Helvetischer Alleingang oder europäische Allianz

Umwelt ist neu Top Sorge

im Auftrag der Credit Suisse

Das Credit Suisse Sorgenbarometer ist eine jährlich angelegte Studie zur Erfassung und Beobachtung der Meinung von Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. In seiner ursprünglichen Form existiert das Sorgenbarometer bereits seit 46 Jahren und wird seit 1995 durch gfs.bern erhoben.

Dank den Möglichkeiten der direkten Demokratie sind die Bürgerinnen und Bürger, gemeinsam mit den drei Ebenen des Staates (Bundesstaat, Kantone und Gemeinden), in der Lage, verschiedene Bereiche dieser Nation direkt und unmittelbar mit zu gestalten und zu verändern. Das Credit Suisse Sorgenbarometer zeichnet auf, welche politischen Fragen und Themenbereiche den Stimmberechtigten besonders grosse Sorgen bereiten und welche als weniger dringlich einschätzt werden. Erfasst wird zudem auch die Wahrnehmung des wirtschaftlichen und politischen Umfelds, sowie die Beurteilung der gesellschaftlichen und politischen Institutionen.

Die Schweiz ist eine heterogene Willensnation und keine Einheitsnation, die durch eine gemeinsame, homogene Kultur gebildet wird. Der Wille zur Gemeinsamkeit und zur gemeinsamen Identität ist für den Fortbestand der Nation unentbehrlich. Darum werden im Rahmen des Credit Suisse Sorgenbarometers auch Fragen zur Identität der Schweizerinnen und Schweizer erhoben. Somit stellt das Sorgenbarometer ein umfassendes und langjähriges demoskopisches Informationssystem zur Erfassung des gesellschaftlichen und politischen Pulses der Schweizer Bevölkerung dar.

Details zu den Methoden finden sich am Schluss des Cockpits in der Infobox.

Sorgenwahrnehmung 2022

Die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer im Jahr 2022 ist mit 39 Prozent der Umweltschutz / Klimawandel. Damit stehen Umweltanliegen zum ersten Mal seit der allerersten Ausgabe des Sorgenbarometers im Jahr 1976 an der Spitze der Sorgenlandschaft der Stimmberechtigten des Landes.[1] An zweiter Stelle steht die Altersvorsorge, die mit 37 Prozent fast ebenso häufig zu den fünf grössten Problemen des Landes gezählt wurde.

Mit deutlichem Abstand zu den beiden Top-Themen folgen die Bereiche Energieversorgung und Europa/EU (je 25%) sowie die Inflation und Gesundheitsfragen/Krankenkassen (je 24%). Die Versorgungssicherheit der Schweiz (Energie, Medikamente, Nahrungsmittel) beschäftigt 21 Prozent und der Krieg gegen die Ukraine 20 Prozent der Stimmberechtigten.

Während es bei der Sorge „Versorgungssicherheit“ primär um die Sicherstellung der Versorgung in unsicheren Zeiten und im Winter geht, dürfte die Sorge rund um Energiefragen (Platz 3) die Energiezukunft generell betreffen – also die Frage, wie die Energiestrategie der Schweiz in den kommenden Jahren aussieht und wo Kompromisse im Bereich Umwelt, Landschaftsschutz oder auch bei Technologien wie der Kernkraft dafür in Kauf genommen werden müssen.

[1] vgl. Sorgenliste über die Jahre im Anhang des Berichts, Sorgenbarometers seit 1995 durch gfs.bern erhoben; Datenbasis vorhanden bis 1988.

