Corona verursacht weiterhin eine zusätzliche Arbeitsbelastung

Der Dokumentationsaufwand ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen

Studie im Auftrag der FMH

Im Auftrag der FMH führt gfs.bern seit 2011 eine repräsentative Befragung bei der Spitalärzteschaft im akutsomatischen Bereich, in der Rehabilitation und Psychiatrie sowie bei praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten durch. Das Ziel dieser Studie ist es, die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit in der Schweiz systematisch zu erheben und zu analysieren.

Die zentralen Themen dieser Befragung sind die Corona-Pandemie, die Arbeitsumstände und die Arbeitszufriedenheit der Ärzteschaft sowie der Einfluss laufender Reformen. Die Untersuchungsergebnisse sollen der Politik und den Partnern im Gesundheitswesen erlauben, Entscheidungen basierend auf einer verbesserten Datengrundlage zu fällen. Zudem sollen Bedürfnisse frühzeitig erkannt werden, damit entsprechende Massnahmen ergriffen werden können.

Bei der diesjährigen Befragung haben insgesamt 1’603 Schweizer Ärztinnen und Ärzte teilgenommen. Darunter wurden 1’053 akutsomatische Spitalärztinnen und -ärzte, 117 in psychiatrischen Kliniken tätige Ärztinnen und Ärzte sowie

64 Ärztinnen und Ärzte, welche in Rehabilitationskliniken tätig sind, befragt. Hinzu kommen 369 praxisambulante Ärztinnen und Ärzte.

Neben den langjährigen Indikatoren greift die Befragung jedes Jahr ein aktuelles Schwerpunktthema auf. Wie in der letztjährigen Befragung liegt der Fokus aufgrund der fortbestehenden Aktualität auf dem Themenbereich der Corona-Pandemie. Gewisse Fragen wurden so abgeändert, dass man über die Zustände zwischen der zweiten und dritten Welle abfragt, während beim letzten Monitor Bezug zum Lockdown (erste Welle) genommen wurde. Die Befragung fand vom 11. Juni bis 16. Juli 2021 statt.

Der vorliegende Kurzbericht gibt einen Einblick in die zentralen Resultate der Befragungswelle 2021. Einige Grafiken sind dabei interaktiv gestaltet und können auch auf Social Media geteilt werden.

Weitere Details zur Befragungsmethode finden sich in der Infobox am Ende des Kurzberichts.

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Corona-Pandemie

Seit der ersten abgegebenen Impfdosis in der Schweiz Ende Dezember 2020 nimmt das Impfen seinen Lauf. 93 Prozent der Spitalärzte und -ärztinnen der Akutsomatik waren zum Befragungszeitpunkt im Juni/Juli 2021 bereits geimpft und 4 Prozent wollen sich bis Ende 2021 noch impfen lassen. Bei den praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten sind es 85 Prozent respektive 5 Prozent. Über sämtliche befragten Arztgruppen hinweg herrscht mehrheitliches Einverständnis (sehr/eher einverstanden) über die Aussagen, dass „nur die Covid-Impfung eine Bewältigung der Pandemie ermöglichen wird“, „dass die Impfstrategie des Bundes insgesamt sachgerecht und professionell ist“ und dass „die Covid-Impfungen im jeweiligen Arbeitskanton sachgerecht und professionell umgesetzt werden“. Bei letzterer Aussage ist kein signifikanter Unterschied zwischen den unterschiedlichen Landessprachregionen festzustellen – alle Regionen sind zu praktisch gleichen Teilen einverstanden respektive nicht einverstanden mit der Aussage. Die Mehrheit der jeweiligen Arztgruppen bewertet zudem die Versorgungsqualität während der zweiten und dritten Welle als sehr/eher gut.

Beim Vergleich der Versorgungsqualität im unmittelbaren Arbeitsbereich während des Lockdowns und während der zweiten und dritten Welle steigt die Bewertung bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft um 30 Prozentpunkte (nachfolgend in Klammern „ppt“) auf 79 Prozent („sehr/eher gut“) an, während sie bei der Psychiatrie um 22 Prozentpunkte auf 66 Prozent (sehr/eher gut) sinkt.

