eHealth-Barometer 2020: Behörden als Bergführer in die Höhen der Digitalisierung gefordert

Rasch eigene Erfahrungen mit dem EPD sammeln wichtig, um Unsicherheiten abzubauen

InfoSocietyDays

Seit 2009 wird im Rahmen der InfoSocietyDays das eHealth Barometer erhoben und erstellt. Befragt werden sowohl Gesundheitsfachpersonen als auch die Wohnbevölkerung. Dabei wird dem aktuellen Stand und der Entwicklung von eHealth in der Schweiz auf den Grund gegangen. Der vorliegende Bericht zeigt die Resultate der Wohnbevölkerung.

Im Sommer 2015 wurde mit der Verabschiedung des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) der Grundstein für dessen Implementierung in der Schweiz gelegt. 2020 geht es nun an die Einführung und Umsetzung – zuerst in den Spitälern, dann in den Pflegeheimen und schliesslich im gesamten nationalen Gesundheitswesen (wobei die Umsetzung im ambulanten Bereich freiwillig ist). Die Einführung des EPD ist komplex, bedarf viel Klärung und bedingt die Zusammenarbeit zahlreicher Akteure im Gesundheitswesen.

Die Studie orientiert sich an der „Strategie eHealth Schweiz“ und an Grundlagenabklärungen der Europäischen Kommission zum Monitoring von eHealth. Das Swiss eHealth Barometer wird von den folgenden Partnern mitgetragen:

Hauptpartner: Bundesamt für Gesundheit (BAG)

 Co-Studienpartner: CURAVIVA Schweiz, pharmaSuisse, eHealth Suisse, Spitex Verband Schweiz, Careum Stiftung,  Ärztekasse, Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen,  Interessensgemeinschaft eHealth, Gesundheitsförderung Schweiz.

Details zur Stichprobe und Methode finden sich in der Infobox am Ende des Cockpits.

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Informationsquellen und Nutzung elektronischer Angebote

Das Gesundheitswesen in der Schweiz beschäftigt die Bevölkerung. Zum einen ist der Zugang zum Gesundheitswesen sowie die Qualität der erbrachten Dienstleistungen von grösster Relevanz für jede einzelne Person. „Wie gut bin ich betreut, wenn es mir einmal schlecht geht?“, ist eine Frage, die sich alle stellen. Zum anderen ist der Anstieg der Gesundheitskosten eine zunehmendes Politikum und mit dafür verantwortlich, dass Gesundheitsfragen in den letzten Jahren einen festen Platz in den Top Rängen der grössten Sorgen der Schweizer*innen einnahmen. Passend zum hohen Stellenwert des Gesundheitswesens interessiert sich auch eine Mehrheit von total 74 Prozent der Bevölkerung für Fragen, die mit der gesundheitlichen Versorgung in der Schweiz zusammenhängen (Anteil sehr/eher interessiert kombiniert).

 

Lediglich jede vierte Person (25 %) zeigt dagegen kein Interesse.

Der Anteil Uninteressierter hat allerdings seit Beginn der Datenerfassung langsam aber stetig etwas zugenommen (+8%-Punkte seit 2013). Personen, die über 65 Jahre alt sind, geben zudem mehr als dreimal so häufig an, sich sehr für Fragen des Gesundheitswesens zu interessieren, als Personen unter 40 Jahren (11% vs. 38%). 2013, zu Beginn der Datenreihe, lag der Unterschied noch bei einem 1.5 mal grösseren Interesse (22% vs. 32 %).

Eine Mehrheit der Bevölkerung bedient sich sowohl klassischer Informationsquellen als auch neuer Quellen und nutzt beispielsweise das Internet, wenn es um Gesundheitsthemen geht. Während die Nutzung von Tageszeitungen und Zeitschriften im Einklang mit dem Medienwandel weg von linearen Medien hin zu mehr on-demand Quellen abnimmt, erstaunt der Anstieg in der Wichtigkeit von Radio und Fernsehen.

Auch hier spielt das Alter erneut eine Rolle:

Personen über 65 Jahren nennen Radio und Fernseher zu 89 Prozent als Quelle, während es bei den jüngeren deutlich weniger sind (67% bei den unter 40-Jährigen). Die jüngeren – die sich allgemein weniger für Gesundheitsthemen interessieren – nennen dafür das Internet mehr als Quelle. Ins Auge sticht, dass Apps zu Gesundheitsfragen nach einem einstweiligen Höchstwert 2017 seither wieder an Wichtigkeit verlieren.

Die Nutzung von Apps als Informationsquelle nimmt trotz der zunehmenden technischen Möglichkeiten nicht einfach zu. Auch was ganz konkrete elektronische Angebote betrifft, ist bei der Bevölkerung nicht ein flächendeckender Anstieg in der Kenntnis dieser Angebote erkennbar. Im Gegenteil, die Zeitreihe seit 2015 scheint darauf hinzuweisen, dass gewisse Angebote weiter an Bekanntheit gewinnen, während sich andere im Moment nicht durchsetzen können.

