Studie im Auftrag der FMH
Im Auftrag der FMH führt gfs.bern seit 2011 eine repräsentative Befragung bei der Spitalärzteschaft im akutsomatischen Bereich, in der Rehabilitation und Psychiatrie sowie bei praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten durch. Das Ziel dieser Studie ist es, die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit in der Schweiz systematisch zu erheben und zu analysieren.
Die zentralen Themen dieser Befragung sind die Arbeitsumstände und die Arbeitszufriedenheit der Ärzteschaft, der Einfluss laufender Reformen sowie die Leistungsorientierung im Gesundheitswesen. Die Untersuchungsergebnisse sollen der Politik und den Partnern im Gesundheitswesen erlauben, Entscheidungen basierend auf einer verbesserten Datengrundlage zu fällen. Zudem sollen Bedürfnisse frühzeitig erkannt werden, damit entsprechende Massnahmen ergriffen werden können.
Bei der diesjährigen Befragung haben insgesamt 1551 Schweizer Ärztinnen und Ärzte teilgenommen. Darunter wurden 1034 akutsomatische Spitalärztinnen und -ärzte, 110 in psychiatrischen Kliniken tätige Ärztinnen und Ärzte sowie 75 Ärztinnen und Ärzte, welche in Rehabilitationskliniken tätig sind, befragt. Hinzu kommen 332 praxisambulante Ärztinnen und Ärzte.
Neben den langjährigen Indikatoren greift die Befragung jedes Jahr ein aktuelles Schwerpunktthema auf. In der diesjährigen Befragung liegt aufgrund der Aktualität der Fokus auf dem Themenbereich der Corona-Pandemie, die seit Februar 2020 auch in der Schweiz angekommen ist. Die Befragung fand vom 01. Juni bis 14. Juli 2020, als der Lockdown bereits beendet wurde, statt.
Der vorliegende Kurzbericht gibt einen Einblick in die zentralen Resultate der Befragungswelle 2020. Einige Grafiken sind dabei interaktiv gestaltet und können auch auf Social Media geteilt werden.
Weitere Details zur Befragungsmethode finden sich in der Infobox am Ende des Kurzberichts.
Die Corona-Pandemie, die seit Februar 2020 auch in der Schweiz angekommen ist, hat den Arbeitsalltag vieler Schweizer Ärztinnen und Ärzte beeinflusst und stellte sie vor Herausforderungen.
Einen direkten Einfluss hatten die Massnahmen, die aufgrund der Pandemie in Kraft traten, auf das Arbeitspensum der Schweizer Ärzteschaft. Während sich das Pensum der stationär tätigen Ärzteschaft zu einem Grossteil während des Lockdowns gleich verhielt (Akutsomatik 47%, Psychiatrie 68%, Rehabilitation 45%) oder höher als sonst war (Akutsomatik 20%, Psychiatrie 24%, Rehabilitation 27%), musste im Unterschied dazu die Hälfte der praxisambulanten Ärzteschaft ihr Pensum reduzieren.
20 Prozent gaben dabei an, dass sie eine Kurzarbeitsentschädigung erhalten haben. Ganze 30 Prozent der praxisambulanten Ärzteschaft mussten ihr Pensum ohne eine solche Entschädigung reduzieren. Bei der Akutsomatik sowie bei der Rehabilitation belaufen sich diese Werte auf 18 respektive 17 Prozent, in der Psychiatrie auf 1 Prozent.
Die Arbeit ganz eingestellt haben bei der Praxisärzteschaft 10 Prozent (8% ohne Kurzarbeitsentschädigung, 2% mit Entschädigung). In der Akutsomatik (2%) und der Psychiatrie (1%) gab es ebenfalls Ärztinnen und Ärzte, die ihre Tätigkeit vorübergehend eingestellt hatten.
Aufgrund der tieferen Arbeitsbeschäftigung hatten sehr viele der praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte eine geringere Arbeitsbelastung und sie erwarten die grössten Einkommenseinbussen.
Der Pandemie-Plan der Schweiz soll sicherstellen, dass das Land im Falle einer Pandemie ausreichend vorbereitet ist. Die stationäre Ärzteschaft zeigt sich dabei mit der Vorbereitung mehrheitlich zufrieden. So stimmen jeweils über 50 Prozent der Akutsomatik (55%), der Psychiatrie (51%) und Rehabilitation (60%) der Aussage zu, dass die Pandemie durch die Behörden im Masse des Erwartbaren ausreichend vorbereitet war.
Bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft sind die Meinungen leicht anders gelagert. Hier finden lediglich 38 Prozent, dass die Vorbereitung auf den Ernstfall ausreichend war. Sowohl die stationäre als auch die praxisambulante Ärzteschaft wünscht sich mehrheitlich, dass bei einer nächsten Pandemie weniger auf Verbote und Schliessungen, sondern eher auf Social Distancing oder Hygienemassnahmen gesetzt wird.
Die während des Lockdowns eingeleiteten Massnahmen für die öffentliche Gesundheit wurden von den befragten Ärztinnen und Ärzten sehr gut aufgenommen. Zu jeweils über 70 Prozent haben die Ärztegruppen die Massnahmen als angemessen eingestuft (Akutsomatik 88%, Psychiatrie 85%, Rehabilitation 84% und Praxisambulant 74%). Auch die vom Bundesrat, der eigenen Institution/des Arbeitgebers sowie des Wohnkantons eingeleiteten Massnahmen schneiden bei der Ärzteschaft allgemein gut ab. Die teilweise auch öffentlich kritisierten Bestimmungen, wie das Verbot elektiver Eingriffe während des Lockdowns oder die Ausnahmeregelung des Arbeitsgesetzes, fanden besonders bei der Akutsomatik und der Psychiatrie Zustimmung.
56 Prozent der praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte fanden, dass eine ausreichende Versorgung mit Medikamenten und Ausrüstung während der Pandemie nicht sicher gestellt war. Diese Aussage findet bei den stationären Ärztegruppen dagegen knapp keine Mehrheit.
Weniger Zustimmung geniessen die drei Aussagen, dass die Kooperation zwischen Bund und Kantonen zu wenig funktioniert hat, dass die Ärzteschaft ungenügend eingebunden sowie, dass die Verfügbarkeit und Vernetztheit digitaler Daten ungenügend war.
Als Folge der Corona-Pandemie gehen viele stationär tätige Ärztinnen und Ärzte von einer Mehrbelastung in der zweiten Jahreshälfte aufgrund der nachzuholenden elektiven Eingriffe und Therapien aus: In der Akutsomatik sind dies 73 Prozent, in der Psychiatrie 60 Prozent und in der Rehabilitation 76 Prozent. Auch sind über 50 Prozent der stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte der Ansicht, dass viele Patientinnen und Patienten Folgebeschwerden mit Kostenfolgen erlitten haben, da sie aus Angst nicht mehr ins Spital oder zu einer Arztbehandlung gingen.
Deutlich weniger, nämlich jeweils rund ein Drittel, stimmen der Aussage zu, dass Folgebeschwerden mit Kostenfolgen aufgrund des Verbotes von elektiven Eingriffen und Therapien entstanden seien.
Ungefähr die Hälfte der vier Ärztegruppen sind der Meinung, dass eine Fortführung von elektiven Eingriffen auch während des Lockdowns das Gesundheitswesen der Schweiz nicht überlastet hätte.
Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsalltag der Schweizer Ärzteschaft beeinflusst. Doch nicht überall sind Veränderungen spürbar: Für jeweils über 90 Prozent der vier Ärztegruppen ist und bleibt ihre Arbeit interessant und abwechslungsreich. Als direkte Folge der Corona-Pandemie waren jedoch die Weiterbildungsmöglichkeiten vieler Ärztinnen und Ärzte eingeschränkt. Die Zufriedenheit mit der Bezahlung ist mit jeweils rund 80 Prozent konstant hoch und hat sich seit dem ersten Befragungsjahr sowohl bei den stationären als auch bei den praxisambulanten Ärztinnen und Ärzten (leicht) gesteigert (Akutsomatik +3%-Punkte, Psychiatrie +3%-Punkte, Rehabilitation +3%-Punkte, Praxisambulant +13%-Punkte) . Bei einer deutlichen Mehrheit der Ärzteschaft herrscht weiterhin ein hoher Leistungs- und Zeitdruck. Der Leistungsdruck ist besonders in der Akutsomatik auf hohem stabilen Niveau. In der Rehabilitation ist der Leistungsdruck in den letzten fünf Jahren stets systematisch gesunken; dieses Jahr wurde dieser Trend unterbrochen.
53 Prozent der praxisambulanten Ärzteschaft hatte eine mangelhafte Versorgung mit Pandemie-bezogener Schutzausrüstung zu beklagen. Nur eine Minderheit der stationären Ärztinnen und Ärzte teilen diese Meinung (Akutsomatik 34%, Psychiatrie 42% , Rehabilitation 32%).
