Globale Fortschrittsbereitschaft

Credit Suisse Fortschrittsbarometer 2019/2020

Credit Suisse

Das Credit Suisse Fortschrittsbarometer 2019/2020 misst den Wunsch nach Fortschritt in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft rund um den Globus.

Für die diesjährige Ausgabe wurden 16’000 Bürger*innen in 16 verschiedenen Ländern auf sechs Kontinenten (alle mit Ausnahme der Antarktis) befragt und gebeten, ihre Ansichten darüber zu teilen, wo in ihrem Land das Rad des Fortschritts beschleunigt werden, wo der Status Quo erhalten werden und wo hingegen Entwicklungen rückgängig gemacht werden sollen.

Der Fragebogen für das Fortschrittsbarometer wurde 2018 in der Schweiz entwickelt und lanciert und 2019/2020 auf globaler Ebene umgesetzt. gfs.bern arbeitete dazu mit lokalen Expert*innen aus dem Bereich Sozialwissenschaften und Journalismus zusammen, um den Fragebogen an den Kontext und die jeweiligen Besonderheiten jedes Landes anzupassen.

Im Mittelpunkt des Fortschrittsbarometer-Konzepts stehen 30 Aussagen, die sich jeweils auf 10 Aspekte des Fortschritts in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beziehen.

Für jeden dieser Aspekte wurden die Befragten gebeten, anzugeben, ob sich das Rad ihrer Meinung nach viel schneller drehen sollte (was auf den Wunsch nach Fortschritt hinweist) oder ob es anhalten und rückwärts drehen sollte (was auf Abneigung gegen den Fortschritt hinweist).

Das Fortschrittsbarometer sammelt nicht nur Informationen darüber, wohin die Bürger ihr Land in Zukunft führen wollen, sondern betrachtet auch die Vergangenheit und wie die Bürger die Veränderungen bewerten, die ihr Land in den letzten zehn Jahren erlebt hat.

In diesem Cockpit finden sich die wichtigsten Erkenntnisse des Credit Suisse Fortschrittsbarometers 2019 in länderübergreifender Perspektive. Eine vertieftere Diskussion der Fortschrittsbereitschaft in allen 16 befragten Ländern findet sich in den jeweiligen Länder-Cockpits. Die gesamten Resultate sind im Schlussbericht (auf Deutsch) nachzulesen.

Technische Details zur Befragung finden sich in der Infobox am Ende des Cockpits.

Fortschrittsbereitschaft nach Land

Indexiert über alle Fortschritts-Items und Länder hinweg besteht global die grösste Offenheit gegenüber wirtschaftlichem Fortschritt (16+).

Im Vergleich zur Wirtschaft liegt die gesellschaftliche Fortschrittsbereitschaft etwas tiefer bei (+12). Dieser tiefere Wert rührt daher, dass gewisse Entwicklungen in einzelnen Ländern zwar durchaus sehr erwünscht sind, sind in anderen Ländern aber kritischer bewertet werden.

Noch umstrittener sind die aktuellen politische Entwicklungen (+5).

Hier gibt es viele Bereiche, wie etwa die politische Polarisierung oder den Medienwandel, wo die Bürger*innen das Rad der Entwicklung zurückdrehen wollen.

Im Durchschnitt möchte die Bevölkerung im Bereich der Politik lieber den Status Quo erhalten, als aktuelle Entwicklungen voranzutreiben. Der errechnete Fortschritts-Index verfügt über einen Range von -100 bis +100. Trotz der grundsätzlichen Fortschrittsbereitschaft in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik bleibt somit zu bemerken, dass sich der Wille, das Rad schneller zu drehen global in Grenzen hält.

Wirtschaftlicher Fortschritt

Bereits 2018, bei der ersten Durchführung des Fortschrittsbarometers in der Schweiz, zeigte sich eine Tendenz, wann wirtschaftlicher Fortschritt am ehesten noch beschleunigt werden soll: Es ist dann, wenn sich Nachhaltigkeit, Mobilität und weltweite Trendthemen treffen. Diese Tendenz beschränkt sich nicht nur auf die Schweiz, sondern ist auch global zu beobachten.

Das Fortschrittsthema Nummer 1 ist 2019 klar die E-Mobilität. Diese Entwicklung steht nicht nur für das Bedürfnis nach einer zukunftsfähigen individuellen Mobilität, sondern ist auch als Beitrag gegen den Klimawandel zuverstehen, der weltweit mit der FridaysForFuture-Bewegung das Jahr 2019 prägt.

 

Bei keinem anderen im Credit Suisse Fortschrittsbarometer 2019 abgefragten wirtschaftlichen Fortschritts-Item war der globale Konsens für die Bereitschaft, das Rad schneller drehen zu lassen grösser, als bei der E-Mobilität.

