2. Welle der "SRG-Trendumfrage" zur Volksabstimmung vom 7. März 2021

Vor der Schlussmobilisierung:

Initiative Verhüllungsverbot: Pattsituation bei Nein-Trend
E-ID-Gesetz: Mehrheit dagegen bei Nein-Trend
Freihandelsabkommen Indonesien: knappe Mehrheit dafür bei Polarisierung

Studie im Auftrag der SRG SSR

Wäre bereits am 14. Februar 2021 abgestimmt worden, wäre das E-ID-Gesetz abgelehnt, die Initiative zum Verhüllungsverbot und das Freihandelsabkommen mit Indonesien angenommen worden. Die Stimmbeteiligung hätte bei überdurchschnittlichen 51 Prozent gelegen.

Alle drei Vorlagen erfuhren in der Hauptphase des Abstimmungskampfes eine Polarisierung der Meinungsbildung zum Nein hin. Im Falle des E-ID-Gesetzes zeichnet sich ein handfester Nein-Trend ab, bei der Initiative zum Verhüllungsverbot resultiert eine Pattsituation. Das Freihandelsabkommen mit Indonesien erfährt nach wie vor mehrheitliche Zustimmung.

Alle Angaben gelten bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Unsicherheitsbereich von ±2.8 Prozentpunkten. Die Wahrscheinlichkeiten beziehen sich auf die Werte der aktuellen Befragung, nicht auf den Abstimmungsausgang am 7. März 2021. Wie üblich handelt es sich auch bei der zweiten Befragung nur um eine Momentaufnahme und keine Prognose zum Abstimmungsausgang. Die Ergebnisse können im Wellenvergleich allerdings auch als Trends interpretiert werden.

Die Befunde der Umfrage werden anhand des Dispositionsansatzes von gfs.bern theoretisch verortet. Hintergrundinformationen zu den Vorlagen der Abstimmung vom 7. März 2021 sowie eine umfassende Grafiksammlung zur Studie stehen ebenfalls zur Verfügung.

Übersichtsgrafik Stimmabsichten

Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot"

Gegenwärtige Stimmabsichten: Pattsituation bei Nein-Trend

49 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten hätten am 14. Februar 2021 für die Initiative zum Verhüllungsverbot gestimmt, 47 Prozent dagegen. Das Nein-Lager vermochte im Kampagnenverlauf Boden gutzumachen, das Ja-Lager verlor an Sukkurs. Der Trend der Meinungsbildung verläuft somit Richtung Nein.

Für den 7. März 2021 gehen gestiegene 67 Prozent der Mobilisierten (+12 ppt) von einer Annahme der Initiative aus, 30 Prozent (-12 ppt) von einer Ablehnung. Im Mittel wird der Ja-Anteil für die Abstimmung auf 53 Prozent geschätzt.

Fortgeschrittener Stand der Meinungsbildung

Wie im Verlauf von Abstimmungskampagnen üblich, haben sich die Stimmabsichten in den letzten Wochen geschärft: 74 Prozent haben eine feste Meinung für oder gegen die Initiative zum Verhüllungsverbot. Stabile 4 Prozent zeigen sich unentschlossen.

Ein relevanter Anteil der im Interview geäusserten Stimmabsichten lässt sich über die Beurteilung der Argumente erklären. In der Kombination sprechen diese Faktoren für einen fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung.

Konfliktmuster durch scharfe Links-Rechts-Polarisierung geprägt

Der allgemeine Nein-Trend findet sich in der grossen Mehrheit der hier untersuchten Untergruppen wieder. Einzig im Umfeld der SVP und bei Teilnahmewilligen aus Haushalten mit einem Einkommen von 9-11’000 CHF ist er nicht erkennbar.

Aufgrund des Nein-Trends finden sich neben Teilnahmewilligen aus dem Umfeld der SP und der Grünen neu auch solche aus dem Umfeld der GLP in der Gruppe der ablehnenden Parteiwählerschaften, wenn auch nur knapp. Die Bruchlinie hat sich somit von der GLP, hin zur Mitte verschoben, denn alle weiteren Wähler*innengruppen und Parteiungebundenen bleiben für die Initiative zum Verhüllungsverbot. Im Umfeld der SVP ist diese Zustimmung solid, im Umfeld der Mitte, der FDP und der Parteiungebundenen nur noch knapp. Damit findet sich nur noch bei der FDP ein Elite-Basis-Konflikt; FDP-nahe Wähler*innen sind entgegen der Parole ihrer Mutterpartei nach wie vor für das Verhüllungsverbot. Der Trend spricht aber für ein Angleichen der Basis an die Position der Mutterpartei.