In der Akutsomatik gibt über ein Drittel (37%, +14 ppt) an, die Arbeitsbelastung sei seit der letzten Befragung und durch die Pandemie nochmals stark angestiegen. In der Psychiatrie geben fast die Hälfte (48%, +14 ppt) dasselbe an, in der Reha sind es etwas unter 40 Prozent. Der Praxisärzteschaft wurde diese Frage zum ersten Mal gestellt. 44 Prozent finden die Aussage ebenfalls sehr/eher zutreffend.

Der Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit während der Pandemie wurden von der grossen Mehrheit als genügend eingestuft. Dennoch liegen die Infektionszahlen bei der Ärzteschaft deutlich über dem bekannten Durchschnitt* in der Bevölkerung. Während rund 8 Prozent der Bevölkerung nachweislich Corona hatten, liegen die Infektionszahlen bei den Ärztinnen und Ärzten zwischen 11 und 20 Prozent.

*Bestätigte Infektionen in der Schweiz per 16. Juli 2021 (letzter Befragungstag) 705’757, Zahl Schweizer Wohnbevölkerung per Ende 2020: 8’667’100

Die klare Mehrheit der befragten Ärztinnen und Ärzte gibt an, ihr tägliches Arbeitspensum entsprechend den medizinischen Anforderungen ihres Berufes zu schaffen; dies, obwohl bei allen befragten Arztgruppen – ausser bei der Psychiatrie – der Anteil gegenüber dem Vorjahr gesunken ist.

Bei der Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance sind mehrheitlich alle befragten Arztgruppen zufrieden, mit Ausnahme der Ärzteschaft der Akutsomatik: Hier geben lediglich 45 Prozent an, sehr/eher zufrieden zu sein. Damit liegt der Wert zum ersten Mal unter 50 Prozent. Vor allem Vollzeit tätige Ärztinnen und Ärzte geben an, unzufrieden zu sein.

Arbeitsumfeld und Tätigkeiten im Arbeitsalltag

Trotz negativem Abbild der Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance bei der Ärzteschaft der Akutsomatik und der zusätzlich herausfordernden Situation rund um Corona, sehen dennoch 69 Prozent Ihre Zukunft als im Spital tätige/r Ärztin/Arzt. Ebenso sieht das 69 Prozent der Reha-Ärzteschaft. Bei den Psychiaterinnen und Psychiatern sieht dies knapp die Hälfte (52%).

Der Zeitaufwand für ärztliche Dokumentationsarbeit respektive das Führen des Patientendossiers seit Befragungsbeginn 2011 bei der Ärzteschaft der Rehabilitation um 21 Minuten angestiegen, bei den Psychiaterinnen und Psychiatern um 24 Minuten und in der Akutsomatik sogar um 36 Minuten.

Seit 2016 ist in der Akutsomatik und in der Psychiatrie ein vergrösserter Einfluss der Krankenkassen sowie der Verwaltung bei Entscheidungen über die Art und Weise der Behandlung feststellbar. Der Trend seit Befragungsbeginn ist bei diesen beiden Akteurinnen tendenziell steigend – die Oberhand bei Behandlungsentscheidungen bleibt allerdings den Patientinnen und Patienten sowie den vorgesetzten Ärztinnen und Ärzten weiterhin erhalten.

Mit Ausnahme der Ärztinnen und Ärzte der Rehabilitation verkleinert sich der Anteil der Spitalärzteschaft, der den Entlassungszeitpunkt von Patientinnen und Patienten als „meist richtig“ einstuft, gegenüber dem Vorjahr. Der Entlassungszeitpunkt von Patientinnen und Patienten wird noch von der knappen Mehrheit (54%, -6 ppt) der Ärzteschaft der Akutsomatik als meist richtig eingestuft – ein neuer Tiefstwert. Bei den Ärztinnen und Ärzten der Psychiatrie finden noch 50 Prozent (-5 ppt) den Entlassungszeitpunkt meist richtig.