Mit andauernd hohem Konkurrenzdruck sowie mit einer allgemein schlechten Arbeitsorganisation haben jeweils weniger als 40 Prozent der stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte Erfahrungen gemacht.
Aufgrund von Lieferengpässen von Gesundheitsmaterial erlebte rund ein Viertel der Akutsomatik wiederholt ungenügenden Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit während der Corona-Pandemie. Bei den restlichen Ärztegruppen belaufen sich die Werte jeweils auf rund 20 Prozent. Ähnlich hoch sind die Werte bei der stark erhöhten Arbeitsbelastung durch die Corona-Pandemie.
Seit der Erstbefragung im Jahr 2013 stimmen Ärztinnen und Ärzte aus der Akutsomatik vermehrt der Aussage zu, dass sie darüber nachdenken, ausserhalb des Schweizer Gesundheitssystems eine Stelle zu suchen. Bei den stationären Ärztinnen und Ärzten aus der Psychiatrie und der Rehabilitation ist das Gegenteil zu beobachten: Hier ist wieder eher ein Abwärtstrend zu sehen. Bei den praxisambulanten Ärztinnen und Ärzten gab es seit 2013 lediglich leichte Verschiebungen nach oben.
Konflikte mit berufsethischen Grundsätzen während der Corona-Pandemie sind insbesondere bei der Psychiatrie (22%) und bei der praxisambulanten Ärzteschaft (21%) vorgekommen. In der Akutsomatik und der Rehabilitation liegen die Werte tiefer.
Der Arbeitsaufwand für ärztliche Dokumentationsarbeit hat sich diesjährig unter den stationär tätigen Ärztinnen und Ärzten unterschiedlich entwickelt. So blieb der Anteil in der Akutsomatik mit 119 Minuten pro Tag gleich hoch wie 2019. Bei der Rehabilitation ist der Aufwand für die Durchführung solcher Tätigkeiten im Vergleich zum letzten Jahr erneut rückläufig: So sank er von 119 auf 103 Minuten pro Tag.
In der Psychiatrie wurde diesjährig ein Anstieg von 76 auf 91 Minuten pro Tag verzeichnet.
Trotz unterschiedlicher Entwicklungen im Vergleich zum letzten Jahr, ist bei allen drei stationär tätigen Ärztegruppen seit Befragungsbeginn ein Trend hin zu mehr Arbeitsaufwand für Dokumentationsarbeit ersichtlich.
In den Augen der Ärzteschaft aus der Rehabilitation und der Psychiatrie hat sich der Umgang mit Veränderungen ihrer Spitäler im Vergleich zu letztem Jahr stark verbessert.
Während 2019 jeweils unter 50 Prozent der Meinung waren, dass der Umgang mit Veränderungen der Spitäler eher bis sehr gut sei, sind bei beiden Gruppen die Werte auf über 60 Prozent hochgeklettert (Rehabilitation 68%, Psychiatrie 61%). Auch in der Akutsomatik gab es einen leichten Anstieg von 52 Prozent (2019) auf 56 Prozent (2020).
Eine gesundheitspolitisch zentrale Veränderung, die 2019 in Kraft getreten ist, betrifft das Prinzip „ambulant vor stationär“. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat eine Liste mit sechs Gruppen von Eingriffen definiert, die seit 1. Januar 2019 in der Regel ambulant anstatt stationär durchgeführt werden sollen.
Die Grundsätzliche Befürwortung, dass das BAG Listen „ambulant vor stationär“ erstellt, ist insbesondere in der Akutsomatik angestiegen.
Während sie 2018 noch 47 Prozent betrug, liegt sie diesjährig bei 59 Prozent. In der Rehabilitation ist ebenfalls ein Trend nach oben zu beobachten (2018: 53%, 2020: 62%). Weniger eindeutige Entwicklungen sind bei der Psychiatrie und bei den praxisambulanten Ärztinnen und Ärzten wahrnehmbar. Dort ist jeweils kein klarer Trend bei der Zustimmung beobachtbar, doch ist ersichtlich, dass die Anteile von Personen, die damit nicht einverstandenen sind, rückläufig ist.
Bei der Ausweitung der Liste auf das eigene Fachgebiet macht sich auch 2020 im Vergleich zur grundsätzlichen Zustimmung eine etwas kritischere Haltung der Ärzteschaft bemerkbar. So gibt es bei allen vier Ärztegruppen noch keine Mehrheit, die damit einverstanden ist. In der Akutsomatik sowie in der Psychiatrie haben sich die Werte von 2019 relativ stabil gehalten und nur leicht verändert. In der Rehabilitation ist der Anteil an damit Einverstandenen von 38 Prozent auf 32 Prozent gesunken.