Als relevant erweist sich weiterhin das Regierungsvertrauen: Wer Bundesrat und Parlament vertraut, ist gegen das Verhüllungsverbot, wer dagegen Misstrauen in die Regierung hegt, ist klar dafür. Der Nein-Trend manifestiert sich jedoch in beiden Gruppen.

 

Weitere zentrale Erklärungsgössen bleiben das Alter der Teilnahmewilligen und deren Schulbildung: Teilnahmewillige unter 40 Jahren bleiben mehrheitlich gegen das Verhüllungsverbot, ältere trotz Nein-Trend dafür. Teilnahmewillige mit tiefem oder mittlerem Bildungsstand sind bei schwachem Nein-Trend nach wie vor für das Verhüllungsverbot, solche mit hoher Bildung nun dagegen. Bemerkenswert sind die Trends nach Geschlecht: Bei Männern ist ein schwacher Nein-Trend erkennbar, die Zustimmungsmehrheit hält jedoch. Bei Frauen ist der Nein-Trend deutlich und hat das ursprüngliche Ja erodieren lassen.

Bewegung in den Stimmabsichten findet sich auch in den Regionen der Schweiz. In der französischsprachigen Schweiz hat ein deutlicher Nein-Trend eine Pattsituation herbeigeführt. In der italienischsprachigen Schweiz bleibt es bei der höchsten Zustimmung und in der Deutschschweiz fällt diese nur noch hauchdünn aus. Gekippt ist das Mehrheitsverhältnis auch in urbanen Gegenden; Stimmberechtigte aus grossen Agglomerationen sind nun mehrheitlich gegen die Initiative zum Verhüllungsverbot. In ländlichen Gebieten und kleinen bis mittleren Agglomerationen halten sich Zustimmungsmehrheiten trotz Nein-Trend.

Und obwohl auch Auslandschweizer*innen von einem Nein-Trend erfasst wurden, bleibt ihre Zustimmung zur Vorlage höher als jene von Stimmbürger*innen welche in der Schweiz wohnen.

Argumente: Einfaches Vermummungsverbot ist ausreichend vs. es gehört zur Kultur sein Gesicht zu zeigen

Die Initiant*innen überzeugen mit zwei von drei hier getesteten Kampagnenbotschaften: Es gehöre zur Kultur in der Schweiz, sein Gesicht zu zeigen (76% eher/voll einverstanden) und es sei frauenfeindlich, Frauen in Burkas und Niqabs einzusperren, statt sie in unserer Gesellschaft frei leben zu lassen (61% eher/voll einverstanden). Dass hingegen das Verhüllungsverbot helfen solle, Terroristen und vermummte Straftäter zu stoppen, und sich damit unsere Sicherheit erhöhe, polarisiert (47% eher/bestimmt einverstanden).

 

Das Sicherheitsargument der Gegner*innen überzeugt: 62 Prozent finden, ein einfaches Vermummungsverbot für spezielle Situationen (z.B. Demonstrationen) reiche für die Sicherheit aus. Die Gegnerschaft findet zudem mehrheitliche Unterstützung, wenn sie ins Feld führt, das Verbot sei Symbolpolitik auf Kosten einer kleinen Minderheit. Sie polarisiert jedoch, wenn sie betont, das Verhüllungsverbot könne dazu führen, dass betroffene Frauen nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen könnten (50% eher/voll einverstanden).

Obwohl beide Seiten mehrheitsfähige Argumente ins Feld führen können, hat die Gegnerschaft einen leichten Vorteil: Ihre Argumente haben über den Kampagnenverlauf eher an Zuspruch gewonnen, jene der Initiant*innen eher eingebüsst und das wirksamste Argument für einen Stimmentscheid ist gemäss Regressionsanalyse das gegnerische Sicherheitsargument. Das aktuell zweitwichtigste Argument ist jedoch ein Pro-Argument: es gehöre schlichtweg zur Schweizer Kultur, das Gesicht zu zeigen.