Die letzten beide Plätze in den Top 10 der grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer belegen Themen im Bereich der Migration: Zum einen die Sorge um Zuwanderung und die Personenfreizügigkeit, wobei in der Tendenz eher die Zuwanderung von Fachkräften und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftssystem gemeint sind (19%). Zum anderen sorgen sich 16 Prozent um den Zustrom von geflüchteten Menschen in der Schweiz und um Fragen des Asylwesens. Dass die Stimmberechtigten bei Migrationsfragen durchaus differenzieren, zeigt sich daran, dass sich die beiden Sorgenentwicklungen effektiv an realpolitischen Entwicklungen orientieren. So korreliert der Sorgentrend im Bereich Flüchtlinge/Asyl mit der Anzahl eingereichter Asylgesuche und der Trend im Bereich Zuwanderung mit der Anzahl gemeldeter Einwanderungen (siehe Grafiken im Anhang 9.2) Lediglich rund 4 Prozent der Befragten haben sowohl den Themenbereich Flüchtlinge/Asyl als auch Ausländerinnen und Ausländer und Personenfreizügigkeit genannt, während 31 Prozent der Stimmberechtigten entweder das eine oder das andere genannt haben.

Die Corona-Pandemie, die Top-Sorge der letzten Jahre, ist 2022 eindeutig in den Hintergrund gerückt. Dies deckt sich auch mit den diesjährigen Jugendbarometer-Resultaten für die Schweiz. Die Arbeitslosigkeit fällt ausserdem zum ersten Mal seit Beginn des Sorgenbarometers im Jahr 1976 aus der Top 10 der grössten Sorgen des Landes.

Der Umweltschutz bleib in der Sorgenwahrnehmung der Bevölkerung im Vergleich zu 2021 praktisch unverändert. Dass das Thema neu die grösste Sorge der Stimmberechtigten ist, hat demnach mehr damit zu tun, dass die Sorge um die AHV leicht rückläufig ist im Vergleich zum Vorjahr. Zwar ist auch die Sorge um die Beziehungen zu Europa deutlich zurückgegangen im Vergleich zu den letzten drei Jahren. Der Wert 2022 bleibt aber – abgesehen von den Werten 2019, 2020 und 2021 – der höchste seit 2001.

Stark angestiegen sind die Sorgen um Energiefragen und die Teuerung/Inflation. Die Problemwahrnehmung im Bereich der Energiefragen erreicht einen neuen Höchstwert seit Messbeginn dieses Themas im Jahr 1995, und bei der Inflation ist es der zweithöchste gemessene Wert. Lediglich im Jahr der globalen Finanzkrise 2008 gaben noch mehr Leute an, sich um die Teuerung Sorgen zu machen.

Die Befragung für das Sorgenbarometer fand im Juli und August 2022 statt. Die dieses Jahr hoch ausfallenden Prämienanstiege sind demnach in der Problemwahrnehmung im Bereich Gesundheit/Krankenkassen so noch nicht abgebildet. Im Vergleich zu 2021 ist denn auch ein leichter Rückgang in der Problempriorität der Stimmberechtigten in dieser Frage zu erkennen.

Das Thema der Versorgungssicherheit wie auch des Krieges in der Ukraine wurden 2022 aus aktuellem Anlass zum ersten Mal befragt.

Die Sorgen im Bereich Migration (Flüchtlinge/Asylfragen sowie Ausländerinnen und Ausländer/ Personenfreizügigkeit/Zuwanderung) nehmen im Vergleich zu 2021 ab. In beiden Fällen ist der 2022 gemessene Wert so tief wie noch nie seit der Ergänzung der entsprechenden Sorge in der Befragung im Jahr 1995.

Die zehn grössten Veränderungen in der Sorgenliste seit dem letzten Jahr haben fast alle einen unmittelbaren Bezug zu den aktuellen Krisen. Zum einen wurden der Krieg gegen die Ukraine, der Verlust der Neutralität, die Versorgungssicherheit sowie das Thema einer neuen Weltordnung neu in die Sorgenliste aufgenommen und werden von mindestens zehn Prozent der Stimmberechtigten zu den fünf grössten Sorgen des Landes gezählt. Zum anderen haben aber auch Energiefragen (+ 11 Prozentpunkte), die Inflation (+17 Prozentpunkte) oder der Benzin- und Erdölpreis (+ 8 Prozentpunkte) als Sorgen an Wichtigkeit gewonnen.

