eHealth-Barometer 2021: Pandemie stärkt Offenheit für digitale Lösungen im Gesundheitswesen

SwissCovid-App: Solidarität versus Zweifel am Nutzen und Datenschutz-Bedenken

InfoSocietyDays

Seit 2009 wird im Rahmen der InfoSocietyDays das eHealth Barometer erhoben und erstellt. Befragt werden sowohl Gesundheitsfachpersonen/Akteure des Gesundheitswesens als auch die Wohnbevölkerung. Dabei wird dem aktuellen Stand und der Entwicklung von eHealth in der Schweiz auf den Grund gegangen. Der vorliegende Bericht zeigt die Resultate der Wohnbevölkerung.

Mit der Verabschiedung des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) im Juni 2015 hat das Parlament einen legislativen Meilenstein in der Implementierung von eHealth in der Schweiz gesetzt. Seit April 2017 ist das Bundesgesetz über das EPD in Kraft, wodurch Akutspitäler, Reha-Kliniken und stationäre Psychiatrien seit April 2020 als Erste an eine Stammgemeinschaft angeschlossen sein müssten. Im Februar 2020 teilte der Programmausschuss „Einführung EPD“ jedoch mit, dass sich die Einführung verzögern wird. Trotzdem verzeichnete das Projekt im November 2020 einen Erfolg in der Implementierung, als die von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle (SAS) anerkannte Zertifizierungsstelle KPMG der Stammgemeinschaft „eHealth Aargau“ das erste Zertifikat ausstellte.

Die Nutzung der EPD für die breite Bevölkerung wird ab dem zweiten Quartal 2021 sukzessive ermöglicht. Die Einführung des EPD ist komplex, bedarf viel Klärung und bedingt die Zusammenarbeit zahlreicher Akteure im Gesundheitswesen. Die Studie orientiert sich an der „Strategie eHealth Schweiz“ und an Grundlagenabklärungen der Europäischen Kommission zum Monitoring von eHealth. Das Swiss eHealth Barometer wird von den folgenden Partnern mitgetragen:

Hauptpartner: Bundesamt für Gesundheit (BAG)

 Co-Studienpartner: CURAVIVA Schweiz, pharmaSuisse, eHealth Suisse, Spitex Verband Schweiz, Careum Stiftung, Ärztekasse, Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen, Interessensgemeinschaft eHealth, Gesundheitsförderung Schweiz, Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH)

Details zur Stichprobe und Methode finden sich in der Infobox am Ende des Cockpits.

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SwissCovid-App

So gross und übergreifend das Thema eHealth in der Schweiz auch sein mag: Kein Thema war 2020 breiter diskutiert als Corona. Aus diesem Grund wurde in der aktuellen Studie eine Fragebatterie bezüglich der SwissCovid-App ergänzt. Per 18. Januar 2021 wurde diese von 1.92 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz benutzt.

Dabei macht die Kohorte der 39- bis 64-Jährigen den grössten Teil aus.

Die Ergebnisse der Studie zeigen aber auch, dass in allen Altersgruppen hinweg breite Kreise explizit auf die Nutzung verzichten.

Die Nutzerinnen und Nutzer machen dies in allererster Linie aus Solidarität. Für 93 Prozent trifft dieser Grund voll oder eher zu. 86 Prozent sind auch voll oder eher überzeugt, dass dank der Speicherung der Daten nur auf dem Smartphone die Daten geschützt sind.

Von denen, die die SwissCovid-App nicht auf ihrem Smartphone installiert haben, geben 31 Prozent an, die App gar nicht zu kennen. Das ist hauptsächlich die junge Bevölkerungsgruppe: Die Hälfte (51%) dieser 31 Prozent sind 18- bis 39-Jährige. Gerade bei den über 65-Jährigen scheinen technische Probleme der Grund zu sein: 28 Prozent der ältesten Alterskohorte hat kein geeignetes mobiles Telefon respektive Schwierigkeiten bei der Installation. Der Teil derjenigen, die Misstrauen gegen alle Massnahmen/dem Umgang mit dem Virus oder die Behörden haben, ist mit 7 Prozent relativ klein. Die Gründe von fast einem Drittel (31%) für das Nicht-Installieren andere Gründe.

