der Umgang damit
Eine Gegenüberstellung von Grenzüberschreitungen, die man selbst erlebt hat, und solchen, die man begangen hat, zeigt, bei welchen Verhaltensweisen besonders grosse oder kleine Differenzen zwischen erlebtem und eigenem Handeln bestehen. Bei allen Formen der Grenzüberschreitung ist der Anteil in der Schweizer Bevölkerung, der berichtet, solche schon einmal erlebt zu haben, jedoch (deutlich) höher als der Anteil Personen, der selber angibt, solche Überschreitungen selber schon gemacht zu haben.
Bei verbaler Einschüchterung und dem Versenden intimer Nachrichten ist der Unterschied zwischen beiden Welten vergleichsweise gering. Deutlich grössere Unterschiede zeigen sich hingegen bei körperlichen oder emotionalen Grenzüberschreitungen.
Konkrete Erfahrungen mit häuslicher, sexualisierter oder geschlechtsbezogener Gewalt werden je nach Alter und Geschlecht unterschiedlich häufig gemacht. Knapp die Hälfte der Befragten (47%) gibt an, niemanden persönlich zu kennen, der oder die solche Erfahrungen erlebt hat.
Gleichzeitig zeigt sich, dass 30 Prozent Personen im Freundes- oder Familienkreis kennen, die betroffen waren – bei jungen Frauen sind es sogar 42 Prozent. 22 Prozent haben Gewalt im öffentlichen Raum beobachtet, etwa auf der Strasse oder im Ausgang. Dieses Erleben ist bei Frauen unter 40 besonders verbreitet (33%), ebenso wie eigene Gewalterfahrungen (19%). Bei den Männern unter 40 Jahren berichten 4 Prozent von eigener Gewalterfahrung.
Um das Ausmass der Gewalt in der Bevölkerung besser greifbar zu machen, haben wir von denjenigen Personen, die angegeben haben, Erfahrungen mit häuslicher, sexualisierter oder geschlechtsbezogener Gewalt gemacht zu haben, die jeweils rapportierten konkreten Gewalterfahrungen auf alle Befragten hochgerechnet.
Es zeigt sich, dass die psychische Gewalt mit 7 Prozent am häufigsten verbreitet ist, gefolgt von körperlicher Gewalt, sexueller Belästigung und sexueller Gewalt.
Fast jede zweite betroffene Person (47 %) bleibt im Fall häuslicher, sexualisierter oder geschlechtsbezogener Gewalt untätig –und zwar vor allem aus Sorge, dass ein Eingreifen die Situation noch verschärfen könnte. Jeweils 31 Prozent geben zudem an, entweder nicht gewusst zu haben, an wen sie sich wenden können, oder den Vorfall damals nicht ernst genug genommen zu haben. Beide Gründe zeigen, dass – neben Angst vor einer Verschlimmerung – Unsicherheit und mangelnde Informationszugänge zentrale Hürden für das Handeln sind.
Für 22 Prozent war nicht klar, ob das Erlebte bereits als Gewalt gilt, was darauf hinweist, dass Grenzen zwischen belastenden und gewaltsamen Situationen oft schwer zu erkennen sind. Nur wenige geben an, nicht gewollt zu haben, dass sich andere einmischen (7%) oder selbst keine Hilfe gewünscht zu haben (6%).
Die meisten Personen, die häusliche, sexualisierte oder geschlechtsbezogene Gewalt beobachtet haben, reagieren aktiv: 53 Prozent der 16–39-Jährigen und 54 Prozent der 40–64-Jährigen geben an, mit der betroffenen Person gesprochen zu haben. Damit ist das direkte Gespräch die häufigste Reaktion auf beobachtete Gewalt. Ältere Personen ab 65 Jahren tun dies etwas seltener (45%).
Rund ein Drittel (31%) spricht zudem mit Dritten über die Situation, etwa mit Freund:innen oder Kolleg:innen. Dieses Muster zeigt, dass viele zwar Unterstützung suchen, aber nicht immer direkt eingreifen. Unsicherheit spielt vor allem bei älteren Menschen eine Rolle: 14 Prozent der über 65-Jährigen geben an, nichts unternommen zu haben, weil sie sich unsicher fühlten, im Vergleich zu nur 8 Prozent bei den Jüngeren.
Auf Basis der Angaben zum eigenen Verhalten und zu persönlichen Erfahrungen wurde ermittelt, wie gross die Anteile von grenzüberschreitenden Personen, Bystanders und Opfern in der Bevölkerung sind. Die Zuordnung zur Gruppe der grenzüberschreitenden Personen erfolgte anhand selbst berichteter Grenzüberschreitungen: Personen, die mindestens eine solche Grenzüberschreitung angegeben haben, wurden als grenzüberschreitenden Personen klassifiziert. Diese Definition umfasst damit bewusst ein breites Spektrum – von schwerwiegenden Gewalttaten bis hin zu weniger gravierenden Grenzüberschreitungen. Wichtig ist dabei, dass die Einteilung nicht auf strafrechtlichen Kriterien beruht, sondern allein auf dem selbst rapportierten Verhalten. Sie versteht sich daher als Annäherung an die Gruppe der grenzüberschreitenden Personen. Trotz einer gewissen Unschärfe erachten wir diese Kategorisierung als hilfreich, um das Wirkungspotenzial der Kampagne zu erfassen und ihre Zielgruppen klarer zu definieren.