Notruf-Apps sowie Apps für Fitness und Bewegung sind heute einer Mehrheit bekannt. Die Möglichkeit, Vitalwerte über Apps zu messen ist heute rund doppelt so vielen Einwohner*innen bekannt wie noch vor fünf Jahren und auch das elektronische Patientendossier gewinnt an Bekanntheit. Dagegen können Apps mit Erinnerungsfunktion für die Medikamenteneinnahme oder auch zur Erkennung von Krankheiten und Allergien seit 2017 keine zusätzliche Breitenwirkung erzielen.

Hier geben weniger Leute an, bereits von solchen Möglichkeiten gehört zu haben.

Diejenigen, die ein elektronisches Angebot kennen, können sich in den meisten Fällen auch vorstellen, dieses in Zukunft zu nutzen oder man nutzt es sogar bereits. Im Vergleich zum letzten Befragungsjahr nimmt der Anteil Einwohner*innen, die sich eine Nutzung mindestens vorstellen können, jedoch eher ab. Die Ausnahmen stellen Apps zur Messung von Vitalwerten sowie das elektronische Patientendossier dar. Von den wenigen Personen, die von Apps zur Erkennung von Krankheiten und Allergien bereits gehört haben, können sich wiederum mehr vorstellen, diese Diagnose-Tools auch zu nutzen.

Elektronischer Austausch Patientinnen und Patienten und Gesundheitsfachpersonen

Damit eHealth zum Erfolg wird, braucht es die Kooperation von und zwischen Gesundheitsfachpersonen und Patient*innen. Die Grundlage für alle Bestrebungen in diese Richtung ist die Bereitschaft zur elektronischen Speicherung von Daten.

Noch ist diese bei einer Mehrheit der Bevölkerung gegeben. Heute geben 57 Prozent der Einwohner*innen an, mit der Speicherung ihrer Gesundheitsdaten grundsätzlich einverstanden zu sein. Dieser Anteil nimmt jedoch seit 2013 klar ab.

Mit der Abnahme der grundsätzlichen Bereitschaft zur Speicherung der eigenen elektronischen Gesundheitsdaten geht auch eine zunehmende Zurückhaltung in der Offenheit gegenüber dem Datenaustausch zwischen den behandelnden Gesundheitsfachpersonen einher. Der Anteil Einwohner*innen, der mit einem solchen Austausch bedingungslos einverstanden ist, kommt 2020 auf einem neuen Tiefstwert zu liegen und fällt mit 47 Prozent erstmals unter die Mehrheitsmarke von 50 Prozent.

Dabei ist es allerdings nicht so, dass die grundsätzliche Opposition gegen einen Austausch steigt, stattdessen nimmt der Anteil Einwohner*innen zu, dem es auf die konkreten Regeln ankommt, die einem solchen Austausch zugrunde liegen. Hier besteht ein klarer Unterschied zwischen Personen, die bereits im Pensionsalter sind (Anteil, „kommt auf Regeln an“ bei 17%) und Personen, die noch nicht in Rente sind (Anteil „kommt auf Regeln an“ liegt über 45%).

Auf konkrete Einzelbereiche heruntergebrochen ist die Bereitschaft, die eigenen Daten mit Gesundheitsfachpersonen zu teilen bei einer Mehrheit der Bevölkerung vorhanden – mit einer Ausnahme: Neu sind nur noch 44 Prozent der Einwohner*innen einverstanden, die eigenen Informationen teilweise oder ganz für Forschungszwecken zu teilen/zur Verfügung zu stellen.

Ein deutlicher Anstieg ist bei der Bereitschaft zu verzeichnen, Gesundheitsfachpersonen Einsicht in den elektronischen Impfausweis zu ermöglichen.

Die Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung 2020 weisen darauf hin, dass die Bevölkerung mit Hinblick auf den gesamten Themenkomplex rund um die Digitalisierung und die damit einhergehende Nutzung ihrer Gesundheitsdaten differenzierter reagiert als in Vorjahren.

Diese neue Vorsicht dürfte auch in einer grösseren Unsicherheit der Bevölkerung begründet sein, was die eigene Qualifikation zur Beurteilung dieser Fragen betrifft. Haben sich 2013 lediglich 21 Prozent schlecht qualifiziert gefühlt für den Entscheid der Freigabe über die eigenen Daten, sind es heute mit 41 Prozent fast doppelt so viele.

Einstellung zum EPD

Eine Mehrheit von 64 Prozent der Schweizer Bevölkerung empfindet das elektronische Patientendossier heute als eine gute Sache. Im Vergleich zu 2019 entspricht das einer klaren Abnahme, wobei insbesondere der Anteil Unentschiedener markant von 7 Prozent 2019 auf 26 Prozent 2020 angestiegen ist.

Mit der anstehenden Einführung in den Spitälern wird das EPD für die Bevölkerung von einem abstrakten Konzept zu einem Instrument mit unmittelbaren persönlichen Anforderungen und Konsequenzen. Dies, auch im Zusammenhang mit den medial diskutierten Hürden bei der Umsetzung, dürfte dazu beitragen, dass gegenüber der Bevölkerung der Aufklärungsbedarf steigt.