Dass die neue Sicherheitskrise in Folge des Krieges die Gesundheitskrise der Corona-Jahre eindeutig abgelöst hat, zeigt auch die deutliche Abnahme der Sorge rund um die Pandemie (-27 Prozentpunkte). Die Bevölkerung der Schweiz spiegelt in der Europa-Frage die Politik von Meinungsführerinnen und Meinungsführern des Landes:

Das Thema hat 2022 weniger Priorität als in den letzten Jahren. Ebenfalls zu den zehn grössten Veränderungen – verglichen mit letztem Jahr – zählt der Rückgang in der Problemwahrnehmung im Bereich der Gleichstellung von Mann und Frau.

Die Sorgenwahrnehmung der Schweizerinnen und Schweizer im Jahr 2022 bildet somit sowohl die grössten strukturellen Herausforderungen unserer Zeit wie auch die unmittelbaren Krisen der Gegenwart ab. Eindeutig ist für die Themenauslegeordnung im Jahr 2022, dass Sicherheitsthemen in den Vordergrund rücken und materielle Themen – wie die Versorgungssicherheit oder auch die Teuerung – bei der Bevölkerung eine grosse Rolle spielen. Sogenannte postmatierelle Themen wie die Gleichstellung rücken dagegen angesichts der aktuellen Unsicherheiten etwas in den Hintergrund.

Vertrauen in Akteure und Institutionen

Seit 2019 ist in der Schweiz das Vertrauen in Institutionen im Bereich Politik, Behörden und in der Zivilgesellschaft weitgehend stabil. Im Vergleich zu 2021 hat sich das durchschnittliche Vertrauen sogar praktisch überall wieder etwas erhöht. Angesichts der grossen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Corona-Krise und dem Krieg gegen die Ukraine scheinen die Schweizerinnen und Schweizer eine gewisse Sicherheit in Bewährtem zu suchen.

Die Polizei bleibt der Akteur mit dem grössten durchschnittlichen Vertrauen, gefolgt vom Bundesgericht und dem Bundesrat, der in den letzten drei Jahren – zuweilen zugeschriebene Führungsschwäche hin oder her – konstant hohe Werte erzielt und deutlich mehr Vertrauen geniesst als die Legislative (Ständerat/Nationalrat), die staatliche Verwaltung oder die politischen Parteien. Letztere konnten seit 2019 aber eher an Vertrauen dazugewinnen. Deutlich zugelegt hat im Vergleich zum letzten Jahr auch das Vertrauen in die Schweizerische Nationalbank (SNB). Auf tiefem Niveau gewinnt seit 2019 auch die EU wieder stärker an Vertrauen. Die Werte liegen jedoch weiterhin deutlich unter jenen zwischen 2013 und 2017.

Wie bei der Politik nimmt auch das Vertrauen in die Wirtschaft im Vergleich zum letzten Jahr zu. Bei den Arbeitgeberorganisationen ist ein kontinuierlicher Anstieg seit 2020 zu verzeichnen. Dieser erfolgt allerdings von einem Tiefstpunkt im Jahr 2019 aus und kann aktuell noch nicht an das ehemals deutlich höhere Vertrauensniveau anschliessen.

Dasselbe gilt für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen: Hier war der Einbruch nicht ganz so deutlich. Seit 2019 bleiben die Werte dafür relativ konstant. Bei den Banken ist im Vergleich zu 2021 ein deutlicher Anstieg im Vertrauen zu verzeichnen. Allerdings bleibt man auch hier unter den Werten bis 2018 zurück.

Das höchste Vertrauen unter den abgefragten Akteuren im Bereich der Medien geniesst seit 2018 das Radio. Das Vertrauen in bezahlte Zeitungen und das Fernsehen ist allerdings fast gleich hoch – insbesondere, da bei diesen beiden Akteuren im Vergleich zu 2021 ein leichter Anstieg im Durchschnittswert zu beobachten ist. Die redaktionellen Medien (abgesehen von Gratiszeitungen) heben sich somit bezüglich des geäusserten Vertrauens deutlich von Plattformen ab, deren Inhalt nicht nach journalistischen Standards geprüft und aufbereitet wird.