Weiter ergibt die Befragung, dass rund ein Fünftel (21%) der praxisambulant tätigen Ärzteschaft und ca. je ein Drittel der Psychiaterinnen und Psychiater (30%) und der Ärztinnen und Ärzte der Rehabilitation (31%) finden, dass die ihnen zugewiesenen Patientinnen und Patienten häufig zu früh aus den Spitälern entlassen werden. Es bleibt abzuwarten, ob es sich hier um einen nachhaltigen Trend handelt oder diese Entwicklung, wie vieles im Moment im Gesundheitswesen, auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie einzuordnen ist.

Ambulant vor stationär

Aktuell sind 56 Prozent (-3 ppt) der Ärzteschaft der Akutsomatik mit den Listen ambulant vor stationär „sehr/eher einverstanden“. Damit wurde die Zunahme in der Zustimmung zwar gebrochen, die Mehrheit ist mit den Listen aber nach wie vor einverstanden.

Die Ausweitung der Liste ambulant vor stationär polarisiert die Befragten der Akutsomatik: über ein Drittel (40%) sind überhaupt/eher nicht damit einverstanden, über ein Drittel (35%) sind voll/eher damit einverstanden. Bei den praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten sind 39 Prozent überhaupt/eher nicht mit der Ausweitung einverstanden; etwas über ein Viertel (27%) sind damit sehr/eher einverstanden. Somit ist bei keiner der beiden Arztgruppen eine klare Mehrheit für oder gegen die Ausweitung.

Der wichtigste Grund für die Ausweitung sei, dass viele Eingriffe gut ambulant durchgeführt werden können (74% Zustimmung, -3 ppt). Als Gründe gegen eine Ausweitung geben die Spitalärzte die nicht gewährleistete Patientensicherheit als stärkstes Argument an (57% Zustimmung, -7 ppt). Das zweitstärkste Argument ist ein befürchteter Qualitätsverlust (54% Zustimmung, -2 ppt).

Ein Viertel (25%) der Akutsomatikerinnen und Akutsomatiker respektive knapp ein Drittel (34%) bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft haben keine Antwort auf die Frage, ob sie mit der Ausweitung der Listen einverstanden sind. Wie in vorangehenden Monitorings scheint die Meinungsbildung bei diesem Anteil noch nicht abgeschlossen zu sein.
Insgesamt lässt sich vermuten, dass aktuelle Reformen wie ambulant vor stationär im Kontext der Pandemie etwas aus dem unmittelbaren Fokus der Behandelnden geraten sind, was allgemein auch erklärt, weshalb die Anteile, die keine Meinung haben oder diese nicht angeben wollen, gleich gross bleiben oder sogar eher wieder etwas anwachsen.

Die Hälfte der befragten Akutsomatikerinnen und Akutsomatiker, die mind. einen der Eingriffe durchgeführt haben, sind der Ansicht, für die Patientinnen und Patienten habe sich die Liste ambulant vor stationär insgesamt bewährt. Fast ein Viertel (24%) kann hier noch keine Meinung abgeben und bleibt unentschlossen. Bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft sind es 52 Prozent, die finden, die Liste habe sich bewährt; ein Viertel ist unentschlossen (+10 ppt gegenüber letztem Monitor).

Synthese

Einfluss Corona in Arbeitsbelastung

Corona beeinflusst die Arbeitsbedingungen des Gesundheitspersonals in der Schweiz nach wie vor stark. Die Arbeitsbelastung hat sich insbesondere seit dem Lockdown erhöht, die Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance sinkt und mehr Ärztinnen und Ärzte haben das Gefühl, ihr Pensum nicht mehr unter Einhaltung der medizinischen Anforderungen zu erfüllen. Noch wirkt sich das aber meistens nicht auf eine karrieretechnische Umorientierung aus – eine Mehrheit sieht Ihre Zukunft noch immer im Spital.