Das aktuell zweitwichtigste Argument ist jedoch ein gegnerisches: Das Risiko, dass verhüllte Frauen durch das Verbot vom öffentlichen Leben ausgeschlossen würden. Ausserdem befördert die Ansicht, dass ein Vermummungsverbot für die Sicherheit ausreichend sei, ein Nein.

Trend in der Meinungsbildung

Die Pattsituation der Stimmabsichten, überzeugende und wirksame Argumente auf beiden Seiten sowie die beträchtliche Dynamik und Emotionalität der öffentlichen Debatte um das Verhüllungsverbot erschweren es, den weiteren Verlauf der Meinungsbildung abschliessend zu beurteilen.

Das Regelfallszenario für Initiativen ist, dass sich ein einmal eingeleiteter Nein-Trend fortsetzt, und die Initiative letztlich abgelehnt wird. Für dieses Szenario spricht bei der Initiative zum Verhüllungsverbot neben dem annähernd flächendeckenden Nein-Trend die gestiegene Unterstützung und Relevanz der gegnerischen Argumente. Auch die Positionen der politischen Eliten spricht für eine Ablehnung.

 

Der Spielraum für einen ungebremsten Nein-Trend wird durch die relativ gefestigten Stimmabsichten, überzeugende und wirksame Argumente der Initiant*innen und die klar gestiegene Erwartung der Teilnahmewilligen, dass diese Vorlage am 7. März angenommen wird, relativiert.

Die Wahrscheinlichkeit für ein Nein am 7. März ist grösser, ein Ja kann jedoch nicht ganz ausgeschlossen werden. Die Emotionalität des Themas und der intensive Abstimmungskampf sind Garanten für Dynamik in der Meinungsbildung. Trotz umfassendem Nein-Trend finden sich noch immer mehr zustimmende als ablehnende Untergruppen und die Befürworter*innen haben mehr Potenzial für zusätzliche Mobilisierung. Die Entscheidung wird in der politischen Mitte und bei Parteiungebundenen fallen.

Bundesgesetz E-ID

Klarer Trend zum Nein

Obwohl Befragte mit Teilnahmeabsicht knapp mehrheitlich weiterhin von einer Annahme ausgehen, haben sich die Meinungen klar gegen die Vorlage entwickelt. Neu will eine Mehrheit von 54 Prozent der Teilnahmewilligen bestimmt oder eher gegen die E-ID stimmen. Die Befürworterschaft käme aktuell auf 42 Prozent.  Der Meinungstrend ist erheblich und spiegelt eher die kontroversen Debatten in den Medien und in den Parteigremien der letzten Wochen und kaum noch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament.

Weiterhin erst mittlerer Stand der Meinungsbildung

4 Prozent der Mobilisierten haben noch keine gerichtete Absicht und 40 Prozent haben erst eine tendenzielle Stimmabsicht. Die Meinungsbildung ist mittel fortgeschritten, es bleibt aber ein erheblicher Anteil Unsicherheit, der sich deutlich beim sinkenden Anteil der Personen zeigt, die bestimmt für die Vorlage stimmen wollen. Auf der Ja-Seite macht sich im Rahmen der laufenden Debatten Verunsicherung breit.

Das Konfliktmuster: Behördenkritik hat sich aufgeladen

Das angedachte Szenario einer behördenkritischen Aufladung im Corona-Kontext bestätigt sich: Regierungsmisstrauische mit Teilnahmeabsicht wollen nicht nur zu 66 Prozent (+13 ppt) gegen die Vorlage stimmen, 50 Prozent (+17 ppt) wollen sogar bestimmt dagegen stimmen. Noch deutlicher sprechen sich insgesamt nur die Grünen und die SP-Anhängerschaften gegen die vorgeschlagene E-ID aus. Links wirkt die Debatte nun eindeutig in die Richtung der gefassten Parole.

Die regierungskritische Aufladung der Vorlage passt zur wachsenden Kritik der SVP-nahen Wählerschaft, die entgegen der Parole der Mutterpartei neu zu 56 Prozent gegen die E-ID stimmen will, und bei Parteiungebundenen, wo die Gegnerschaft von 38 Prozent auf 50 Prozent angewachsen ist. Ein Elite-Basis-Konflikt könnte bei der GLP resultieren, denn eine Mehrheit der Anhängerschaft bleibt für die Vorlage. Die Zustimmungsbereitschaft sinkt jedoch und bewegt sich somit in Richtung der Parole.

