Aufgabe nicht Erfüllt?

Reformstau, Führungslosigkeit und Erwartung einer Wirtschaftskrise hinterlassen Spuren

im Auftrag der Credit Suisse

Das Credit Suisse Sorgenbarometer ist eine jährlich angelegte Studie zur Erfassung und Beobachtung der Meinung von Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. In seiner ursprünglichen Form existiert das Sorgenbarometer bereits seit 43 Jahren und wird seit 1995 durch gfs.bern erhoben.

Dank den Möglichkeiten der direkten Demokratie sind die Bürgerinnen und Bürger, gemeinsam mit den drei Ebenen des Staates (Bundesstaat, Kantone und Gemeinden), in der Lage, verschiedene Bereiche dieser Nation direkt und unmittelbar mit zu gestalten und zu verändern. Das Credit Suisse Sorgenbarometer zeichnet auf, welche politischen Fragen und Themenbereiche den Stimmberechtigten besonders grosse Sorgen bereiten und welche als weniger dringlich einschätzt werden. Erfasst wird zudem auch die Wahrnehmung des wirtschaftlichen und politischen Umfelds, sowie die Beurteilung der gesellschaftlichen und politischen Institutionen.

Die Schweiz ist eine heterogene Willensnation und keine Einheitsnation, die durch eine gemeinsame, homogene Kultur gebildet wird. Der Wille zur Gemeinsamkeit und zur gemeinsamen Identität ist für den Fortbestand der Nation unentbehrlich. Darum werden im Rahmen des Credit Suisse Sorgenbarometers auch Fragen zur Identität der Schweizerinnen und Schweizer erhoben. Somit stellt das Sorgenbarometer ein umfassendes und langjähriges demoskopisches Informationssystem zur Erfassung des gesellschaftlichen und politischen Pulses der Schweizer Bevölkerung dar.

Details zu den Methoden finden sich am Schluss des Cockpits in der Infobox.

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Sorgenwahrnehmung 2019

Die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer ist die Zukunft der AHV. Mit 47 Prozent nennt rund die Hälfte der Stimmberechtigten die Altersvorsorge als eines der fünf grössten Probleme der Schweiz. An zweiter Stelle steht das Gesundheitswesen, respektive die steigenden Prämien. Im Vergleich zum letzten Jahr bewegen sich die Veränderungen bei beiden Sorgen im Stichprobenfehler. Die Problemwahrnehmung ist also konstant.

Abgenommen hat stattdessen der Problemdruck im Zusammenhang mit Ausländerinnen und Ausländern. Ähnlich wie auch der Themenbereich Flüchtlinge/Asyl (Platz 9) findet dieses Thema bei der Bevölkerung deutlich weniger als beispielsweise im Vorfeld der letzten nationalen Wahlen 2015 statt.

Seit 2015 kontinuierlich grösser wird die Sorge der Schweizerinnen und Schweitzer rund um den Klimawandel und den Umweltschutz. 29 Prozent der Stimmberechtigten sehen dies als eines der fünf grössten Probleme.

Das entspricht einer Zunahme von 6 Prozentpunkten und somit dem zweitgrössten Anstieg aller Probleme. Einzig der Problemdruck rund um die persönliche Sicherheit (von 12 auf 23 %, Platz 6) ist im letzten Jahr noch stärker gestiegen. Die Sorge um die Arbeitslosigkeit steigt dagegen lediglich um 4 Prozentpunkte – trotz getrübter Aussichten auf Wirtschaftswachstum und internationaler Debatten rund um Handelskonflikte.

Die Sorge um die Umwelt und die persönliche Sicherheit steigt im Vergleich zu 2018 am stärksten an

Vertrauen in das politische System der Schweiz

Vertrauensverlust in das politische System der Schweiz

Das Vertrauen in die Akteure von Politik, Wirtschaft und Medien hat im letzten Jahr gelitten. Besonders drastisch ist der Verlust bei den Kirchen, der EU, Arbeitgeber- und Arbeitnehmern wie auch bei den politischen Parteien.

Diese Ergebnisse sind nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund anstehender politischer Reformprojekte wie der Sicherung der Altersvorsorge oder der Ausgestaltung der Beziehungen zur EU zu sehen. In den Augen der Stimmberechtigten haben relevante Akteure ihre Aufgaben offensichtlich nicht genügend gut erledigt.

 

Auch das Mediensystem büsst an Vertrauen ein. Die Fake News Thematik dürfte ihre Spuren hinterlassen. Genauso wie auch die Digitalisierung und der daraus resultierende Medienwandel die Stellung der klassischen, linearen Medien schwächen. Besonders deutlich fällt der Vertrauensverlust bei den Gratiszeitungen aus, die immerhin mit zu den auflagestärksten Zeitungen des Langes zählen.