Höherem Risiko ausgesetzt

Die Pandemie wirkt sich nicht nur auf die Arbeitsbelastung der Ärztinnen und Ärzte aus, sondern bringt auch das Risiko einer Ansteckung im Berufsumfeld mit sich. Der Anteil Ärztinnen und Ärzte, der sich nachweislich mit Corona infiziert hat, ist fast doppelt so hoch, wie dies in der Bevölkerung der Fall ist. Die Ärzteschaft ist denn auch überdurchschnittlich häufig bereit, sich impfen zu lassen oder hat dies bereits getan.

Mehr Dokumentationsaufwand

Rund zehn Jahre nach Einführung von SwissDRG beschäftigen sich die Ärztinnen und Ärzte der Akutsomatik pro Tag 36 Minuten länger mit Dokumentationsarbeiten, als dies 2011 der Fall war. Der Dokumentationsaufwand hat in dieser Zeit jedoch auch bei der Rehabilitation und in der Psychiatrie zugenommen, wo eine leistungsbezogene Vergütung erst seit 2018 (Psychiatrie) respektive voraussichtlich ab 2022 (Reha) zur Anwendung kommt.

Schwankungen in medizinischer Versorgungsqualität

Die Qualität der medizinischen Versorgung hat sich im Laufe der Pandemie je nach Tätigkeitsfeld stark verändert. Bei den praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten hat sich seit dem ersten Lockdown eine markante Verbesserung eingestellt – in der Psychiatrie ist genau das Gegenteil der Fall. In der Reha und in der Akutsomatik blieb das Versorgungsniveau ungefähr gleich (gut). In der Akutsomatik und der Psychiatrie ist innerhalb des letzten Jahres ein klarer Rückgang im Anteil der Befragten zu erkennen, die den Entlassungszeitpunkt der Patientinnen und Patienten als „meist richtig“ beurteilen. Während sich das insbesondere in der Akutsomatik in einen längeren Trend einordnet, bleibt die Frage offen, ob sich das durch Corona noch zusätzlich verstärkt hat.

Einfluss Krankenkassen und Verwaltungen steigt

Über die medizinische Behandlung entscheidet nach wie vor die Patientin/der Patient zusammen mit den Ärztinnen und Ärzten. Dennoch ist in den letzten Jahren ein zunehmender Einfluss auch von Seiten der Krankenkassen und der Verwaltung zu beobachten.

Ambulant vor stationär: mehrheitliche Zustimmung aber auch Ernüchterung

Die Liste ambulant vor stationär stösst weiterhin mehrheitlich auf Zustimmung. In der aktuellen Situation im Gesundheitswesen dürften jedoch Reformen und Bestrebungen, die nicht mit der Bewältigung der Krise zu tun haben, etwas in den Hintergrund gerückt sein. Mindestens die Hälfte derjenigen, welche selber Erfahrungen mit ambulant vor stationär gemacht haben, beurteilen diese mehrheitlich und zunehmend als positiv.

Methodische Details

Projektname: Befragung zum ärztlichen Arbeitsumfeld im Auftrag der FMH

Auftraggeberin: FMH

Verantwortliches Institut: gfs.bern

Projektleitung: Lukas Golder (Co-Leiter), Cloé Jans (Leiterin Operatives), Tatjana Grez (Trainee)

Datenanalyse und -aufbereitung: Daniel Bohn (Projektmitarbeiter), Corina Schena (Praktikantin Datenanalyse)

Erhebungsart: Online (inkl. Befragung durch physischen Fragebogen n = 235)

Befragungszeitraum: 11. Juni – 16. Juli 2021

Befragungsgebiet: ganze Schweiz

Grundgesamtheit: Schweizer Ärzteschaft

Stichproben-Art: geschichtete Zufallsauswahl, Quotenkontrolle

Stichprobengrösse: N = 1603, (Akutsomatik n = 1053, Psychiatrie n = 117, Rehabilitation n = 64, Praxisambulant n = 369)

Gewichtung: designgewichtet

Stichprobenfehler: ± 2.5 Prozent bei 50/50