Gemäss eigenen Angaben hat die Mehrheit der Bevölkerung direkt oder indirekt Berührungspunkte mit Gewalterfahrungen. Nur 35 Prozent geben an, keine der beschriebenen Situationen selbst erlebt oder beobachtet zu haben.
Am häufigsten sind Menschen gleichzeitig als Beobachtende («Bystander») und in einer Rolle grenzüberschreitender Personen involviert (21%). Weitere 18 Prozent waren ausschliesslich Bystander, haben also Gewalt beobachtet, ohne selbst jemals beteiligt gewesen zu sein. Etwa 17 Prozent der Befragten geben an, selbst schon einmal eine grenzüberschreitende Handlung vorgenommen zu haben, ohne zugleich Beobachter:in oder Opfer gewesen zu sein. Opfererfahrungen treten seltener isoliert auf (1%), was darauf hinweist, dass Gewalt häufig im sozialen Geflecht von Handeln und Beobachten erlebt wird.
Die wirksamste Gewaltprävention sieht der Grossteil der Bevölkerung im Erlernen von Kommunikation und emotionaler Kompetenz. 88 Prozent sind überzeugt, dass Gewalt seltener vorkommt, wenn Menschen lernen, über Gefühle und Grenzen zu sprechen. Auch Gleichstellung gilt für viele als zentrale Voraussetzung: Zwei Drittel (66%) stimmen zu, dass Gewalt abnimmt, wenn Frauen und Männer gleichgestellt und auf Augenhöhe sind. Damit sind die Kernanliegen der Kampagne des Bundes auch bei der Schweizer Bevölkerung breit verankert und geteilt. Ebenso vertreten 64 Prozent die Ansicht, dass Gewalt häufiger vorkommt, wenn Menschen keine Alternativen zum Abreagieren kennen – ein Hinweis auf die Bedeutung emotionaler Selbstkontrolle und psychischer Entlastung.
Leicht weniger Zustimmung finden Aussagen, die die Verantwortung indirekt den Betroffenen zuschreiben. So sind aber dennoch 60 Prozent der Meinung, anzügliches Verhalten oder Kleidung könnten Auslöser von Grenzüberschreitungen sein. Genau die Hälfte der Befragten ist zudem der Meinung, respektvolles Verhalten schütze automatisch vor Gewalt. Solche Sichtweisen verschieben die Verantwortung zumindest teilweise von den grenzüberschreitenden Personen weg und spiegeln damit weiterhin tradierte, problematische Vorstellungen von Geschlechterrollen und Schuld wider.
Biologischen und kulturellen Erklärungsansätzen wird klar mehrheitlich widersprochen. Dennoch gibt es substanzielle Minderheiten, die solchen Vorstellungen mindestens eher zustimmen: So sind über 20 Prozent der Meinung, Gewalt könne entstehen, wenn Frauen zu dominant auftreten, und rund ein Viertel glaubt, klassische Rollenverteilungen zwischen Männern und Frauen führten zu weniger Konflikten. Diese Sichtweisen zeigen, dass traditionelle und stereotype Geschlechterbilder in Teilen der Bevölkerung weiterhin verankert sind – und damit potenziell problematische Denkmuster fortbestehen, die Gleichstellung und Gewaltprävention erschweren können.
Ein Blick in die Untergruppen zeigt, dass die Bevölkerung gewaltpräventive Faktoren überwiegend ähnlich bewertet, sich aber in gewissen Aspekten auch klar unterscheidet.
So ist die Zustimmung zur Aussage, dass Gewalt sich verhindern lässt, wenn Menschen früh lernen, über Gefühle und Grenzen zu sprechen quer durch alle Gruppen sehr konstant. Auch die Vorstellung, dass Gleichstellung von Frauen und Männern Gewalt vorbeugt, findet generell breite Unterstützung. Auffällig ist aber, dass Männer im Alter von 16-39 Jahren hier klar zurückhaltender zustimmen.
Bei kontroverseren Fragen, etwa zum Einfluss von anzüglichem Verhalten oder Kleidung, zeigen sich stärkere Unterschiede. Während jüngere Frauen deutlich seltener zustimmen (43%), halten drei Viertel der Männer über 65 Jahre (76%) diese Erklärung für plausibel. Auch bei Aussagen, die Gewalt auf kulturelle oder biologische Faktoren zurückführen, steigt die Zustimmung mit dem Alter.
Wie gut sich die Bevölkerung darüber informiert fühlt, was zur Verhinderung von häuslicher, sexualisierter oder geschlechtsbezogener Gewalt getan werden kann, ist ein wichtiger Gradmesser dafür, wie gross das Potenzial einer Kampagne in diesem Bereich ist. Ein bisschen mehr als die Hälfte der Bevölkerung (57%) gibt an, sich darüber gut oder sehr gut informiert zu fühlen. Mit dem Alter nimmt dieses Vertrauen leicht zu.
Unsicherheiten zeigen sich gerade bei den jüngeren Personen, die dazu noch öfters mit solchen Gewalterfahrungen konfrontiert sind. Hier ist die Informiertheit zur Verhinderung von Gewalt vergleichsweise gering, was den Handlungsdruck insbesondere in dieser Altersgruppe verdeutlicht.