Obwohl das Vertrauen in Gratiszeitungen im Vergleich zu 2021 deutlich zugenommen hat, bleibt diese Medienform in der Vertrauenswahrnehmung eher mit dem Vertrauen in Social Media Plattformen und dem Internet generell vergleichbar, als mit Radio, Fernsehen, oder bezahlten Zeitungen.

Die Schweiz und Europa

Der Eindruck, dass der Krieg gegen die Ukraine für das Zusammenrücken Europas wichtiger sein dürfte als die Corona-Pandemie, bestätigt die untenstehende Grafik. Im gleichen Zeitraum (Jahr 2022) gaben 30 Prozent an, Europa sei in der Corona-Krise zusammengerückt, verglichen mit 52 Prozent während des Krieges in der Ukraine.

 

 

Die Schweizerinnen und Schweizer möchten geregelte Beziehungen mit der EU. 2022 ist eine klare Mehrheit von 76 Prozent dieser Meinung, wobei dieser Anteil seit 2019 weitgehend stabil bleibt. Keinen Wert auf Stabilität im Austausch mit der EU legen lediglich 18 Prozent.

Am grössten ist die Unterstützung der Schweizerinnen und Schweizer für die erneute Verhandlung eines Rahmenabkommens oder die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge. Diese Tatsache hat sich im Vergleich zu 2021 nicht verändert und nimmt in der Prioritätenliste eine Platzierung vor allen anderen möglichen Alternativen ein. Der Unterschied in der Unterstützung für dieses Vorgehen gegenüber den restlichen Möglichkeiten hat sich seit dem letzten Jahr nochmals akzentuiert. Die Erhaltung der Bilateralen im jetzigen Zustand oder auch ein EWR-Beitritt finden dagegen weniger Unterstützung als noch im letzten Jahr, bleiben jedoch die nächstbesten Optionen in den Augen der Stimmberechtigten.

Das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU ganz zu kündigen, folgt auf Rang fünf bei den möglichen Präferenzen und liegt somit noch etwas vor der Kündigung der Bilateralen in ihrer Gesamtheit. Gar keine besonderen Beziehungen zur EU zu haben, ist in den Augen der Stimmberechtigten aber auch keine wirkliche Option (Rang sieben von acht abgefragten Optionen), wird aber dennoch einem vollen EU-Beitritt weiterhin vorgezogen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Eine Weiterentwicklung der Verträge mit der EU ist gewünscht und wird dem Status quo oder sogar einem Rückbau der Beziehungen zur EU deutlich vorgezogen.

Nach dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen ist nun in der Wahrnehmung der Schweizerinnen und Schweizer in erster Linie der Bundesrat in der Verantwortung, eine neue Lösung herbeizuführen (40%) gefolgt von den Schweizer Delegierten am Verhandlungstisch in Brüssel (21%).

Die EU selbst sehen dagegen lediglich 14 Prozent im Lead für ein substanzielles Weiterkommen. Noch weniger in der Verantwortung werden die Parteien (12%), Gewerkschaften (3%) oder auch Unternehmensverbände wie die economiesuisse (3%) gesehen.

Schweiz und Welthandel

Die Zukunft der Beziehungen zur EU ist alles andere als geregelt – mit unbekannten Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Schweiz. Sollte sich der Marktzugang zur EU für die Schweizer Wirtschaft verschlechtern, ist 2022 eine Mehrheit von 54 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Meinung, dass sich das über intensivere Handelsbeziehungen mit Drittstaaten kompensieren liesse.

Dieses Jahr nimmt die Unterstützung dieser Ansicht in der Stimmbevölkerung zudem zum ersten Mal seit 2018 wieder zu. Ein Blick in die Zahlen zum Aussenhandel der Schweiz zeigt derweil auf, wie schwierig dieses Unterfangen in der Realität sein dürfte: Über die Hälfte des gesamten Warenhandelsvolumen der Schweiz mit Partnern im Ausland geht in die EU (gemäss EDA waren es 2021 rund 58%).[1] Einen kompletten Ersatz dafür zu finden, dürfte schwierig sein.