Die Polizei ist von allen 20 abgefragten Akteuren der einzige, der ganz leicht an Vertrauen dazu gewinnen konnte im letzten Jahr. Dieser Umstand passt zur gestiegenen Problemwahrnehmung im Bereich Sicherheit.

 

 

 

 

Lösungsvorschläge Reformstau

Das Volk wünscht sich offensichtlich eine stärkere Führung durch den Bundesrat. 83 Prozent der Stimmberechtigten sind dieser Meinung. Ebenfalls ist klar, dass das Parlament sich wieder verstärkt um Lösungsvorschläge bemühen muss. Obwohl man der Meinung ist, die Politik würde global im Bereich der Klimapolitik versagen, wünscht sich eine Mehrheit, die Schweizer Politik würde seine Vorreiterrolle einnehmen.

 

 

Vollumfassend pessimistisch ist die Bevölkerung jedoch nicht. Für die Aussage, dass die Klimapolitik ein Beispiel dafür sei, dass die Schweizer Politik zu keinen Lösungen mehr fähig sei, findet sich keine Mehrheit.

Die Schweiz im internationalen Umfeld

Eine Mehrheit der Stimmberechtigten in der Schweiz findet stabile Beziehungen zur EU nach wie vor sehr oder eher wichtig. Im Vergleich zum letzten Befragungsjahr nimmt jedoch der Anteil jener, die gegenteiliger Meinung sind zu. Zunehmend ist auch die Gruppe innerhalb der Bevölkerung, die keine Meinung zu dieser Frage haben. Es ist gut möglich, dass die wenig wahrgenommene Führungsrolle der Politik die Stimmberechtigten zunehmend orientierungslos zurücklässt.

Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung wünscht sich nicht nur eine Stabilisierung des Status Quo, sondern eine Weiterentwicklung in der Zusammenarbeit mit der EU. Lediglich 15 Prozent finden dagegen eine Abkehr der Schweiz von Europa in Form einer Reduktion der Zusammenarbeit den richtigen Weg in die Zukunft.

Synthese

Eine Sorge für jede Ebene: Schweiz, Europa, Welt

Innenpolitisch beschäftigt die Befragten die Sorge um die AHV/Altersvorsorge, in der Ausgestaltung der Beziehung mit Europa herrscht Unsicherheit und auf globaler Ebene beschäftigt die Um-welt- respektive Klimafrage. Die Priorisierung der Sorgen in der Bevölkerung passt somit zu den grossen politischen Reformbaustellen dieser Zeit. Dass das Vertrauen in die politischen Parteien zugleich einen neuen Tiefststand erreicht, zeigt, wie gross die anstehenden Herausforderungen und der Problemdruck in den Augen der Bevölkerung sind.

Brennpunkt Klimaerwärmung

Im Sorgenbarometer zeichnet sich seit 2017 ein steigendes Problembewusstsein in der Klimafrage ab. Dieses Jahr wurde der höchste Wert seit 1995 gemessen. Aufschlussreich ist in dieser Frage insbesondere der Vergleich mit 2011 – wie 2019 ein eidgenössisches Wahljahr und zudem das Jahr der Katastrophe in Fukushima. Auch damals wurde vermehrt über Umweltfragen diskutiert und der Grundstein für die Energiezukunft der Schweiz ohne Atomstrom gelegt. Eine nachhaltige Änderung in den Prioritäten der Stimmberechtigten hin zu verstärktem Umweltbewusstsein war damals jedoch nicht zu verzeichnen und auch im Sorgenbarometer schlug die Problemwahrnehmung zu Umwelt und Klima nicht aus. Das ist dieses Jahr eindeutig anders.

Problemdefinition persönliche Sicherheit gefragt

Die Sorge um die persönliche Sicherheit nimmt im Vergleich zum letzten Jahr so stark zu wie kein anderes Problem (+11 Prozent-punkte). Bei verwandten Problemfeldern wie Terrorismus und Extremismus, religiösem Fundamentalismus oder auch bei der Sicherheit im Internet lässt sich eine ähnliche Dynamik allerdings nicht beobachten. Auch das Narrativ einer «Sicherheitsbedrohung von aus-sen» funktioniert nicht, angesichts der Tatsache, dass die Problemwahrnehmung rund um die Thematik Flüchtlinge/Asyl dieses Jahr so stark wie sonst kein anderes Problem abnimmt (-11 Prozentpunkte). Die Frage nach dem Kern dieser neuen Unsicherheit bleibt somit noch zu klären. Der Umstand, dass die Polizei als einziger Akteur moderat an Vertrauen dazugewinnen kann, passt zur gestiegenen Problemwahrnehmung im Bereich Sicherheit.