Der wirtschaftliche Fortschritts-Glaube ist somit zwar vorhanden, ist aber an Nachhaltigkeitsvorstellungen geknüpft. Diese Kombination aus Fortschrittsbereitschaft und Nachhaltigkeit bestätigt sich auch bei Bildungsthemen oder im Zusammenhang mit Energiefragen.

Gesellschaftlicher Fortschritt

Die Fortschrittsbereitschaft in Gesellschaftsfragen gestaltet sich in den 16 Befragungsländern etwas nuacierter als bei Wirtschaftsfragen, ist grundsätzlich aber überall breit abgestützt und weniger an konkrete Bedingungen genknüpft als dies bei der Wirtschaft der Fall ist. Auch im Bereich des gesellschaftlichen Fortschritts werden globale Bewegungen wie die meToo-Debatte und der Megatrend zum Gender-Shift abgebildet.

Fortschritt zugunsten gleicher Rechte für Frauen und Männer sind ein grosses Bedürfnis in allen Ländern. Vergleichbar prominent ist der Ruf nach Fortschritt im Bereich der familienexternen Kinderbetreuung und nach mehr Sinn und Selbstverwirklichung bei der Arbeit. Während in gewissen Ländern klar auch eine Beschleunigung bei der Sicherstellung gleicher Rechte für Homosexuelle gewünscht wird, ist das in anderen Ländern aber eindeutig weniger der Fall.

Politischer Fortschritt

Uneinheitlicher und auch polarisierter sind die Einschätzungen im Bereich des politischen Fortschritts. Die Bereitschaft für Fortschritt bei der Erhöhung der Entwicklungshilfe ist gross, namentlich in Ländern, die von globalen Hilfeleistungen in jüngerer Vergangenheit auch direkt profitieren konnten. In der Schweiz, wo eine Erhöhung der Entwicklungshilfe diskutiert wird, wird das dagegen sehr zurückhaltend bewertet. Ein weiteres globales Entwicklungsthema sind die neuen Möglichkeiten für die politische Partizipation und Involvierung, die sich über soziale Medien bieten.

 

Obwohl das Urteil über die Rolle von sozialer Medien teilweise kontrovers ausfällt, wird die Möglichkeit, sich spontan über Internet zu organisieren und Druck auf die Politik auszuüben, weltweit als wichtiges Fortschritts-Thema gewürdigt. Die Verbreitung des Internets trägt zum rasanten Anstieg verfügbarer (digitaler) Informationsquellen bei, während die klassischen linearen Medien immer mehr unter Druck geraten. Der Trade-Off zwischen dem Anstieg verfügbarer Informationen und bei gleichzeitiger Abnahme der Korrektheit dieser Informationen (Stichwort Fake News Thematik) wird durchwegs negativ beurteilt.

Fortschrittsbereitschaft nach Länder

Bei die indexierte Fortschrittsbereitschaft unterscheidet sich deutlich nach Land. Fasst man alle drei Dimensionen zusammen, ist der Wunsch, das Rad des Fortschritts voranzutreiben in Brasilien und China am deutlichsten. Alle anderen asiatischen Länder sind tendenziell ebenfalls relativ fortschrittsbereit und Südafrika und Chile liegen zudem ebenfalls auf den vorderen Rängen. In anglosächsischen und europäischen Ländern dagegen ist die Fortschrittsbereitschaft geringer. Am wenigsten ausgeprägt ist sie in der Schweiz.

 

Gerade das Beispiel der Schweiz zeigt: Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen wahrgenommenem Fortschritt, der Fortschrittsbereitschaft des Landes und dem absoluten Stand der Entwicklung (gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP)pro Person). In der Tendenz gilt: Je höher der Wohlstand gemessen am BIP pro Person, desto geringer fällt auch die Fortschrittsbereitschaft eines Landes aus.

Bewertung letzte 10 Jahre

Blicken die Befragten auf die letzten 10 Jahre zurück, wird in den einzelnen Ländern im Durchschnitt eher eine Verbesserung als eine Verschlechterung wahrgenommen. Abgefragt wurde die Entwicklung in 10 verschiedenen Bereichen wie der Verbreitung nachhaltiger Technologien, Infrastruktur oder auch die politische Mitbestimmung (für Details siehe Schlussbericht).

Vor allem in den asiatischen Ländern ist man grösstenteils zufrieden mit der Entwicklung in den letzten Jahren. Kritischer sind dagegen die anglosächsischen Länder, Russland und Deutschland. Der grösste Unterschied zwischen Fortschrittsbereitschaft und rückblickender Wahrnehmung von Verbesserung ist in der Schweiz zu finden.