Seit 2015 ist der Bevölkerungsanteil, der selber ein elektronisches Patientendossier eröffnen und verwenden würde, stetig angestiegen. 2020 setzt dieser Entwicklung vorerst ein Ende.

Genau wie bei der Beurteilung des EPD grundsätzlich, gewinnt dabei allerdings nicht das Lager der Gegner an Zuspruch, sondern es ist der Anteil an Personen, die sich unsicher sind, der wächst.

Gewünschte Funktionalitäten EPD

Mit dem Näherrücken der Einführung des EPDs in den Spitälern, und damit einhergehend der breiteren Auseinandersetzung in der Bevölkerung, scheint sich auch die Spreu vom Weizen zu trennen, wenn es um die Beurteilung zusätzlicher Funktionen für das EPD geht. Ganz klar gewünscht wird (weiterhin) die Anmeldung beim Hausarzt oder Spezialisten.

Ebenfalls begrüsst wird die Möglichkeit, Gesundheitsinformationen abzulegen, eine Erinnerungsfunktion für die Medikamenteneinnahme sowie (deutlich häufiger noch als 2019) eine Vorlage für ein Krankheitstagebuch. Eine Auswahl von Gesundheitsapps, die Beratung durch Konsumenten oder Patientenorganisationen oder auch ein Patientenforum sind hingegen nicht gewünscht.

Erste Leseweise

Reality Check zur digitalen Zukunft

Die Zukunft ist digital, daran führt nichts vorbei. Dieser Meinung sind auch die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz. Die Nachrichten sind voll von Beiträgen zu selbstfahrenden Fahrzeugen, Gesichtserkennung oder auch Robotern, die bei der Pflege unterstützen. In Zeiten, in denen tagtäglich in den Medien über die Möglichkeiten von Daten berichtet wird, zeigt sich das ganze Ausmass dieser neuen, digitalen Welt erst richtig – und mit dem Verständnis über die Macht der Daten geht auch ein gewisses Gefühl der Ohnmacht einher. In Zeiten einer zunehmenden Unsicherheit der Bevölkerung gegenüber den eigenen Qualifikationen im Umgang mit Daten braucht es Gesundheitsfachpersonen und Behörden als vermittelnde und erklärende Instanzen, die beim Gang durch den Datendschungel beratend und beschützend den Weg ebnen.

Sinkendes Interesse birgt neue Herausforderung an Kommunikation

Der Medienwandel weg von linearen Nachrichten hin zu einer stärkeren „on-demand“-Logik und stark selektionierten Inhalten (Stichwort Filterblase und Echokammer) manifestiert sich in einem sinkenden Interesse an Politik, Gesellschaft und eben auch am Gesundheitswesen. Diese Entwicklung hat Implikationen darauf, wie mit der Bevölkerung kommuniziert werden kann. Gerade vor dem Hintergrund der Einführung des EPD ist es zentral, dass der Dialog mit der Bevölkerung effektiv geführt wird.

Mehrheit würde EPD eröffnen und verwenden

Das elektronische Patientendossier steckt in der kritischen Phase seiner Einführung. Eine Mehrheit der Bevölkerung unterstützt dieses Bestreben nach wie vor und kann sich auch die eigene Verwendung eines solchen EPD vorstellen. Die aktuelle Herausforderung bei der Einführung, wie auch der Umstand, dass erst wenige Leute selber persönliche Erfahrungen mit dem Angebot des EPD gemacht haben, führen zu einer erhöhten Unsicherheit. Damit diese Unsicherheit temporär bleibt und nicht über eine längere Dauer ein Hindernis für das EPD wird, muss die Bevölkerung rasch erste eigene Erfahrungen mit dem EPD machen und der Dialog mit der Bevölkerung muss gesucht werden, um so einer Vorteilssicht mehr Aufwind zu verschaffen.

Herausforderung Generationen-Gap

Während die jüngeren Einwohnerinnen und Einwohner als sogenannte Digital Natives im Umgang mit Daten und digitalen Tools kompetent sind, interessieren sie sich immer weniger für Gesundheitsfragen. Dagegen sind es die älteren Leute, die das Gesundheitswesen zwar interessiert, gegenüber elektronischen Lösungen jedoch skeptischer sind. Es ist die Herausforderung nun Wege und Mittel zu finden, die den Wert des EPD generationenübergreifend vermitteln.

Methodische Details

Auftraggeber: InfoSocietyDays

Grundgesamtheit: Wohnbevölkerung der Schweiz (bis 2017 Stimmberechtigte)

Befragungsgebiet: ganze Schweiz

Herkunft der Adressen: Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt)

Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI)

Art der Stichprobenziehung: at random

Befragungszeitraum: 3. bis 15. Januar 2020 (mittlerer Befragungstag: 7. Januar 2020)

Stichprobengrösse: minimal 1200, effektiv 1207 (nDCH: 700, nFCH: 307, nICH: 200)

Fehlerbereich: ± 2.9 Prozentpunkte bei 50/50 (und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit)

Quotenmerkmale: Alter/Geschlecht interlocked

Gewichtung nach: Sprache, Geschlecht

Befragungsdauer: Mittelwert 20.4 Minuten (+/-4.9 Minuten)