Gegenteilig sieht es bei der praxisambulanten Ärzteschaft aus: Dort stieg der Anteil an „eher/sehr einverstanden“ von 21 Prozent im Jahr 2019 auf diesjährig 30 Prozent. Zu beachten ist dennoch der stabile Wert von jenen, die eher nicht bis überhaupt nicht damit einverstanden sind (40%).
In sämtlichen Ärztegruppen herrschen noch immer grosse Anteile an „weiss nicht/keine Antwort“ vor. Hier scheint die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen zu sein.
Auch 2020 verneint der grösste Anteil der befragten stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte, dass sie über leistungsabhängige Lohnkomponenten in ihrer Abteilung oder Klinik verfügen.
Wenn eine solche variable und leistungsabhängige Lohnkomponente besteht, dann handelt es sich nach wie vor bei allen Ärztegruppen am häufigsten um Bonuszahlungen, die teilweise mit anderen leistungsabhängigen Lohnkomponenten kombiniert sind oder um Einkünfte aus privatärztlicher Tätigkeit.
Besonders stabil ist die Entwicklung dabei bei der Akutsomatik. Aufgrund tieferer Fallzahlen gibt es bei der Psychiatrie und der Rehabilitation etwas grössere Schwankungen.
Die Ärzteschaft der Schweiz steht im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Pandemie hatte einen direkten und unmittelbaren Einfluss auf das Arbeitsumfeld der Ärztinnen und Ärzte. Dabei gib es jedoch Unterschiede, je nach dem, ob jemand stationär oder praxisambulant tätig ist. Die stationäre Ärzteschaft sah sich während des Lockdowns mit einem gleichbleibenden oder erhöhten Arbeitsaufwand konfrontiert. Bei der praxisambulanten Ärzteschaft dagegen war Kurzarbeit angesagt und die Befürchtung von Einkommenseinbussen steht im Raum.
Während die von Behörden und Bundesrat beschlossenen Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und die Versorgung im Gesundheitswesen insgesamt für gut befunden wurden, stehen einzelne Vorgehensweisen teilweise auch bei breiten Kreisen in der Kritik. Zudem sah sich eine Minderheit mit problematischen Umständen bezüglich der eigenen Arbeitssicherheit, Schutzmassnahmen und der berufsethischen Situation konfrontiert.
Die Corona-Pandemie beeinflusst wesentliche Eckpfeiler der Arbeitszufriedenheit der Ärzteschaft insgesamt in der Schweiz nur unwesentlich. Die Arbeit bleibt abwechslungsreich und spannend, die Bezahlung für eine Mehrheit zufriedenstellend, Leistungs- und Zeitdruck eine konstante Komponente der Arbeit – wenn auch letzteres dieses Jahr, wohl auch wegen Corona, etwas abgenommen hat.
In der Tendenz steigt die Zustimmung zur Einführung der Listen „ambulant vor stationär“ – mindestens in den Reihen der Akutsomatik und Rehabilitation. Die kritische Einstellung gegenüber der Reform nimmt in der Tendenz zwar ab, ist aber dennoch weiterhin vorhanden. Eine weitere Ausweitung auf den eigenen Fachbereich möchte man aber dennoch nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Der Anteil Unentschiedener bleibt sehr hoch, was auf weiteren Klärungsbedarf und eine nicht abgeschlossene Meinungsbildung zum Thema hinweist.
Projektname: Befragung zum ärztlichen Arbeitsumfeld im Auftrag der FMH
Auftraggeberin: FMH
Verantwortliches Institut: gfs.bern
Projektleitung: Lukas Golder (Co-Leiter), Cloé Jans (Projektleiterin), Melanie Ivankovic (Projektleiterin)
Datenanalyse und – aufbereitung: José Kress (Wissenschaftlicher Mitarbeiter), Aaron Venetz (Datenanalytiker)
Erhebungsart: Online (inkl. Befragung durch physischen Fragebogen n = 219)
Befragungszeitraum: 01. Juni 2020 – 12. Juli 2020
Befragungsgebiet: ganze Schweiz
Grundgesamtheit: Schweizer Ärzteschaft
Stichproben-Art: geschichtete Zufallsauswahl, Quotenkontrolle
Stichprobengrösse: N = 1551, (Akutsomatik n = 1034, Psychiatrie n = 110, Rehabilitation n = 75, Praxisambulant n = 332)
Gewichtung: designgewichtet
Stichprobenfehler: ± 2.5 Prozent bei 50/50