 

Die gemäss fög-Abstimmungsmonitor klar kritische Mediendiskussion in der französischsprachigen Schweiz hat sich auf die Meinungsbildung ausgewirkt: Die anfänglich zurückhaltende Beurteilung im frankophonen Gebiet ist einer markant mehrheitlichen Kritik gewichen.

Neu wollen Männer und Frauen mehrheitlich gegen das Gesetz stimmen, bei Frauen ist das aber nach wie vor markanter. In allen Schichten steigt die Kritik an der Vorlage. Sehr deutlich sind die Trends insbesondere bei tieferen sozialen Schichten und bei Personen im Alter ab 40 Jahren. Personen im Rentenalter neigten zu Beginn der Debatte am deutlichsten der Ja-Seite zu, nun sind sie von den drei untersuchten Altersgruppen am stärksten dagegen. Ein Hinweis, wie stark die Verunsicherung auf Personen wirkt, die ursprünglich grundsätzlich im Sinne des Fortschritts- und im Lichte der Hauptkampagne nun eher im Sinne der Risiken der konkreten Vorlage urteilen.

Argumente: Konzernkritik und staatliche Rolle vs. Corona und Geschwindigkeit

Trotz deutlichen Trends bei den Stimmabsichten bleibt die inhaltliche Auseinandersetzung mit der E-ID-Vorlage hinter den üblichen Werten zurück. Darauf verweist ein Wirkungsmodell, das mit den Argumenten weiterhin nur etwas mehr als die Hälfte der geäusserten Stimmabsichten erklären kann. Das dürfte mit der Komplexität der vorgeschlagenen Lösung zu tun haben. Die Trends bei den Argumenten zeigen jedoch, dass weiterhin beide Seiten mehrheitsfähig argumentieren können.

Die Ja-Seite kann einerseits erfolgreich mit der Geschwindigkeit argumentieren, wenn Staat und Private zusammenarbeiten, andererseits mit der staatlichen Kontrolle zur Sicherstellung des Datenschutzes. Das Datenschutzargument zugunsten der Lösung ist jedoch in der Wirkungsanalyse nicht mehr wirksam, was zum generellen Befund einer regierungskritischen Aufladung der Debatte passt.

 

Weiterhin überzeugt die Ja-Seite eine Mehrheit, wenn sie im Corona-Kontext fordert, dass beim digitalen Datenaustausch schnell vorwärts gemacht werden müsse. Das Corona-Argument der Ja-Seite war vor Monatsfrist das wirksamste Argument, nun ist es hinter das stärkste Nein-Argument zurückgefallen.

Die Nein-Seite hat drei mehrheitlich unterstützte Argumente gemäss unserer Befragung: Im Zentrum der Wirkung – als wichtigstes Argument überhaupt – steht neu der Vorwurf, dass hinter der E-ID Konzerne stünden, die mit sensiblen Daten Profit machen wollten. Zwar nicht so wirksam, aber stärker unterstützt sind die Argumente, dass mit der privaten Verwaltung der Daten Missbrauchspotenzial entstehe. Dieses Argument hat aber keine zusätzliche Erklärungskraft für die Stimmabsichten. Das grundsätzlich auf die staatliche Rolle gerichtete Argument, dass die Ausstellung einer E-ID nicht Privaten überlassen werden solle, ist stärker ins Zentrum der Debatte gerückt und ist neu das drittwichtigste Argument zur Erklärung der Stimmabsichten.

Trend in der Meinungsbildung

Aus einer noch wenig interessierenden Digitalisierungsdebatte ist eine Debatte über die Rolle der Konzerne und des Staates geworden. Die Kritik hat einen sehr fruchtbaren Boden gefunden bei Personen, die zwar für Fortschritt im Sinne der Digitalisierung wären, den individuellen Nutzen der E-ID aber nicht erkennen. So hat sich deutlich eine Verunsicherung breitgemacht, die sich bei wenig prädisponierten Vorlagen rasch ausbreiten kann und Referenden zu einem starken Instrument der Opposition gegen Parlament und Regierung macht. Die Risiken der Zusammenarbeit zwischen Staat und Konzernen sind stärker in den Vordergrund gerückt.