Bei konkreten Aussagen fällt auf, dass direkt technische Gründe selten als Ursache für die Nicht-Installation bestätigt werden. So trifft nur für 13% der Nicht-Nutzenden zu, dass das Mobilfunktelefon nicht dafür geeignet wäre. Ein Typ von Gründen der Nicht-Installation ist die „pragmatische“ Ablehnung. 62 Prozent sehen voll oder eher keinen Nutzen für sich selber. Oder auch 55 Prozent glauben nicht an den Beitrag zur Eindämmung der Pandemie. Der andere breit unterstützte Typ sind Datenschutzbedenken. So haben ebenfalls 62 Prozent Bedenken wegen dem Datenschutz oder Datenmissbrauch. Und 49 Prozent wollen beispielsweise die Standortfreigabe nicht aktivieren.

Informationsquellen und Nutzung elektronischer Angebote

Das Gesundheitswesen in der Schweiz beschäftigt die Bevölkerung. Obwohl mit dem Coronavirus eine der grössten gesundheitlichen Krisen in der Schweiz aufgekommen ist, hat das Thema im letzten Jahr nur einen leichten Aufwärtstrend erlebt. Mittlerweile ist das Interesse wieder bei den Werten von 2019 angekommen. Vor allem der Anteil der sich sehr interessiert zeigt, ist wieder auf frühere Höchstwerte angestiegen. Bei den Frauen geben etwas mehr als ein Drittel (34%) an, sehr interessiert zu sein, während es bei den Männern 23 Prozent sind.

 

Beim Interesse scheint es aber keine Rolle zu spielen, ob jemand in der Stadt oder auf dem Land wohnt – die Personen aus unterschiedlichen Siedlungsgebieten sind gleichermassen interessiert. Vielmehr sagt das Alter etwas über den Bezug zu Gesundheitsthemen aus: Bei den 18- bis 39-Jährigen geben 60 Prozent an, eher/sehr interessiert zu sein, während es bei der älteren Alterskohorte 80 Prozent (40- bis 64-Jährige) respektive 88 Prozent sind (+ 65-Jährige).

Während letztes Jahr eine Abnahme der Konsumation von Internetmedien, Tageszeitungen/Zeitschriften sowie Gesundheitsapps für Gesundheitsinformationen festzustellen war, sind die Werte mittlerweile wieder beim Stand von 2019 oder haben diese nun übertroffen. Unverändert hoch bleibt die Beliebtheit von Radio und Fernsehen als Informationsquelle. Das Internet wird aber aktuell sehr stark genutzt und ist

erstmals die wichtigste Informationsquelle überhaupt. Nach wie vor gilt es, hier einen genaueren Blick auf die Daten zu werfen: So nutzen hauptsächlich 18- bis 64-Jährige das Internet (je 84% pro Alterskohorte), während sich die über 65-Jährigen in erster Linie via Radio und/oder Fernsehen (87%) informieren.

Nachdem sich die Einführung des EPD im letzten Jahr verzögert hat, wurde Ende 2020 dennoch das erste elektronische Patientendossier im Kanton Aargau eröffnet. Die zahlreichen Medienberichte darüber scheinen ihre Wirkung gehabt zu haben: Mittlerweile geben 57 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz an, das EPD als medizinisches Angebot zu kennen (+24 Prozentpunkte). Vor allem bei den Jüngeren ist die Bekanntheit verberbreitet: 70 Prozent der 18- bis 39-Jährigen geben an, es zu kennen, während es bei der mittleren Alterskohorte 56 Prozent und bei den über 65-Jährigen 38 Prozent sind. Angesichts der Tatsache, dass im 2. Quartal von 2021 die EPD bei der breiten Masse eröffnet werden sollen, gibt es immer noch einen hohen Anteil von 43 Prozent, die das EPD nicht kennen.