[1] Schweiz-EU in Zahlen: Statistiken zu Handel, Bevölkerung und Verkehr, Oktober 2022, EDA.

Trotz der grundsätzlich relativ breit vorhandenen Zuversicht hinsichtlich der verschiedenen Optionen der Schweiz im Bereich des weltweiten Handels: Ein Alleingang der Eidgenossenschaft scheint in den letzten Jahren immer weniger Schweizerinnen und Schweizern die beste Strategie im globalen Geschehen zu sein.

Angesichts der grossen geopolitischen Unsicherheiten erscheint eine Annäherung an die EU plötzlich als die vielversprechendere Strategie. Zum ersten Mal seit vier Jahren geben mehr Schweizerinnen und Schweizer an, dass sie sich eine stärkere Anlehnung an die Positionen der EU wünschen, als dass sie eine eigenständige Nischenpolitik verfolgt sehen möchten.

Synthese

Sorgenlandschaft 2022: Zwischen Stabilität und aktualitätsgetriebenen Neuzugängen

Die Sorgenlandschaft der Schweizerinnen und Schweizer 2022 ist geprägt durch eine Mischung aus Langzeitsorgen und aktualitätsgetriebenen Veränderungen. Themen wie die Umwelt – die neue Top-Sorge – die Altersvorsorge, die Kosten des Gesundheitswesens, die EU oder auch Migrationsthemen sind in der Sorgenrangliste seit Jahren hoch angesiedelt und bleiben es auch dieses Jahr. Diese Themen sind tief im politischen Kompass der Schweizerinnen und Schweizer verankert und dürften die politischen Prioritäten über Jahre strukturieren. Diese „klassischen“ Sorgen werden aber im Angesicht der Krise in Verbindung mit dem Krieg in der Ukraine durch aktualitätsgetriebene Sorgen ergänzt. Die Corona-Pandemie ist allerdings so rasch wieder aus der Problemwahrnehmung der Bevölkerung verschwunden, wie sie vor drei Jahren aufgetaucht ist. Stattdessen ist die Sorgenlandschaft 2022 geprägt durch das Aufkommen neuer Unsicherheitsthemen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Dazu gehören Energiefragen, die Versorgungssicherheit oder auch die Teuerung. In diesen Fragen scheint in der Bevölkerung eine gewisse Spannung vorhanden zu sein: Zwar ist die Situation aktuell weiterhin für die meisten tragbar, aber das Bewusstsein für diese Themen ist klar vorhanden und steigt an. Es fällt insgesamt auf, dass sogenannt materialistische Themen, wie beispielsweise die Sicherheit, 2022 höher priorisiert werden, während postmaterielle Themen, wie die Gleichstellung der Geschlechter, aktuell eher in den Hingergrund rücken.

Helvetische Wagenburg oder europäische Allianz?

Nach der Corona-Pandemie folgt mit dem Krieg in der Ukraine die nächste grosse Krise. Während die Schweiz in der Vergangenheit eine grosse Resilienz angesichts der gestiegenen Unsicherheit und Instabilität gezeigt hat, scheint der Krieg nochmals mehr in Bewegung gebracht zu haben, als dies bei der Corona-Pandemie der Fall war. Zwar ist in der Europa-Frage nach wie vor keine klare Strategie erkennbar, einem Alleingang der Schweiz wird aber zunehmend eine Absage erteilt. Viel eher soll Sicherheit in einer Annäherung an die EU gesucht werden. Am liebsten wäre den Schweizerinnen und Schweizern die Verhandlung eines neuen Rahmenabkommens. In den Augen der Stimmberechtigten liegt der Ball für die nächsten Schritte in den Verhandlungen mit der EU dabei klar beim Bundesrat und seinen Diplomatinnen und Diplomaten, und nicht in Brüssel. Die Stimmbevölkerung möchte von der Politik insgesamt gerne eine offensivere Herangehensweise sehen und ist relativ zuversichtlich, was das Image der Schweiz im Ausland angeht. Die Krisen der letzten Jahre haben Europa aber in der Wahrnehmung der Befragten in der Tendenz eher geeint als auseinandergetrieben, was die Aufgabe der Schweizer Diplomatie insofern erschweren könnte, als dass sie einem gestärkten Verhandlungspartner gegenübertritt.