 

Sinnbildlich sind dafür die Trends bei der SVP-Anhängerschaft trotz Ja-Parole der Partei, in der Westschweiz, wo die Medienkritik besonders akzentuiert war und im Umfeld der Regierungsmisstrauischen oder der Parteiungebundenen. Zusammen mit der Meinungsbildung in Richtung der Parole bei Anhängerschaften der Linken wurde die Vorlage so stark von allen Seiten in die Zange genommen, dass ein Nein wahrscheinlich geworden ist. Einzig: Bei komplexen Behördenvorlagen und dem weiterhin erst mittleren Stand der Meinungsbildung kann theoretisch noch ein Wendeereignis im letzten Moment eine Überraschung in Richtung der Behördenposition bringen.

Freihandelsabkommen mit Indonesien

Gegenwärtige Stimmabsichten knapp im Ja, Trend zum Nein

Genau drei Wochen vor der Abstimmung hätte das Wirtschaftsabkommen mit Indonesien eine knappe Zustimmungsmehrheit gefunden: 52 Prozent der Teilnahmewilligen hätten die Vorlage angenommen, 41 Prozent des Stimmvolkes hätten Nein gestimmt. Mit dem breiten Einsetzen des Abstimmungskampfes wurde das Meinungsbildung polarisiert, wobei die Gegner*innen mehr Boden gut machen konnten als die Befürworter*innen.

Gestiegene 67 Prozent der Teilnahmewilligen gehen von einer Annahme am 7. März 2021 aus (+5 ppt), nur 29 Prozent von einer Ablehnung. Im Mittel wird der Ja-Anteil auf 53 Prozent geschätzt.

Stand der Meinungsbildung bleibt zurück

Sieben Prozent der Stimmbürger*innen mit fester Teilnahmeabsicht sind noch unschlüssig und nur eine knappe Mehrheit äussert dezidierte Stimmabsichten: 51 Prozent wollen bestimmt für oder gegen die Vorlage stimmen. Das entspricht einem wenig ausgereiften Stand der Meinungsbildung, womit grössere Verschiebungen weiterhin möglich sind.

Aufgeholt hat aber die argumentative Verankerung der Stimmabsichten.

Vorläufiges Konfliktmuster politisch, regional und sozioökonomisch geprägt

Am deutlichsten bleiben die Stimmabsichten politisch geprägt, denn Grüne und SP-nahe Teilnahmewillige hätten das Freihandelsabkommen abgelehnt, alle anderen Parteianhängerschaften sind im Ja. Bei Sympathisant*innen der FDP ist dies am deutlichsten der Fall.

Bei SP-, Grünen- und SVP-nahen Wähler*innen hat sich das Nein aufgebaut. Bei Anhänger*innen der GLP, der Mitte und der FDP das Ja. Parteiungebundene haben innert Monatsfrist vom Nein- ins Ja-Lager gewechselt. Damit stehen die verschiedenen Parteiwählerschaften mehrheitlich auf Seiten der Position ihrer Mutterpartei und es zeichnen sich keine Elite/Basis-Konflikte ab.

 

Kritisch zeigen sich mit (relativen) Ablehnungsmehrheiten auch Teilnahmewillige aus der französischsprachigen Schweiz, Regierungsmisstrauische und solche aus Haushalten mit Einkommen zwischen 3000 und 7000 Franken.

Gespalten sind die Meinungen bei Frauen, Stimmberechtigten aus Haushalten mit den tiefsten Einkommen und solche aus ländlichen Gegenden. Über die genannten Gruppen hinaus erfährt das Freihandelsabkommen mit Indonesien Zustimmung, wenn auch teilweise nur verhalten. Das Konfliktmuster zeigt sich etwas polarisierter als noch vor einem Monat, wobei die Anteile Unentschlossener überall rückläufig sind. Profitiert hat davon bisher eher das Nein.

Sprachregional betrachte bleibt die Deutschschweiz am deutlichsten für das Freihandelsabkommen, gefolgt vom Tessin. In der Romandie ist die Stimmung nach wie vor kritischer.