Während es bei der Kenntnis von elektronischen Angebote fast überall einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr gegeben hat, zeigt der Blick auf die Nutzung dieser Angebot ein gegenteiliges Bild. Hier gibt es Zu- wie auch Abnahmen. Am deutlichsten zeichnet sich eine Veränderung beim elektronischen Impfausweis ab. Hier dürfte die Medienberichterstattung über die aktuelle Lösung und die Ergänzung mit der Covid-Impfung eine Wirkung gezeigt haben. 78 Prozent (+17 Prozentpunkte) derjenigen, die das Angebot kennen, nutzen dieses bereits oder können es sich vorstellen. Der markanteste Rückgang gibt es bei den Apps zur Messung von Vitalwerten: Hier können es sich nur noch 51 Prozent (-21 Prozentpunkten) vorstellen, das Angebot zu nutzen respektive nutzen es bereits.

Elektronischer Austausch Patientinnen und Patienten und Gesundheitsfachpersonen

Damit eHealth zum Erfolg wird, braucht es die Kooperation von und zwischen Gesundheitsfachpersonen sowie Patientinnen und Patienten. Die Grundlage für alle Bestrebungen in diese Richtung ist die Bereitschaft zur elektronischen Speicherung von Daten. Heute geben 70 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner an, mit der Speicherung ihrer Gesundheitsdaten eher/sehr einverstanden zu sein.

Das sind 13 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Es liegt wohl am regen Datenaustausch seit Ausbruch des Coronavirus, dass heute wieder mehr Menschen in der Schweiz der Speicherung von Gesundheitsdaten so positiv gegenüberstehen. Allerdings hat auch der Anteil zugenommen, der angibt „ich weiss es nicht“. Bei einem Fünftel der volljährigen Bevölkerung besteht eine Unsicherheit in puncto Datenspeicherung.

Auch die Offenheit gegenüber dem Datenaustausch zwischen den behandelnden Gesundheitsfachpersonen nimmt wieder zu und ist mit 70 Prozent Zustimmung wieder bei den Werten von 2019. Am meisten Zustimmung findet man bei den Deutschschweizern mit 74 Prozent, gefolgt von den Romands mit 60 Prozent und der italienischsprachigen Schweiz mit

55 Prozent. Am offensten sind auch Personen mit mittleren bis hohen Bildungsniveau: je 71 Prozent sagen „ja“ zum Datenaustausch zwischen behandelnden Gesundheitsfachpersonen, während es bei Personen mit tiefen Bildungsniveau 51 Prozent sind.

Auf konkrete Einzelbereiche heruntergebrochen ist die Bereitschaft, die eigenen Daten mit Gesundheitsfachpersonen zu teilen bei einer Mehrheit der Bevölkerung vorhanden. In diesem Jahr ist mit 55 Prozent auch wieder über die Hälfte der volljährigen Bevölkerung bereit, Einsicht in alle oder Teile der

Daten für Forschungszwecke zu gewähren (+11 Prozentpunkte). Im Diskurs über die Impfung gegen Covid-19 hat sich ein leichter Rückgang über das Teilen des elektronisches Impfausweises (-5 Prozentpunkte) gezeigt.

Auch bei der Selbsteinschätzung über die Kompetenz der Datenfreigabe sind die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz zurück auf dem Stand von 2019 respektive haben diesen leicht überholt. 79 Prozent sind der Ansicht eher/sehr gut in der Lage zu sein, einzuschätzen, wer Einsicht in die eigenen Daten haben darf und wer nicht.

Die Deutschschweizerinnen und – schweizer haben dabei das grösste Selbstvertrauen: 83 Prozent fühlen sich eher/sehr in der Lage, diese Entscheidung zu treffen, während es bei den Romands und der italienischsprachigen Schweiz je 68 Prozent sind.

Einstellung zum EPD

Mit dem Anstieg der Bekanntheit des EPD in der Bevölkerung steigt auch wieder die Zustimmung dieses Produkts: 80 Prozent finden es eine eher bis sehr gute Sache. Auch hier lässt sich eine Verbindung zu den vermehrten

Medienberichten über das EPD im vergangenen Jahr herstellen.

Die Alterskohorte 65+ hat mit 11 Prozent den höchsten, aber immer noch relativ tiefen Anteil an „weiss nicht“-Antworten.

Auch die Bereitschaft ein eigenes EPD zu erstellen hat wieder zugenommen: 61 Prozent können es sich in der aktuellen Befragung vorstellen. Dennoch wissen mit 27% über ein Viertel der Einwohnerinnen und Einwohner, dass sie kein EPD erstellen möchten. Es sind vor allem Personen mit tiefen Bildungsniveau (48%), die sich Stand heute gegen eine Eröffnung des EPD entscheiden würden.