Keine Experimente in der Krise

Das Vertrauen in die Institutionen der Politik, Wirtschaft und Medien im letzten Jahr ist stabil und nimmt sogar eher wieder leicht zu. Angesichts der grossen Unsicherheiten der heutigen Zeit, scheinen die Schweizerinnen und Schweizer eine gewisse Sicherheit in Bewährtem zu suchen. In unsicheren Zeiten wünschen die Schweizerinnen und Schweizer keine Experimente. Eine breitere Verankerung von Regierungs- oder Institutionenmisstrauen, wie es zuweilen während der Pandemie von einzelnen Protestbewegungen suggeriert wurde, ist in den Daten des Sorgenbarometers nicht erkennbar.

Sorge um Wirtschaft und Lebensstandard – aber nicht um Arbeitslosigkeit

Die Stimmbevölkerung der Schweiz blickt mit deutlich weniger Optimismus in die (wirtschaftliche) Zukunft, als dies früher der Fall war. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Angst, den eigenen Job zu verlieren. Im Gegenteil: die Arbeitslosigkeit fällt erstmals seit Beginn der Befragung im Jahr 1988 aus der Top-10 der grössten Sorgen. Vielmehr geht es um die Unsicherheit, ob und wie die Versorgung des Landes und der Erhalt des bisher gewohnten Lebensstandards unter den aktuellen Voraussetzungen gewährleistet werden kann.

Methodische Details

Um der aktuellen wirtschaftlichen Situation und dem internationalen Umfeld, in dem sich die Schweiz befindet, besser Rechnung tragen zu können, wird der Fragebogen des Sorgenbarometers jährlich neu evaluiert und moderat auf die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse angepasst. Das gilt insbesondere für die wahrgenommenen Problemfelder.

2019 wurden zudem neue Items rund um die Beziehung zu Europa, sowie zur Freiwilligenarbeit und mögliche Lösungsansätze für aktuelle politische Probleme integriert.

Für das Sorgenbarometer wurden insgesamt 1’774 Stimmberechtigte aus der ganzen Schweiz in einem Mixed-Mode-Verfahren befragt. Die Daten der verschiedenen Methoden wurden einzeln auf Methodeneffekte hin geprüft, danach erfolgte eine systematische Gewichtung, um die Repräsentativität sicher zu stellen. Die Interviews wurden im Juli und August 2022 durchgeführt. Über die genauen Eckwerte dieser Umfrage orientiert die nachstehende Übersicht.

 

  • Auftraggeber: Credit Suisse
  • Grundgesamtheit: Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz
  • Herkunft der Adressen:  Politisches Gemeindeverzeichnis der Schweiz, gfs.bern Panel, opt-in Online
  • Datenerhebung:
    • Face to Face (n=300)
    • gfs.bern-Panel (n=857)
    • Online opt-in (n=617)
  • Stichprobengrösse: Total Befragte N =1774
    • n DCH = 1246
    • n FCH= 411
    • n ICH = 117
  • Art der Stichprobenziehung:
    • Face to Face: Zufallsauswahl der Orte, Quotenauswahl der Befragten Sprachregion (Alter/Geschlecht interlocked)
    • gfs.bern Panel: Einladung über das gfs.bern Panel
    • Online opt-in: online Rekrutierung über Social Media, freier Zugang zur Befragung
  • Gewichtung: Nach Geschlecht/Alter interlocked, Sprachregion und Methode
  • Stichprobenfehler: ±2.3 Prozent bei 50/50 und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit
  • Befragungszeitraum: Juli bis August 2022
  • Publikation: November 2022