Argumente: Vorzüge für die Schweiz vs. Schäden der Palmölproduktion in Indonesien

Argumentativ behält die Befürworterschaft die Oberhand, denn ihre Botschaften überzeugen nicht nur solide und zunehmende Mehrheiten, sie sind auch die wirksamsten für einen Stimmentscheid. Gestiegene 69 Prozent sehen Wettbewerbsvorteile für die Schweiz, weil das Freihandelsabkommen teure Zölle und weitere Handelshürden abbaue. Auch der bessere Zugang zu einem grossen, bisher kaum genutzten Absatzmarkt für die Schweizer Wirtschaft besticht zunehmend und bleibt wirksamster Grund für ein Ja. 60 Prozent finden zudem, das Freihandelsabkommen sei fortschrittlich: Da nur nachhaltig produziertes Palmöl von Handelserleichterungen profitiere, nütze das Abkommen der Umwelt und trage zur nachhaltigen Entwicklung in Indonesien bei.

 

Erinnerungen an die November-Abstimmung werden bei den Contra-Argumenten wach. Nochmals gestiegene 88 Prozent pflichten bei, dass Ökologie und Menschenrechte in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern endlich mehr Gewicht erhalten müssten. Allerdings ist es das schwächste Argument, um einen Stimmentscheid inhaltlich zu erklären. Dass Palmöl bereits heute extrem billig sei und deshalb immer mehr einheimische Öle verdränge, unterstützen stabile 63 Prozent. 52 Prozent sind ausserdem einverstanden, dass der geringe Effekt des Abkommens für die Schweizer Wirtschaft die Schäden durch die Palmölproduktion nicht rechtfertigten. Dieses Argument ist das stärkste Contra-Argument gemäss Wirkungsanalyse, es hat allerdings leicht an Zuspruch eingebüsst.

Die Kongruenz zwischen der Haltung der Stimmbürgerschaft zu der Vorlage und zu den einzelnen Argumenten ist innert Monatsfrist klar gestiegen (Erklärungsgrad: 65%).

Die Vorzüge des Handelsabkommens sind akzeptiert und befördern ein Ja zur Vorlage.  Gretchenfrage bleibt jedoch, ob diese Vorzüge für die Schweiz die Schäden der Palmölproduktion in Indonesien rechtfertigen.

Trend in der Meinungsbildung

Die Entscheidung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien ist nur schwach prädisponiert, was sich am eher tiefen Anteil Festentschiedener, den relativ vielen Unentschiedenen und dem knappen Mehrheitsverhältnis zeigt. Die Befürworterschaft hat trotz der eingetretenen Polarisierung zum Nein Vorteile, wenn man beispielsweise die argumentativen Haltungen oder den Parolenspiegel berücksichtigt. Für den weiteren Meinungsverlauf zur Vorlage sind grundsätzlich zwei Szenarien denkbar.

Wahrscheinlich ist, dass die Vorlage weiter polarisiert und beide Seiten noch zulegen können. Aufgrund der positiven Prädisposition würde die Vorlage in diesem Falle angenommen. Dieses Szenario entspricht einer Fortsetzung der bisherigen Meinungsbildung.

 

Weniger wahrscheinlich aber denkbar ist, dass sich der Nein-Trend noch verstärkt, wenn die Gegnerschaft argumentativ die Oberhand gewinnt. Aufgrund des knappen Vorsprungs der Ja-Seite wäre eine Umkehr der Mehrheitsverhältnisse denkbar. Anzeichen für dieses Szenario lieferte etwa die Parolenfassung der SP, welche aufzeigte, dass sich Kritik noch bis zum Schluss aufbauen kann. Denkbar ist ausserdem eine stärkere Mobilisierung von regierungskritischen Personen.

Die Vorteile des Handelsabkommens für die Schweizer Wirtschaft sind aber grundsätzlich unbestritten und prägen die Meinungsbildung. Allerdings ist auch Kritik am Freihandelsabkommen relativ weit verbreitet, denn es herrscht ein sensibilisiertes Klima für Menschenrechte und Umweltthemen vor. Bisher behalten wirtschaftliche Vorteile des Freihandelsabkommens in der Debatte die Überhand.

Vorläufige Teilnahmeabsichten

Steigende Teilnahmeabsicht für die Abstimmung vom 7. März 2021

Aktuell würden über die Hälfte der Stimmberechtigten teilnehmen, was real nach wie vor selten vorkommt. Die Abstimmung vom September 2020 war eine solche Ausnahmesituation.