Bei den Personen mit mittlerem Bildungsniveau sagen 23 Prozent „nein“, und bei Personen mit hohen Bildungsniveau sind es 28 Prozent. Genau wie bei der Beurteilung des EPD grundsätzlich, gewinnt dabei allerdings nicht das Lager der Gegner an Zuspruch, sondern es ist der Anteil an Personen, die sich unsicher sind, der wächst.

Das Argument, welches für die meisten für das EPD spricht, betrifft die Sicherheit über die Verfügbarkeit der eigenen Daten im Notfall. Vor allem Deutschschweizerinnen und – schweizer sehen mit 64 Prozent darin einen Vorteil, gefolgt von den Romands (45%) und der italienischsprachigen Schweiz (42%).

Das Argument, welches mit 45 Prozent bei den Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz am wenigsten Zustimmung findet, ist jenes, welches besagt, dass die persönlichen Informationen in die falschen Hände geraten können. Dennoch entspricht dies fast der Hälfte der Befragten.

Erste Leseweise

Pandemie erhöht Bereitschaft für Digitalisierung

Nachdem sich letztes Jahr die Skepsis gegenüber der Digitalisierung im Gesundheitswesen vor allem wegen Datenschutzbedenken breit machte, scheint die Corona-Pandemie der Schweizer Bevölkerung aufzuzeigen, wie wichtig und unausweichlich die Digitalisierung im Gesundheitsbereich ist. Die Unsicherheiten im Bereich des Datenschutzes sind zwar noch deutlich, sie beeinflussen aber nicht mehr wie im Vorjahr die grundsätzliche Offenheit für digitale Lösungen im Gesundheitswesen. Das ist eine Aufforderung an die Wegbereiter Hürden schneller abzubauen.

Covid-App zwischen Solidarität, pragmatischer Ablehnung und Datenschutz

Die SwissCovid-App hat eine grosse Verbreitung in der Schweiz erfahren, aber auch einen breiten Teil der Bevölkerung, welche sie ablehnt. Auffallend ist ein relativer breiter Kreis, welche die App gar nicht kennt. Während die Userinnen und User an den Datenschutz glauben und fast ausnahmslos die Solidarität als Grund der Nutzung angeben, hegen die Skeptikerinnen und Skeptiker verbreitet Zweifel am Datenschutz und installieren die App häufig auch nicht, weil sie den Nutzen nicht erkennen. Die unterschiedlichen Perspektiven bestätigen eine mögliche Polarisierung der Bevölkerung im Umgang mit der Pandemie, die sich in vielen Aspekten der Pandemie zeigt.

Beim EPD am Ball bleiben

Das Interesse an der Eröffnung eines eigenen elektronischen Patientendossiers ist wieder gewachsen. Nachdem letztes Jahr das erste elektronische Patientendossier ausgestellt wurde und die Spitäler zunehmend auf die Einführung vorbereitet sind, nimmt die Bereitschaft der Bevölkerung für ein eigenes EPD zu. Jetzt gilt es, am Ball zu bleiben und diese positive Dynamik zu nutzen, um das Potenzial des EPD als Katalysator für eHealth in der Schweiz zu nutzen.

Methodische Details

Auftraggeber: InfoSocietyDays

Grundgesamtheit: Wohnbevölkerung der Schweiz (bis 2017 Stimmberechtigte)

Befragungsgebiet: ganze Schweiz

Herkunft der Adressen: Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt)

Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI)

Art der Stichprobenziehung: at random

Befragungszeitraum: 03. bis 15. Januar 2021 (mittlerer Befragungstag: 07. Januar 2021)

Stichprobengrösse: minimal 1200, effektiv 1211 (nDCH: 706, nFCH: 305, nICH: 200)

Fehlerbereich: ± 2.9 Prozentpunkte bei 50/50 (und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit)

Quotenmerkmale: Alter/Geschlecht interlocked

Gewichtung nach: Sprache, Geschlecht

Befragungsdauer: Mittelwert 28.5 Minuten (+/- 5 Minuten)