Zunehmende Erwartung einer Rezession?

In der Regel sorgen sich die Schweizerinnen und Schweizer stark um drohende Arbeitslosigkeit. Nach dem deutlichen Einbruch der Problemwahrnehmung in diesem Bereich im letzten Jahr, nimmt der Anteil Stimmberechtigter, der dieses Thema als eines der fünf wichtigsten nannte, dieses Jahr wieder etwas zu (+4 Prozentpunkte). Eben-falls zugenommen hat die Sorge um die Wirtschaftslage in der Schweiz generell (+5 Prozentpunkte), während das Vertrauen in die Akteure der Wirtschaft eher abnimmt im Vergleich zum letzten Jahr. Die Schweiz navigierte erfolgreich durch die grössten ökonomischen Turbulenzen der letzten Jahre. Die zunehmenden Warnungen einer sich abschwächenden Konjunktur in Europa, politische Unsicherheiten wie die Auswirkungen des anstehenden Brexits oder die Zuspitzung von Handelskonflikten zwischen Grossmächten wie den USA und China bleiben jedoch nicht ohne Folgen. Die Erwartung einer Rezession nimmt zu.

Aufgabe nicht erfüllt? Vertrauensverluste als Folge

Das Sorgenbarometer 2018 zeigte, dass das Volk Lösungen für die bestehenden politischen Grossbaustellen erwartet. 2019 wird klar, dass die Politik diese Aufgabe in den Augen des Volkes nicht erfüllt hat. Das Vertrauen in praktisch alle relevanten Akteure des politischen Systems der Schweiz nimmt im Vergleich zum letzten Jahr ab – teilweise drastisch. Die sinkende Fähigkeit der Politik, tragfähige Lösungen zu schmieden, wird als die grösste Gefahr für die Schweizer Identität gesehen – noch vor Problemen mit der EU oder der Einwanderung. In den Augen der Bevölkerung ist die Ansage klar: Der Bundesrat muss seine Führungsrolle wieder besser wahrnehmen und das Parlament muss wieder mehr Kompromisse suchen.

Migration bleibt wichtige Sorge

In vergangenen Ausgaben des Sorgenbarometers wurde aufgezeigt, dass die Sorgenwahrnehmung rund um Migration und Asylwesen durchaus mit der Anzahl gestellter Asylgesuche in der Schweiz korrelierte. Passend dazu nahm der Problemdruck während des Jahres in beiden Bereichen ab. Für einen relevanten Anteil der Bevölkerung bleiben diese Themen aber dringlich.

Methodische Details

Um der aktuellen wirtschaftlichen Situation und dem internationalen Umfeld, in dem sich die Schweiz befindet, besser Rechnung tragen zu können, wird der Fragebogen des Sorgenbarometers jährlich neu evaluiert und moderat auf die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse angepasst. Das gilt insbesondere für die wahrgenommenen Problemfelder.

2019 wurden zudem neue Items rund um die Beziehung zu Europa, sowie zur Freiwilligenarbeit und mögliche Lösungsansätze für aktuelle politische Probleme integriert.

Für das Sorgenbarometer wurden insgesamt 2495 Stimmberechtigte aus der ganzen Schweiz in einem Mixed-Mode-Verfahren befragt. Die Daten der verschiedenen Methoden wurden einzeln auf Methodeneffekte hin geprüft, danach erfolgte eine systematische Gewichtung, um die Repräsentativität sicher zu stellen. Die Interviews wurden im Juni und Juli 2019 durchgeführt. Über die genauen Eckwerte dieser Umfrage orientiert die nachstehende Übersicht.

 

  • Auftraggeber: Credit Suisse
  • Grundgesamtheit: Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz
  • Herkunft der Adressen:  Politisches Gemeindeverzeichnis der Schweiz, gfs.bern Panel, opt-in Online
  • Datenerhebung:
    • Face to Face (n=500)
    • gfs.bern-Panel (n=534)
    • Online opt-in (n=1461)
  • Stichprobengrösse: Total Befragte N = 2495
    • n DCH = 1307
    • n FCH= 509
    • n ICH = 179
  • Art der Stichprobenziehung:
    • Face to Face: Zufallsauswahl der Orte, Quotenauswahl der Befragten Sprachregion (Alter/Geschlecht interlocked)
    • gfs.bern Panel: Einladung über das gfs.bern Panel
    • Online opt-in: online Rekrutierung über Social Media, freier Zugang zur Befragung
  • Gewichtung: Nach Geschlecht/Alter interlocked, Sprachregion und Methode
  • Stichprobenfehler: ±3.2 Prozent bei 50/50 und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit
  • Befragungszeitraum: Juni – bis Juli 2019
  • Publikation: November/Dezember 2019