Die Vorlagenkombination mit fünf Vorlagen hatte damals bis zum Schluss stark mobilisiert, was zu einer sehr hohen Beteiligung von annähernd 60 Prozent führte. Dieser Effekt dürfte jedoch bei den drei Vorlagen vom März 2021 etwas weniger deutlich spielen, worauf beispielsweise die bisher durchschnittliche bis verhaltene Medienresonanz gemäss der fög-Abstimmungsanalyse hinweist.

Profil der Beteiligungswilligen: Politisierung erkennbar, regierungskritische Mobilisierung jedoch nicht

Die zusätzliche Mobilisierung kam nicht als eigentliche Protestmobilisierung apolitischer Gruppen zustande, sondern vielmehr innerhalb von Gruppen, die in erhöhtem Mass am täglichen Politikgeschehen interessiert sind. Deutlich war dies bei politisch gebundenen Personen, sehr deutlich im linken politischen Lager und im politischen Zentrum. Dort interessiert also die inhaltliche Debatte der Hauptkampagne besonders. Auch unter Stimmberechtigten im Rentenalter oder in höheren sozialen Schichten sind nun klare Mehrheiten bestimmt motiviert, an den Abstimmungen teilzunehmen.

 

Weiter sind soziologisch und sozioökonomisch betrachtet Gruppen interessiert, die ohnehin in der Regel überdurchschnittlich teilnehmen.

Deutlich steigend war im Unterschied zu den Männern auch der Trend bei Frauen, die neu zu gleichen Teilen wie die Männer am 7. März 2021 ihre Stimme abgeben wollen. Nach Sprachregionen betrachtet, gibt es aufgrund des klaren Anstiegs der Teilnahmebereitschaft in der französischsprachigen Schweiz keine markanten Unterschiede mehr. Im Corona-Kontext ist nach wie vor ein Schub bei regierungskritischen Kreisen denkbar. Der Initiative für das Verhüllungsverbot würde das mehr Chancen verleihen, während die Kritik an den Gesetzesvorlagen in diesem Szenario eher steigen dürfte.

Zitierweise

Zweite Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 7. März 2021 vom Forschungsinstitut gfs.bern. Realisiert zwischen dem 10. und dem 18. Februar 2021 bei 12166 Stimmberechtigten. Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.8 Prozentpunkte.

Methode und Datengrundlage

Der telefonische Teil der vorliegenden Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Auswertung und Analyse der Daten nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor.

Befragt wurde via eines RDD-Dualframe-Verfahrens per Festnetz und Handy. Seit dem Herbst 2018 wird im Rahmen des SRG-Trend-Mandats die telefonische Umfrage durch eine Online-Befragung ergänzt, mit dem Ziel die Stichprobengrösse in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zu erhöhen. Der Online-Teil wurde als Opt-in-Befragung (Mitmachbefragung) über die Webportale der SRG SSR Medien realisiert.

Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten in der CATI-Befragung überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht.

Keine Aussagen können wir über das Ständemehr machen, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu.

Weiterführende Informationen zur Theorie und der Methode der SRG-Trendumfragen finden sich hier.

Technischer Kurzbericht

Auftraggeber: CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit: Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz
Herkunft der Adressen CATI: Stichprobenplan Gabler/Häder für RDD/Dual-Frame; Verwendung Swiss-Interview-Liste,
Herkunft der Adressen Online: Opt-in-Befragung über die Webportale der SRG SSR
Datenerhebung: telefonisch, computergestützt (CATI) und Online
Art der Stichprobenziehung CATI: at random/Geburtstagsmethode im Haushalt geschichtet nach Sprachregionen
Art der Stichprobenziehung Online: offene Mitmachumfrage
Befragungszeitraum: 10. – 18. Februar 2021
mittlerer Befragungstag: 14. Februar 2021
Stichprobengrösse: minimal 1200, effektiv 12166 (Cati: 1217, Online: 10949), n DCH: 7725, n FCH: 3869 n ICH: 572
Stichprobenfehler: ± 2.8 Prozentpunkte bei einem Wert von 50% (und 95%iger Wahrscheinlichkeit)
Quotenmerkmale CATI: Geschlecht/Alter interlocked
Quotenmerkmale Online: keine
Gewichtung: Dual-Frame-Gewichtung, Sprache, Siedlungsart, Parteiaffinität, Recall, Teilnahme
mittlere Befragungsdauer CATI: 14.8 Minuten (Standardabweichung: 4.0 Minuten)
Publikation: 24. Februar 2021, 6h00