Die in westlichen Ländern dominierende Idee der Nachkriegsjahre – dass es der nächsten Generation einst bessergehen wird als der vorangehenden – gilt heute nicht mehr. In den meisten Ländern geht man heute davon aus, dass eine reale Gefahr beststeht, dass es den eigenen Kindern einst nicht mehr so gut wie einem selber gehen wird.

Besonders verbreitet ist diese Form der Zukunftsangst neben Südafrika auch in Schweiz. In asiatischen Ländern ist diese Haltung in der Tendenz dagegen nicht mehrheitlich verbreitet.

Synthese

Korrelation mit Entwicklung

Je höher der Stand der wirtschaftlichen Entwicklung, desto geringer fällt in den meisten Ländern die Fortschrittsbereitschaft aus. Das gilt vor allem für die anglosächsischen oder europäischen Länder unter den 16 untersuchten Nationen und betrifft neben der wirtschaftlichen auch die gesellschaftliche und die politische Dimension. Zwar besteht auch in stark entwickelten Ländern ein Vertrauen in wirtschaftliche Innovation, aber die Ängste vor Statusverlusten und von negativen Effekten vor Globalisierung vermischen sich mit einer vagen Hoffnung auf Verbesserung.

Globaler Zeitgeist

Wenn technischer Fortschritt und Nachhaltigkeit zusammenkommen, dann gibt es einen globalen Ruf nach Fortschritt. Dieser globalen Zeitgeist, der auch von der Klimajugend in die Welt getragen wird, versinnbildlicht zurzeit die Entwicklung der e-Mobilität besser als alles andere.

politische Polarisierung

Die politische Polarisierung wird weltweit als problematisch erachtet. Statt auf pragmatische Lösungen zu fokussieren, wird ein öffentlicher Kampf um Macht ausgetragen. Mehr Nachhaltigkeit ist somit auch auf der politischen Bühne gefragt. Nur so kann auch der Glauben an den Fortschritt von der Politik wieder befördert werden.

Länderspezifische Nuancen

Neben globalen Trendthemen und Problemfeldern gibt es wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische, aber auch kulturelle Nuancen der Fortschrittsbereitschaft. In Asien ist eine einheitlichere positive Sicht mit Fokus auf den wirtschaftlichen Fortschritt und Innovation oft prägend. Die pluralistischen Gesellschaften des Westens sind mit vielen Veränderungen kritischer und blicken gerne auch mit etwas Sehnsucht zurück.

Methodische Informationen

im Auftrag von: Credit Suisse Schweiz AG

Grundgesamtheit: Stimmberechtigte

Befragungsgebiet: Australien, Brasilien, Chile, China, Deutschland, Grossbritannien, Indien, Indonesien, Japan, Kanada, Russland, Schweiz, Singapur, Süd Afrika, Süd Korea, USA

Befragung: online panel

Befragungszeitpunkt: 20.09.2019-18.10.2019

Stichprobengrösse: minimal 1000 pro Land, effektiv: Australien (N=1016), Brasilien (N=1040), Chile (N=1005), China (N=1040), Deutschland (N=1018), Grossbritannien (N=1025), Indien (N=1116), Indonesien (N=1033), Japan (N=1016), Kanada (N=1043), Russland (N=1028), Schweiz (N=1737), Singapur (N=1034), Süd Afrika (N=1033), Süd Korea (N=1012), USA (N=1003)

Stichprobenfehler: bei 50/50 (und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit): Australien (± 3.1), Brasilien (± 3), Chile (± 3), China (± 3), Deutschland (± 3.1), Grossbritannien (± 3.1), Indien (± 2.9), Indonesien (± 3), Japan (± 3.1), Kanada (± 3), Russland (± 3.1), Schweiz (± 2.4), Singapur (± 3), Süd Afrika (± 3), Süd Korea (± 3.1), USA (± 3.1)

Quotenmerkmale: Alter/Geschlecht interlocked

Gewichtung nach Alter/Geschlecht: Australien, Brasilien, Chile, China, Deutschland, Grossbritannien, Indien, Indonesien, Japan, Kanada, Russland, Singapur, Süd Afrika, Süd Korea

Gewichtung nach Alter/Geschlecht/Partei: Schweiz, USA

Befragungsdauer: Mittelwert in Minuten: Australien (17), Brasilien (23), Chile (22), China (16), Deutschland (16), Grossbritannien (13), Indien (19), Indonesien (19), Japan (12), Kanada (18), Russland (22), Schweiz (19), Singapur (18), Süd Afrika (25), Süd Korea (12), USA (16)